Das Lächeln der Frauen
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Das Lächeln der Frauen
Temps des Cerises enden ließ, war aufregend. Jedoch nicht so aufregend
wie das, was dann wirklich passierte. 4 Adam Goldberg war wie vom Erdboden verschluckt. Er antwortete nicht, und ich wurde mit jeder Stunde, die verstrich, nervöser. Seit dem vorigen Abend hatte ich immer wieder versucht, ihn zu erreichen. Die Tatsache, daß man jemanden theoretisch auf vier verschiedenen Nummern anrufen konnte, und er dann, wenn es darauf ankam, doch nicht erreichbar war, erfüllte mich mit Haß auf das digitale Zeitalter. In seiner Agentur in London lief unermüdlich das Band, dessen Ansage ich inzwischen schon mitsprechen konnte. Auch auf Adams Geschäftshandy meldete sich niemand, ich konnte aber eine Nachricht hinterlassen, außerdem wurde der Teilnehmer zusätzlich mit einer SMS über meinen Anruf in Kenntnis gesetzt, das war beruhigend! Auf seinem Anschluß zu Hause klingelte das Telefon minutenlang ins Leere, bevor sich ein Anrufbeantworter einschaltete, auf dem mir die helle Stimme von Adams sechsjährigem Sohn Tom entgegenplapperte. »Hi, the Goldbergs are not at home. But don't you worry - we'll be back soon and then we can taaaaalk ...« Es folgten ein Kichern und ein Knacken, und danach kam der Zusatz, daß man das Oberhaupt der Familie Goldberg in dringenden Fällen auch auf seinem privaten Mobiltelefon erreichen konnte. »In urgent cases you can reach Adam Goldberg on his mobile ...« Erneutes Knacken, dann ein Flüstern. »What's your mobile number, Daddy«? Und dann gab die Kinderstimme in voller Lautstärke eine weitere Telefonnummer bekannt, die ich bis dato noch gar nicht kannte. Wählte man diese Nummer, teilte einem wiederum eine freundliche Automatenstimme mit, daß der Teilnehmer »vorübergehend nicht zu erreichen« war. Diesmal konnte man nicht einmal eine Botschaft hinterlassen, sondern wurde aufgefordert, es später noch einmal zu versuchen. »This number is temporarily not available, please try again later«, hieß es lapidar, und ich knirschte mit den Zähnen. Wieder im Verlag, schrieb ich gleich morgens eine Mail an die Literary Agency, in der Hoffnung, daß Adam, wo immer er sich gerade befand, seine E-Mails abrufen würde. Lieber Adam, ich versuche dich auf allen Kanälen zu erreichen. Wo steckst du?! Hier brennt die Hütte!!! Bitte ruf mich DRINGEND zurück, am besten auf dem Handy. Es geht um unseren Autor Robert Miller, der nach Paris kommen soll. Grüße, dein André. Eine Minute später war die Antwort da, und ich seufzte erleichtert, bis ich die zweisprachige Botschaft öffnete: Sorry, I'm out of the office. In urgent cases you can reach me on my mobile number. Leider bin ich nicht im Büro. In dringenden Fällen können Sie mich auf meinem Mobiltelefon erreichen. Was soll ich sagen? Es folgte die Nummer, die, wenn man sie anrief, temporarily not available war. Und so schloß sich der Kreis. Ich versuchte zu arbeiten. Ich sah Manuskripte durch, beantwortete Mails, schrieb ein paar Klappentexte, trank meinen gefühlten hundertfünfzigsten Espresso und beäugte mein Telefon. Es hatte schon oft geklingelt an diesem Morgen, aber nie war mein Freund und Geschäftspartner Adam Goldberg am anderen Ende der Leitung gewesen. Erst hatte Hélène Bonvin angerufen, eine französische Autorin, die sehr nett und auch sehr zeitintensiv war. Entweder befand sie sich mitten in einem Schreibrausch, dann erzählte sie mir von jedem kleinsten Einfall, den sie zu Papier gebracht hatte - und wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie mir wahrscheinlich am liebsten das komplette Manuskript am Telefon vorgelesen. Oder sie befand sich mitten in einer Schreibkrise, und dann mußte ich all meine Kräfte aufbieten, um sie davon zu überzeugen, daß sie eine großartige Schriftstellerin war. Dieses Mal war es also die Schreibkrise. »Ich bin völlig leer, mir fällt überhaupt nichts mehr ein«, klagte sie in den Hörer. »Ach, Hélène, das sagen Sie jedesmal, und am Ende kommt immer ein toller Roman dabei heraus.« »Diesmal nicht«, erklärte sie mit düsterer Stimme. »Die ganze Geschichte stimmt vorne und hinten nicht. Wissen Sie was, André? Gestern habe ich den ganzen Tag vor dieser blöden Maschine gesessen, und am Abend habe ich alles wieder gelöscht, was ich geschrieben hatte, weil es einfach grauenvoll war. Platt und ideenlos und voller Klischees. Kein Mensch will so etwas lesen!« »Aber, Hélène, das stimmt doch alles gar nicht. Sie schreiben so wunderbar - lesen Sie mal die enthusiastischen Rezensionen ihrer Leser auf Amazon. Außerdem ist es ganz normal, daß man ab und zu einen Durchhänger hat. Vielleicht nehmen Sie sich mal einen Tag, an dem Sie gar nichts schreiben. Dann fließen die Ideen schon wieder, Sie werden sehen.« »Nein. Ich habe ein ganz komisches Gefühl. Das wird nichts mehr. Am besten wir vergessen diesen Roman ... und ich ...« »Was reden Sie da für einen Unsinn!« unterbrach ich sie. »Sie wollen die Flinte ins Korn werfen, auf den letzten Metern? Das Buch ist doch schon so .gut wie fertig.« »Mag sein, aber es ist nicht gut«, erwiderte sie trotzig. »Ich müßte das Ding komplett umschreiben. Im Grunde kann ich alles löschen.« Ich seufzte. Es war immer dasselbe mit Hélene Bonyin. Während die meisten Autoren, mit denen ich arbeitete, die ersten Seiten in Angst umkreisten und unglaublich lange brauchten, bis sie sich dazu durchringen konnten anzufangen, bekam diese Frau ihre Panikattacken seltsamerweise immer dann, wenn Dreiviertel des Manuskripts schon geschrieben waren. Dann gefiel ihr plötzlich gar nichts mehr, alles war ein großer Mist, das Schlechteste, was sie je geschrieben hatte. »Hélène, jetzt hören Sie mir mal zu. Sie löschen gar nichts! Schicken Sie mir das, was Sie schon geschrieben haben, und ich schau es mir sofort an. Und dann reden wir darüber, ja? Ich wette, es wird phantastisch sein, so wie immer.« Ich redete noch zehn Minuten auf Hélène Bonvin ein, bevor ich den Hörer erschöpft auflegte. Dann stand ich auf und ging ins Sekretariat, wo Madame Petit gerade ein Schwätzchen mit Mademoiselle Mirabeau hielt. »Hat Adam Goldberg inzwischen angerufen?« fragte ich und Madame Petit, die ihre barocken Formen an diesem Morgen in ein großgeblümtes buntes Kleid gesteckt hatte, lächelte mich über ihre Kaffeetasse hinweg an. »Nein, Monsieur Chabanais«, entgegnete sie freundlich. »Das hätte ich Ihnen doch sofort gesagt. Nur dieser eine Übersetzer, Monsieur Favre, der hatte noch ein paar Fragen, aber er meldet sich dann später noch mal. Und ... ach ja, Ihre Mutter hat angerufen und bittet dringend um Rückruf.« »Um Himmels willen!« Ich hob abwehrend die Hände. Wenn meine Mutter dringend um Rückruf bat, kostete mich das mindestens eine Stunde. Dringend war es aber nie. Im Gegensatz zu mir hatte die Gute viel Zeit, und sie liebte es, mich im Verlag anzurufen, denn dort ging immer jemand ans Telefon. Wenn ich nicht greifbar war, plauderte sie eben mit Madame Petit, die sie »ganz reizend« fand. Irgendwann einmal hatte ich Maman meine Nummer im Verlag gegeben - für den Notfall. Leider waren ihre Vorstellungen von einem Notfall sehr verschieden von meinen, und sie rief mit treffsicherem Gespür immer dann an, wenn ich gerade auf dem Sprung war, um zu einem Termin zu eilen, oder unter Hochdruck ein Manuskript lektorierte, das möglichst noch bis' zum Nachmittag in Satz gehen sollte. »Stell dir vor, der alte Orban ist beim Kirschenpflücken von der Leiter gefallen und nun liegt er im Krankenhaus ... Oberschenkelhalsbruch! Was sagst du dazu? Ich meine ... muß der in seinem Alter noch auf Bäumen rumklettern?« Download 1.37 Mb. Do'stlaringiz bilan baham: |
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