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Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen
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- 6. Praktische Hinweise
- Kapitel 20 Beschwerdeverfahren bei den Vereinten Nationen
- 1. VN-Vertragsorgane
5. Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen Die Vertragsorgane der Vereinten Nationen (UN Treaty Bodies) bilden ein weiteres zentrales Standbein des VN-Systems zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte. Der Menschenrechtsrat, die frühere Men- schenrechtskommission und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR) basieren auf der VN- Charta, während die Vertragsorgane – wie der Name sagt – auf ausgehandelten, internationalen Menschen- rechtsabkommen fußen. Sie stellen einen völkerrechtlich verbindlichen Menschenrechtsstandard dar, an den sich die ratifizierenden Staaten binden und insofern auf einen Teil ihrer Souveränität verzichten. Sie legen ge- genüber den Vertragsorganen Rechenschaft ab und unterstellen die Umsetzung in nationale Gesetzgebung deren Kontrolle. Die AEMR ist ihrer Form nach hingegen rechtlich nicht bindend, sondern formal eine Absichts- erklärung, wenngleich sie inzwischen zum völkerrechtlichen Gewohnheitsrecht geworden und somit doch ver- bindlich ist. Die Verträge wurden im Laufe der Jahre zwecks Ausdifferenzierung der AEMR geschaffen. Die Abkommen verpflichten die Regierungen, die einen solchen Vertrag ratifizieren, die im Abkommen enthaltenen Menschen- rechtsnormen in nationales Gesetz und in die Lebenswirklichkeit der im Lande lebenden Menschen umzuset- zen. Es handelt sich um folgende acht Vertragswerke (in chronologischer Reihenfolge). Die Konvention zu er- zwungenem Verschwindenlassen wurde 2006 von der VN-Generalversammlung verabschiedet und zählte im Mai 2010 83 Signatarstaaten aber nur 18 Ratifikationen. Zum Inkrafttreten werden 20 Ratifizierungen benötigt. Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung; International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (ICERD; 1969 / 173; [Jahr des In- krafttretens / Anzahl der Ratifizierungen; Stand: Juni 2006]); Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (auch: VN-Sozialpakt); Internati- onal Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR; 1976 / 160); 171 Zusatzprotokoll zum VN-Sozialpakt zwecks Einrichtung eines individuellen Beschwerdemechanismus; Optional Protocol to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights; im Mai 2010 32 Signatarstaaten, keine Ratifizierung; Internationaler Pakt über zivile und politische Rechte (auch: VN-Zivilpakt); International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR; 1976 / 165); Zusatzprotokoll zur Einrichtung des Individualbeschwerdeverfahrens; Optional Protocol to the ICCPR (ICCPR-OP1; 1976 / 113); Zweites Zusatzprotokoll zur Abschaffung der Todesstrafe; Second Optional Protocol to the ICCPR (ICCPR-OP2; 1991 / 72); Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (auch: Frauenrechtskonven- tion); Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW; 1981 / 186); Zusatzprotokoll zur Einrichtung des Individualbeschwerdeverfahrens und zur Durchführung eigenstän- diger Untersuchungen; Optional Protocol to the CEDAW (CEDAW-OP; 1999 / 99); Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (auch: Anti-Folter-Konvention); Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CAT; 1987 / 146); Zusatzprotokoll zur Einrichtung nationaler und internationaler Überwachungsmechanismen; Optional Protocol to the Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Pu- nishment (CAT-OP; 2002 / 50); Übereinkommen über die Rechte des Kindes (auch: Kinderrechtskonvention); Convention on the Rights of the Child (CRC; 1990 / 193); Zusatzprotokoll zu Kindern in bewaffneten Konflikten; Optional Protocol to the CRC (CRC-OP-AC; 2002 / 132); Zusatzprotokoll zum Verkauf, zur Prostitution und Pornographie bei Kindern; Optional Protocol to the CRC (CRC-OP-SC; 2002 / 137); Internationales Übereinkommen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien- angehörigen (auch: Wanderarbeiterkonvention); International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families (ICRMW; 2003 / 42); Internationales Übereinkommen zum Recht der Personen mit Behinderungen; Convention on the Rights of Persons with Disabilities (2008 / 85); Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zum Recht der Personen mit Behinderungen; Optional Protocol to the Convention on the Rights of Persons with Disabilities (2008 / 52). Diese Abkommen gelten als weltweiter Mindeststandard in Sachen Menschenrechte. Mit hinzugenommen wer- den müsste die Konvention zur Vermeidung und Bestrafung von Völkermordverbrechen aus dem Jahr 1948 (Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide; 141 Ratifizierungen). Hier ist es je- doch beim Konventionstext geblieben. Es gibt keinen Mechanismus der Überprüfung, und selbst der im Text in Aussicht gestellte internationale Gerichtshof ist so nie gegründet worden. Hingegen erhielt der ständige Interna- tionale Strafgerichtshof (2002) die Ermächtigung, Völkermordverbrechen auch eigenständig zu verfolgen und zur Anklage zu bringen; allerdings nicht rückwirkend. Mit Ausnahme des Sozialpakts und der Kinderrechtskonvention verfügen alle Abkommen über ein Individualbe- schwerdeverfahren, das einzelnen Personen die Anrufung des Expertenausschusses (s. u.) ermöglicht, soweit der innerstaatliche Rechtsweg ausgeschöpft wurde oder die zu erwartende lange Verfahrensdauer im Einzelfall unbillig wäre. Die Bemühungen um ein Individualbeschwerdeverfahren haben beim Sozialpakt zu einem Ergeb- nis geführt. Die VN-Generalversammlung hat das Zusatzprotokoll im Dezember 2008 verabschiedet. Das ent- sprechende Zusatzprotokoll zur Kinderrechtskonvention wird bis Ende 2010 in einer Arbeitsgruppe des MRR verhandelt. Entsprechend den acht internationalen Übereinkommen wurden acht Ausschüsse gebildet, die die Einhaltung und Umsetzung der Verträge überwachen. Dies sind die so genannten Vertragsorgane, bestehend aus unab- hängigen Expertinnen und Experten. Es handelt sich um folgende Ausschüsse: 172 Ausschuss zur Eliminierung der Rassendiskriminierung (Committee on the Elimination of Racial Disc- rimination; CERD), besetzt mit 18 Experten; Ausschuss zum Sozialpakt (Committee on Economic, Social and Cultural Rights; CESCR), 18 Experten; Menschenrechtsausschuss (Human Rights Committee; HRC/Zivilpakt), 18 Experten; Ausschuss zur Eliminierung der Diskriminierung von Frauen (Committee on the Elimination of Discrimi- nation Against Women; CEDAW), 23 Expertinnen und Experten; Ausschuss zur Anti-Folter-Konvention (Committee Against Torture; CAT), 10 Experten; Ausschuss zur Kinderrechtskonvention (Committee on the Rights of the Child; CRC), 18 Experten; Ausschuss zu Arbeitsmigranten (Committee on Migrant Workers; CMW), 14 Experten; Ausschuss zu den Rechten von Personen mit Behinderungen (Committee on the Rights of Persons with Disabilities; CRPD), 12 Experten. Im Unterschied zu den anderen Abkommen sah der Sozialpakt ursprünglich keinen mit unabhängigen Experten besetzten Ausschuss vor. Bis 1985 übernahm eine Arbeitsgruppe die Überwachungsfunktion, die aus wei- sungsgebundenen Regierungsvertretern bestand. Im Zuge der aufweichenden Frontstellungen aus den Zeiten des Kalten Krieges, der lange Zeit eine fachliche Diskussion über die inhaltliche Substanz des Sozialpakts ver- hinderte, wurde ein aus Experten und Expertinnen bestehender Ausschuss eingerichtet, vergleichbar den ande- ren Vertragsorganen. Dieser Ausschuss wurde 1987 als Unterorgan des VN-Wirtschafts- und Sozialrates (Eco- nomic and Social Council, ECOSOC) etabliert. Im strengen formalen Sinn gilt der Ausschuss zum Sozialpakt daher zwar nicht als Vertragsorgan, wird aber als solches behandelt. Staaten wie Südafrika bemühten sich seit Jahren, für diesen Ausschuss den gleichen Status wie bei den anderen zu erlangen. Angesichts der komplexen juristischen Folgen wurde davon jedoch vorläufig Abstand genommen. Die Mitglieder eines Ausschusses werden auf vier Jahre von den Vertragsstaaten gewählt, mit der Möglichkeit der Wiederwahl. Eine Ausnahme bildet der Ausschuss zum Sozialpakt. Die Experten dieses Komitees werden vom ECOSOC gewählt. Unbeschadet der Auswahl staatlicherseits agieren die Expertinnen und Experten in der Regel unabhängig und allein ihrer Funktion verpflichtet. Die Vertragsorgane treten in regelmäßigen Abständen zusammen und tagen inzwischen alle in Genf. Dort werden sie vom Hochkommissariat für Menschenrechte inhaltlich und logistisch unterstützt. Alle Vertragsstaaten gehen die Verpflichtung ein, in so genannten Staatenberichten periodisch (alle fünf Jahre) über die Umsetzung der Normen zu berichten. In mehreren Schritten überprüfen die Ausschüsse die in den Berichten getroffenen Feststellungen in Anwesenheit staatlicher Vertreter. Die Vertragsorgane haben die Be- fugnis, von Regierungen zusätzliche Informationen und Klarstellungen anzufordern, und manche können eigen- ständige Untersuchungen anstellen. Dieses Recht setzen insbesondere die Ausschüsse gegen Folter und ge- gen Frauendiskriminierung um. Sie führen dazu u. a. vertrauliche Fact-Finding-Missionen in den Vertragsstaa- ten durch, soweit glaubhaft Verletzungen der Vertragsnormen geltend gemacht werden. Der Ausschuss gegen Rassendiskriminierung kann – ähnlich den Sonderverfahren – in eiligen Fällen intervenieren (urgent action pro- cedure) und hat darüber hinaus ein Frühwarnsystem entwickelt. Die Mehrzahl der Ausschüsse kann außerdem Individualbeschwerden entgegennehmen. Manche Ausschüsse können bei der Kontrolle und Bewertung auf so genannte Schatten- oder Parallelberichte seitens Nichtregierungsorganisationen oder der nationalen Men- schenrechtsinstitutionen zurückgreifen und diese Gruppierungen anhören. Neben dem Textlaut der Abkommen haben die Ausschüsse so genannte „General Comments“ geschaffen, eine Art richterliche Auslegung des normativen Gehalts der Konventionen. Außerdem gingen die Ausschüsse dazu über, die Pflichten des Staates nach den Kategorien Respektierung, Schutz und Gewährleistung der Norm zu unterscheiden. Respektieren oder Achten (obligation to respect) meint, das Rechtssubjekt nicht direkt oder indirekt an der Ausübung seiner Menschenrechte zu hindern. Schutz (obligation to protect) bedeutet, das Rechtssubjekt gegen Eingriffe in seine Rechtspositionen durch Dritte zu schützen. Erfüllen oder Gewährleisten (obligation to fulfil) heißt, die Ausübung des Rechts durch Vorleistungen des Staates überhaupt erst zu ermögli- chen. 173 Nach Durchsicht aller Informationen bewerten die Ausschüsse die Bemühungen der Regierungen zur Umset- zung in Form von so genannten schlussfolgernden Beobachtungen (Concluding Observations), die Fortschritte und noch zu erledigende Aufgaben festhalten. Ausgehend von einem kooperativen Ansatz legt der Ausschuss auch mittels Empfehlungen dar, was aus seiner Sicht zur Überwindung der Versäumnisse vom Staat zu leisten und welche technische Hilfeleistung seitens des VN-Systems in Anspruch zu nehmen wäre. Bei manchen Ver- tragswerken, wie dem Sozialpakt, der einen Ermessensspielraum bei der Umsetzung der Normen offen lässt, legt der Ausschuss zusammen mit dem Vertragsstaat Zielvorgaben (benchmarks) fest, die regelmäßig überprüft und gemeinsam angepasst werden (scoping). Es handelt sich hier meist um langfristig anzulegende Strukturen zur Umsetzung der Vertragsnormen. Die Wirkungen der internationalen Abkommen sowie der Arbeit seitens der Vertragsorgane lassen sich bei vielen Vertragsstaaten sowohl im verfassungsrechtlichen als auch im zivil-, straf- und prozessrechtlichen Teil der nationalen Gesetzgebung feststellen. Die Ratifizierung und der anschließende Umsetzungsprozess eines Vertrages setzte ebenso Anlass für institutionelle und insbesondere Justizreformen. Nicht zuletzt dienen die Vertragsinhalte und die dazu gehörenden Kommentierungen als Referenzpunkt für Urteile nationaler Gerichte und Justizkomitees der nationalen Parlamente. Im Zuge der VN-Reform sollten auch die Vertragsorgane überprüft werden. Angestrebt wurde eine Vereinheitli- chung der Berichte und der Berichtsvorgaben bis hin zum Vorschlag, die Staaten von der Last vieler Berichte zu befreien, und nur noch einen einzigen zu allen Verträgen vorzulegen. Die Schlussfolgerungen und Empfeh- lungen sollten von einem allzu kritischen Ansatz hin zu einem Argumentieren mit guten Beispielen (best practi- ces) übergehen, was inzwischen auch umgesetzt wird. Die größte – kritische – Resonanz fand der Vorschlag der damaligen Hochkommissarin für Menschenrechte Louise Arbour in ihrem Aktionsplan aus dem Jahr 2005, zukünftig einen ständig tagenden Ausschuss für alle Vertragswerke einzurichten (statt heute acht) und entspre- chend auch nur ein Schlussdokument mit Empfehlungen zu erstellen. Die Hauptlast der Evaluierung und Aus- wertung sollte beim Hochkommissariat liegen. Mehrere Konsultationen, speziell zu diesem Vorschlag, brachten überwiegend Skepsis und Ablehnung zu Tage. Es wurde befürchtet, dass die spezifische Sachlage und Kennt- nis der Experten im Bemühen um das Straffen der Verfahren verloren geht. Der Plan liegt momentan auf Eis. Unbeschadet der m. E. berechtigten Skepsis gegenüber einer Bündelung der VN-Vertragsorgane spricht viel für den wechselseitigen Austausch der hier versammelten Expertise mit der Arbeit des Menschenrechtsrates. An- satzweise wird dies durch die Kompilation des Hochkommissariats im Kontext des UPR-Verfahrens geleistet. Nicht zuletzt bei der Frage der situationsgerechten Umsetzung von Menschenrechten durch die Regierungen liegt allerdings noch viel Potential für den MRR brach, das durch die intensivere institutionelle Einbeziehung der Erfahrungen der VN-Vertragsorgane zu heben wäre. 6. Praktische Hinweise Auf der Website des Hochkommissars für Menschenrechte ( www.ohchr.org ) finden sich vielfältige Informatio- nen zu den internationalen Konventionen und Deklarationen im Menschenrechtsbereich sowie zu den Gremien und Organen der Vereinten Nationen und den Berichten der Sonderberichterstatter und thematischen Arbeits- gruppen (unter: www.ohchr.org/english/bodies ). Informationen zu den einzelnen Themen der Menschenrechtsarbeit finden sich in alphabetischer Ordnung un- ter: www.ohchr.org/EN/Issues/Pages/ListOfIssues.aspx . Eine Übersicht über nützliche Publikationen steht unter: www.ohchr.org/EN/PublicationsResources/Pages/Publications.aspx . 174 Dort steht auch ein Handbuch für Nichtregierungsorganisationen zum Herunterladen bereit, das die Möglichkei- ten der Zusammenarbeit der Vereinten Nationen mit den Nichtregierungsorganisationen zusammenfasst. Der Hochkommissar für Menschenrechte hat zudem ein Referat, welches für die Beziehungen zu den Nichtregie- rungsorganisationen zuständig ist: OHCHR NGO Liaison Team Office of the High Commissioner for Human Rights Palais des Nations CH-1211 Geneva 10 E-Mail: civilsocietyunit@ohchr.org 175 Kapitel 20 Beschwerdeverfahren bei den Vereinten Nationen Dr. Theodor Rathgeber Im Rahmen der Vereinten Nationen gibt es drei zentrale Institutionen, an die sich Personen und Gruppen teil- weise direkt mit einer Beschwerde richten können, um eine – drohende – Menschenrechtsverletzung anzuzei- gen: die VN-Vertragsorgane (Treaty Bodies), die VN-Sonderverfahren (Special Procedures) und das nicht- öffentliche Beschwerdeverfahren beim VN-Menschenrechtsrat (Complaint Procedure). Der Beschwerdemecha- nismus der VN-Frauenrechtskommission (Commission on the Status of Women) unterscheidet sich davon durch seine eingeschränkte Reichweite, und die dadurch bedingte geringere politische Mobilisierung und redu- zierte praktische Relevanz. Teilweise gerichtsförmige Beschwerde- und Klageverfahren gibt es auf internationaler Ebene darüber hinaus beim Europarat in Form des Europäischen Gerichtshofes und des Europäischen Menschenrechtskommissars sowie bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) in Form des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte und der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte. Einen regionalen Gerichtshof entwickelt ebenso die Afrikanische Union. Diese werden hier nicht näher behandelt; Informationen dazu sind u. a. erhältlich über www.coe.int , www.cidh.org und www.africa-union.org . 1. VN-Vertragsorgane Die Vereinten Nationen haben in der Ausdifferenzierung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mitt- lerweile acht rechtlich bindende Übereinkommen geschaffen, Einzelheiten zu den Verträgen und der Struktur sind ausführlicher im Kapitel zum VN-Menschenrechtssystem in Genf behandelt. Das Internationale Überein- kommen zum Schutz aller Personen gegen erzwungenes Verschwinden (International Convention for the Pro- tection of All Persons from Enforced Disappearance) wird möglicherweise im Jahr 2010 die notwendige Anzahl an Mindestratifizierungen aufweisen (d. h. 20; im Mai 2010 waren es 18), um in Kraft treten zu können: Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung; International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination (ICERD; 1969 [Jahr des Inkrafttre- tens]); Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (auch: VN-Sozialpakt); Internati- onal Covenant on Economic, Social and Cultural Rights (ICESCR; 1976); plus ein Zusatzprotokoll zum Individualbeschwerdeverfahren, was allerdings noch nicht in Kraft getreten ist; Internationaler Pakt über zivile und politische Rechte (auch: VN-Zivilpakt); International Covenant on Civil and Political Rights (ICCPR; 1976); plus 2 Zusatzprotokolle; Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau [auch: Frauenrechtskonven- tion]; Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW; 1981); plus ein Zusatzprotokoll; Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe [auch: Anti-Folter-Konvention]; Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CAT; 1987); plus Zusatzprotokoll zur Einrichtung nationaler und internationaler Überwachungsmechanismen; Übereinkommen über die Rechte des Kindes [auch: Kinderrechtskonvention]; Convention on the Rights of the Child (CRC; 1990); plus 2 Zusatzprotokolle, ein drittes zwecks Individualbeschwerde wird im VN- Menschenrechtsrat vorbereitet; Internationales Übereinkommen zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien- angehörigen [auch: Wanderarbeiterkonvention]; International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families (ICRMW; 2003); Internationales Übereinkommen zum Recht der Personen mit Behinderungen; Convention on the Rights of Persons with Disabilities (CRPD; 2008); plus Zusatzprotokoll. 176 Im Rahmen dieser Übereinkommen verpflichten sich die ratifizierenden Staaten, mittels Staatenberichten perio- disch (alle fünf Jahre) über die Umsetzung der Normen zu berichten. Die Kontrolle über die Einhaltung der Konventionen obliegt den jeweiligen Fachausschüssen (zu Einzelheiten s. Kapitel zum VN- Menschenrechtssystem in Genf), den „VN-Vertragsorganen“. An diese Vertragsorgane richten sich entspre- chende Beschwerden über die Nichteinhaltung oder – drohende – Verletzung der vertraglich zugesicherten Menschenrechte. Einige der Verträge sehen Beschwerden der einen Vertragspartei gegen die andere vor (In- ter-State-Complaints), die hier jedoch nicht weiter behandelt werden. Für Opfer und ihr Anliegen, Menschenrechtsverletzungen durch Verfahren und Öffentlichkeit abzuwenden, sind die Parallelberichte zu den Staatenberichten seitens nichtstaatlicher Akteure interessant (u. a. Nichtregierungs- organisationen und Nationale Menschenrechtsinstitutionen). Die Beschwerden über verletzte Menschenrechte oder ungenügende rechtliche Ausführungsbestimmungen können den einschlägigen Ausschüssen vorgelegt werden. Die jeweiligen Ausschüsse überprüfen die Staatenberichte in Anwesenheit der staatlichen Vertreter und in der Regel bezugnehmend auf die Parallelberichte (auch bekannt als „Schattenberichte“) nichtstaatlicher Akteure. Die Vertragsorgane haben die Befugnis, im Zweifelsfall zusätzliche Informationen und Klarstellungen von den Regierungen anzufordern. Die Ausschüsse gegen Folter und Frauendiskriminierung können darüber hinaus eigenständige Untersuchungen anstellen. Sie führen dazu u. a. vertrauliche Fact-Finding-Missionen in den Vertragsstaaten durch (s. u.). Die Parallelberichte sind in den meisten Ausschüssen zu einem quasi- institutionellen Bestandteil des Verfahrens geworden. Am Vorabend der öffentlichen Anhörung des Staates finden häufig Gespräche der Ausschüsse mit den Verfassern der Parallelberichte statt, um die wesentlichen Argumente und letzte Informationen abzurufen. Der Ausschuss zur Überprüfung des Sozialpakts drohte der Regierung Brasiliens im Jahr 2000, wenn sie den Staatenbericht nicht endlich vorlege, würde der Parallelbericht der NGOs zur Grundlage der Überprüfung gemacht werden. Der Bericht kam dann bald. Wichtiger und unmittelbar relevanter für partikulare Beschwerden sind die Individualbeschwerdeverfahren, die es Individuen oder Gruppen ermöglichen, Einzelfallbeschwerden gegen die im Pakt verankerten Rechte beim einschlägigen Ausschuss einzulegen, und die dem jeweiligen Ausschuss unter bestimmten Bedingungen (s. u.) eine sofortige Aktivität erlauben. Drei der acht Konventionen sehen solche Individualbeschwerden durch den Vertragstext selbst vor. Bei diesen Konventionen müssen die ratifizierenden Staaten unter Bezug auf den ein- schlägigen Artikel in der jeweiligen Konvention eine gesonderte Erklärung abgeben, dass sie das Individualbe- schwerdeverfahren anerkennen. Dies ist der Fall bei Artikell 22 der Anti-Folter-Konvention (CAT), bei Artikel 14 der Anti-Rassismus-Konvention (ICERD) und bei Artikel 77 der Wanderarbeiterkonvention (ICRMW). Wie beim Zusatzprotokoll muss eine Mindestzahl von Staaten diese Erklärung abgegeben haben, bevor das Verfahren Gültigkeit erlangt. Bei der Wanderarbeiterkonvention ist dies noch nicht der Fall. Im Mai 2010 haben erst 2 von 10 Staaten die Erklärung zu Artikel 77 verbindlich abgegeben. Bei drei anderen Verträgen regelt die Individual- beschwerde ein Zusatzprotokoll: beim Zivilpakt (CCPR) durch das erste Zusatzprotokoll sowie die Zusatzproto- kolle zur Frauenrechtskonvention (CEDAW) und zur Konvention zu den Rechten von Personen mit Behinde- rung (CRPD). Alle drei Zusatzprotokolle sind hinreichend ratifiziert und in Kraft. Die entsprechenden Zusatzpro- tokolle für den Sozialpakt und die Kinderrechtskonvention sind, wie erwähnt, noch nicht ratifiziert bzw. im Stadi- um der Ausarbeitung. Faktisch existieren zurzeit (Stand: Mai 2010) insgesamt fünf in Funktion befindliche Indi- vidualbeschwerdeverfahren: Zivilpakt Anti-Folter-Konvention Anti-Rassismus-Konvention Frauenrechtskonvention Konvention zu Personen mit Behinderungen Der Ausschuss zur Konvention gegen Rassendiskriminierung und der Ausschuss zur Anti-Folter-Konvention haben in eiligen Fällen zusätzlich die Möglichkeit, ähnlich den VN-Sonderverfahren bei der Regierung direkt zu intervenieren (urgent action procedure). Der Ausschuss gegen Rassendiskriminierung hat darüber hinaus ein Frühwarnsystem entwickelt. Die Ausschüsse zur Anti-Folter-Konvention und zur Frauenrechtskonvention kön- nen darüber hinaus in eigener Regie eine Anhörung anberaumen, wenn belastbare Indizien darauf hindeuten, 177 dass in einem Vertragsstaat schwerwiegende und systematisch durchgeführte Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Allerdings haben hier die Vertragsstaaten die Möglichkeit, mittels einer gegenteiligen Erklä- rung – bei CAT nach Artikel 28, bei CEDAW nach Artikel 10 des Zusatzprotokolls – dieses Anhörungsverfahren für sich auszuschließen. Diese Erklärung müssen die Regierungen jedoch im Zuge des Ratifizierungsprozesses vornehmen. Versäumen sie diesen befristeten Zeitraum, gilt das Anhörungsverfahren als akzeptiert, und auch rückwirkend lässt sich das Verfahren – zumindest de jure – nicht mehr ausschließen. Eine Beschwerde einreichen kann jede Person oder Gruppe, die sich in ihren Rechten mit Bezug auf das jewei- lige Übereinkommen verletzt fühlt, und soweit der Staat, auf dessen Territorium die Person oder die Gruppe lebt, das Übereinkommen ratifiziert sowie die Kompetenz des Vertragsorgans für das Entgegennehmen der Beschwerde anerkannt hat. Die Beschwerde muss auf nachprüfbaren Fakten beruhen, schwerwiegender Art sein und eine systematische Verletzung des Menschenrechts andeuten. Die Beschwerdeführer müssen außer- dem entweder nachweisen, dass sie alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausgeschöpft haben oder plausibel dar- legen, warum die Inanspruchnahme des Rechtsweges im betroffenen Staat unbillig ist; etwa bei Defiziten im nationalen Rechtsschutz und Gerichtssystem, die die Beschwerdeführer dem betreffenden Staat hilflos auslie- fern würde. Beschwerden können auch im Namen des Opfers durch Dritte vorgebracht werden, soweit das Opfer die Beschwerde nicht selbst vortragen kann und die Eingabe durch Dritte schriftlich autorisiert ist. Selbst in Fällen, in denen das Opfer nicht in der Lage ist, die Autorisierung zu leisten, weil es z. B. aus Selbstschutz anonym bleiben muss, können Dritte die Beschwerde einreichen. Beschwerden durch Dritte, die ausschließlich auf Zeitungsberichten beruhen, werden in der Regel abgewiesen. Die Vertragsorgane wenden sich nach Erhalt der Beschwerde und deren Prüfung an die Regierung und erbitten eine Stellungnahme. Je nach Fall kann hierbei der Regierung eine relativ kurze Frist gesetzt werden, und paral- lel kann der Fachausschuss (Vertragsorgan) einen Berichterstatter mit eigenen Nachforschungen beauftragen. Der Fachausschuss wertet alle Informationen aus und teilt die Ergebnisse der beklagten Regierung mit, zum Teil versehen mit Empfehlungen zur Behebung des angezeigten Missstands. Auch hier kann der Fachaus- schuss der Regierung eine Frist setzen, bis zu der eine Antwort auf die Empfehlungen und ein Bericht zu den konkreten Maßnahmen erwartet werden. Soweit ein Fall besonders dringlich scheint, haben die Fachausschüs- se die Möglichkeit einer vorläufigen Entscheidung (Eilaktion / urgent action procedure; s. o.), um nicht wieder- gutzumachende Schäden für die Beschwerdeführenden zu verhindern. Das Beschwerdeverfahren ist im Sinne der Streitschlichtung und nicht eines strafenden Urteils angelegt. Laut Vertrag verpflichtet sich die ratifizierende Regierung, der Empfehlung des Ausschusses Folge zu leisten. Gleichwohl üben die Entscheidungen der Vertragsorgane auf die Vertragsstaaten unterschiedliche Wirkungen aus. Grundsätzlich sind die verbindlichen Entscheidungen und Empfehlungen der Ausschüsse vor keinem in- ternationalen Gericht einklagbar oder durch eine internationale Exekutive durchsetzbar. Dieses Problem tritt im Völkerrecht regelmäßig zu Tage und betrifft selbst die Entscheidungen des Internationalen (Staaten- )Gerichtshofes in Den Haag. Erfahrungsgemäß sind solche Entscheidungen gleichwohl von erheblichem politi- schem Gewicht, weil von beträchtlichem Belang für das Image der Regierung und deren öffentlicher Selbstdar- stellung. Zumal eine Entscheidung über einen Einzelfall plakativ ist und den Staat bzw. die Regierung mit einem konkreten Fehlverhalten konfrontiert. Alle Regierungen, auch Diktaturen, versuchen daher alles Mögliche, um solche Entscheidungen und Bewertungen zu vermeiden. Vergleichbar den Ergebnissen zu den VN-Sonderverfahren haben sich manchmal allein aufgrund der Kommu- nikation zwischen Vertragsorgan und Regierung Veränderungen entweder in der Gesetzgebung oder in der Umsetzung zu Gunsten Betroffener ergeben. Dem Vertragsausschuss zum Zivilpakt gelang es in mehreren Fällen, Gefangene aus der Haft zu befreien und auch eine Entschädigungszahlung für unrechtmäßige Haft zu erwirken. Seit 1990 hat der Vertragsausschuss einen speziellen Mechanismus entwickelt, um wirklichkeitsnah die Umsetzung der Normen und Empfehlungen überprüfen zu können. Ähnliches lässt sich von allen anderen Vertragsorganen in Bezug auf das Individualbeschwerdeverfahren sagen. Der Ausschuss zur Anti-Rassismus- Konvention hat im Jahr 2009 insgesamt 53 Fälle überprüft, davon 17 nicht weiter verfolgt, sich in 14 Fällen mit der Regierung in Verbindung gesetzt und in 10 Fällen eine Empfehlung ausgesprochen. Vier Fälle konnten nicht abgeschlossen werden. Die Adressen für das Zuschicken von Beschwerden an die Vertragsorgane sind 178 über die Website des Hochkommissariats für Menschenrechte ( www2.ohchr.org/english/bodies/complaints.htm ) auffindbar. Download 5.07 Kb. Do'stlaringiz bilan baham: |
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