Der aktuelle Stand der Diskurse zur Zentralitätsforschung ReferentInnen: Doris Meßenzehl Seminarleiter: Prof. Weichhart Datum und Zeit: 30.11.2004, 13 Uhr Ort: Neues Institutsgebäude, 5. Stock, Seminarraum
Standorttheorie des Tertiär- und Quartärsektors
Zentrale-Orte Theorie W. Christallers Arbeit versucht „die hierarchische Struktur der räumlichen Wirtschaft und die Hierarchie der Siedlungsstruktur aus dem Zusammenwirken ökonomischer Bestimmungsfaktoren zu erklären und abzuleiten“. (vgl. Schätzl, 1998, S.69)
Prämissen Homogenität der (Teil)räume: Produktion und Nachfrage sind in einer unbegrenzten Fläche weitgehend gleich Produktionsfaktoren und die Bevölkerung sind annähernd gleichmäßig im Raum verteilt Einkommen, Kaufkraft und Bedürfnisse aller Individuen sind gleich ungefähr gleichförmiges Verkehrsnetz in allen Richtungen Transportkosten steigen direkt proportional zur Entfernung zum Einkaufsort
Prämissen Marktteilnehmer: Anbieter streben größtmöglichen Gewinn an Nachfrager streben größtmöglichen Nutzen an und handeln aufgrund rationaler Entscheidungen („homo oeconomicus“) gleiche Informationsbasis bei allen Marktbeteiligten keine räumliche Spezialisierung der Anbieter
Nachfragekurve für ein Produkt
Gesamtnachfrage in einem Marktgebiet nach einem Produkt
Entstehung hexagonaler Marktgebiete
Hexagonale Marktgebiete
Konsumentenverhalten: Mehrzweckfahrten Sozialgruppenspezifische Unterschiede
Unternehmerverhalten: Agglomeration ähnlicher oder gleicher Anbieter Standortentscheidungen abhängig von Größe und Risikopotential
Weitere Defizite Unternehmensorientierte Dienstleistungen Räumlich differenziertes Wachstum Wanderung mobiler Produktionsfaktoren Grenzüberschreitender Güteraustausch „homo oeconomicus“ Vollkommener Markt
Neue Agglomerations- und Standorttheorien Marshallsche Aggolerationstheorie - Standortvorteile
- Externe Erträge (neue Ideen, hochspezialisierte Arbeitskräfte)
- Ursache: „Informationsspillovers“, gemeinsame Produktionsfaktoren, Markt für spezialisierte Arbeitskräfte, Risikosteuerung auf großen Arbeitsmärkten, Einkaufsverhalten der Konsumenten
Transportkosten in Standorttheorien - Preis direkt proportional zur Entfernung
- Gewinnmaximierung und Kostenminimierung abhängig von Transportkosten
- Entscheidungen der Marktteilnehmern hängt von Transportkosten ab
Transportkosten in Zahlen 1890: Beförderung einer Tonne in Nordamerika kostete 18,5 cents pro Meile 1890: Transportindustrie 9% des BIP
Transaktionsnutzen am Beispiel IKEA
Empirische Analyse der „Funktionalen“ Differenzierung von Regionen und Stadt – Umland – Verflechtungen => Beitrag zu einer Raumforschung und Raumgliederung
Gliederung: Stellenwert und Ziele „Empirischer Zentralitätsforschung“ Eigenschaft „Zentralität“: Probleme zur Bestimmung dieser Messgröße Christallers „Telefonmethode“: Beginn und Vorbild für spätere „Empirische Analysen“ / „Analyseverfahren“ Traditionelle Analyseverfahren und deren Kritik Historischer Überblick zur „Empirischen Forschungstradition“ Forschungspraxis Heute: Obsolenz oder Neuanpassung des „Empirischen Diskurses“ innerhalb der „Zentralitätsforschung“
1: Stellenwert und Ziele „Empir- ischer Zentralitätsforschung“: = allg.: „Empirische Analyse“ unverzichtbar im System von Naturwissenschaften = Überprüfung der „Zentrale Orte Theorie“ ( v. Christaller ) anhand der Realität = Übertragung der Theorie auf beliebige Raumeinheiten = Darstellung des gesetzmäßigen Systems der „Zentrale Orte“ in diesen Raumeinheiten = Entwicklung einer Raumgliederung/Raumdifferenzierung nach funktionalen Kriterien = Bereitstellung fundierten Datenmaterials für die Raumordnung / Raumplanung
2. Eigenschaft „Zentralität“: Prob- leme zur Bestimmung dieser Messgröße Eigenschaft „ZENTRALITÄT“ ist keine QUANTITATIVE, sondern QUALITATIVE Messgröße ( wird Gütern, Orten, etc., von „außen“ zugeordnet ) ( vgl. dazu Koschitz, P.: S. 46 ff. ) => Problem der Verarbeitung, d. h. Operationalisierung, der Daten zur Eigenschaft „Zentralität“ in ( wissenschaftlichen ) Analysen
ad 2. Eigenschaft „Zentralität“: Zitat: „Da sich die „Theorie der Zentralen Orte“ nicht einfach auf die Größe der Orte bezieht, sondern auf dessen Funktion als ZENTRALER ORT, sucht Christaller nach Merkmalen , die die Zentralität eines Ortes sicht- bar werden lassen. Er findet sie in den Infrastruktureinrichtungen, die eine Voraussetzung bilden für die Erfüllung der zentralen Funktionen ( … ). Diese Merkmale jedoch lassen sich nicht QUANTIFIZIEREN, ( … ).“ ( Koschitz, P.: S. 48 )
ad 2. Eigenschaft „Zentralität“: hinzu kommt: 2 ( mögliche ) Ausprägungen der Eigenschaft „ZENTRALITÄT“: UMLANDBEDEUTUNG ( relative od. funktionale Bedeutung ) => von W. Christaller verstanden bzw. favorisiert ! GESAMTBEDEUTUNG ( absolute Bedeutung ) => von H. Bobek verstanden bzw. favorisiert !
ad 2. Eigenschaft „Zentralität“: Zitat: überschusses eines Ortes zu messen, wobei die Versorgungsleistung für die eigene Bevölkerung als nicht zentral ausgeklammert wird, um nur die Leistungen für die Umlandbewohner zu bewerten, steht der An- satz BOBEKS ( 1969 ) gegenüber, der in der Zentralität eines Ortes dessen Gesamtbedeutung hinsichtlich seiner Versorgungsleistung sieht wobei es hier unwichtig ist, ob diese Leistungen von der ortsansäs- sigen Bevölkerung oder den Umlandbewohnern in Anspruch genom- men wird ( … ).“ Somit steht der „Umlandbedeutung“ ( … ) die „Ge- samtbedeutung“ gegenüber.“ ( Lukhaup, R.: S. 55 )
3. Christallers „Telefonmethode“: Beginn u. Vorbild ( … ) Lösung des Problems der Operationalisierung der zugeordneten Eigenschaft „Zentralität“ durch indirekte Methode ! sein Trick: die berühmte „TELEFONMETHODE“ => die Zahl der jeweiligen Telefonanschlüsse einer Lokalität / einer Raumeinheit ( quantifizierbar !!! ) als Ausdruck hoher / niedriger „Zentralität“ wurde in der Folge methodisch beispielgebend in den 30er Jahren des 20. Jhts. methodisch gerechtfertigt, heute obsolet => neue Methoden der Empirie wurden notwendig
ad 3. Christallers „Telefonmethode“ Zitat: „Dabei dient die Zahl der Telefonanschlüsse einer Stadt in Relation zu ihrer Einwohnerzahl und der durchschnittlichen Zahl von Telefonan- Schlüssen pro Einwohner im Ergänzungsgebiet als Indikator. Je größer schließlich die Differenz zwischen dem Ist – und dem Soll – Wert ist, desto größer ist der Bedeutungsüberschuss des Zentralen Ortes ge- genüber seinem Umland.“ ( Aigner, E. J.: S. 17 )
4. Traditionelle Analyseverfahren und deren Kritik: Im wesentlichen DREI GRUPPEN EMPIRISCHER ANALYSEVERFAHREN zur Darstellung von „Zentralität“ und deren hierarchischem System in Raumeinheiten: = die Analyse der Ausstattung der Zentralen Orte => Katalogmethode = die Erfassung der Reichweiten der Zentralen Orte => Umland- methode = die indirekte Bestimmung der Zentralität durch Amtliche Statistik ( vgl. dazu: Weichhhart, P. u. H. Fassmann: S. 29 )
ad 4. Kritik: allg.: Messverfahren nicht mehr zeitgemäß Können die Komplexität der gegenwärtigen Verhältnisse nicht mehr erfassen Wenig bis kein Erklärungspotential Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft / ökonomischem System entsprechen nicht mehr den Prämissen der „Zentrale Orte Theorie“ Heute Qualitative statt quantitative Faktoren im Akt der Bedürfnisbe-friedigung bei Konsumenten sehr viel wichtiger In der Vergangenheit Überbewertung der Nachfrageseite
ad 4. Kritik: Zitat: „Ansatzpunkte sind sowohl die mangelhafte empirische Erfassung des Phänomens Zentralität in Orten unterschiedlicher Zentralitätsstufen als auch die als obsolet empfundenen Messverfahren. Der Vorwurf geht insbesondere dahin, dass die erste empirische Operationalisier- ung der Theorie vor allem mittels haushaltsorientierter Dienstleistungen auch heute noch nachvollzogen werde, während das dynamischste Wirtschaftswachstum gegenwärtig von unternehmensbezogenen Dienstleistern ausgehe.“ ( LUKHAUP, R.: S. 1 )
5. Historischer Überblick zur „Em- pirischen Forschungstradition“: Einführungsphase => normativer Charakter der „Zentrale Orte Theorie“; findet Eingang in die ( Raum - ) Wissenschaft Wachstumsphase => „Zentrale Orte Theorie“ findet immer mehr Anhänger; erste große empirische Arbeiten und Analysen zur fun- tionalen Raumgliederung und Raumdifferenzierung Reifephase => die Theorie schlechthin; Vereinnahmung durch die Raumordnung ( Entwicklung des „Zentrale – Orte – Konzepts“ ) Abschwungphase => keine neuen Erkenntnisse mehr; Empirische Untersuchungen und Arbeiten nur mehr beschreibenden ( deskrip-tiven ) Charakter ( vgl. dazu Lukhaup, R.: Beilage 1 ) Fortentwicklung => Kritik an „veralteter“ Forschungstradition und empirischer Methodik; Diskussion: Obsolenz oder Neuanpassung ?
Phasen der Entwicklung der Zentrale Orte Theorie
6. Forschungspraxis Heute: Obsolenz oder Neuanpassung DIE PROBLEMFELDER DER „ZENTRALITÄTSFORSCHUNG“ SIND NACH WIE VOR DIESELBEN UND HÖCHST AKTUELL DIE RAHMENBEDINGUNGEN IN GESELLSCHAFT UND WIRT- SCHAFT / ÖKONOMIE HABEN SICH VERÄNDERT UND DAMIT AUCH DIE EMPIRISCHEN METHODEN BZW. ANALYSEVER- FAHREN => => Konsequenz: NEUANPASSUNG statt Obsolenz !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
ad 6. Forschungspraxis Heute: Zitat: „Um den aktuellen Veränderungstendenzen unserer Siedlungssys- teme und Standortstrukturen gerecht werden zu können, musste je- doch eine grundlegende Transformation der Forschungsinteressen er- folgen. Es entstanden eine Reihe neuer Arbeitsbereiche, welche ver- schiedene Teilaspekte oder einzelne Problemfelder der empirischen Zentralitätsforschung aufgriffen und vor dem Hintergrund der aktuellen sozioökonomischen und politischen Rahmenbedingungen unter neuen Gesichtspunkten bearbeiten.“ ( Weichhart, P. u. H. Fassmann: S.99 )
ad 6. Forschungspraxis Heute: d. h.: Neben diversen theoretischen Ansätzen NEUER STANDORTTHEORIEN ( siehe vorhergehendes Kap. dieser Präsentation ! ) Zwei für die „Empirische Zentralitätsforschung“ wichtige Begriffe: TRANSAKTIONSNUTZEN ( siehe Weichhart, P. u. H. Fassmann: S. 46 ff. ) POLYORIENTIERUNG ( siehe Weichhart, P. u. H. Fassmann: S. 109 ff. )
ad 6. „Empirische Zentralitätsfor- schung“ Heute: NEUE RAHMENBEDINGUNGEN für die „ERMPIRISCHE ZENTRALITÄTSFORSCHUNG“ lauten demnach: Untersuchungsobjekt: qualitative Parameter im Konsumverhalten Faktorenbündel ( vgl. „Matrixdarstellungen“ ) statt Einzelindikatoren Orientierung im Marktsystem nach der Angebots - / Produzenten-seite
Das Zentrale-Orte-Konzept als normatives Mittel in der Raumordnung
Entwicklung des Zentrale-Orte Konzepts in der Raumordnung
Kritikpunkte des Zentralen-Orte-Systems Fehlen eines Alternativkonzeptes Veränderte Struktur des Einzelhandels und Konsumverhaltens nicht berücksichtigt Planung „von oben“ Flächendeckende Ausweisung nach starren Richtlinien Zentrale Orte als Entwicklungsmotor für regionale Wirtschaft
Zentrale Orte in Deutschland
Argumente für die Beibehaltung des Zentrale-Orte-Konzepts Notwendigkeit einer Raumordnungspolitik zur Schaffung von gleichwertigen Lebensbedingungen Raumordnung darf nicht nur durch Marktprozesse der freien Wirtschaft entstehen Nachhaltige Entwicklung Urbanität Polyzentrisches Städtsystem Territoriale Kohäsion
Dilemma in der Zentralitätsforschung Gegen eine Beibehaltung des Zentrale Orte Konzepts in der Raumordung Veraltet Starr Unflexibel Planung „Von oben“ Ziele in Vergangenheit verfehlt?
Zentrale Orte in Salzburg
Stufenspezifische Mindestausstattung für Zentrale Orte Quelle: Landesentwicklungs- programm Salzburg, 2003.
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