Ein Justizmord? Die Hinrichtung der Jeanne d’Arc


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Ein Justizmord Die Hinrichtung der Jeann-1



Ein Justizmord?
Die Hinrichtung der Jeanne d’Arc
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Am 30. Mai 1431 wurde auf dem Marktplatz der nordfranzösischen Stadt 
Rouen eine 19-jährige Frau wegen Ketzerei auf dem Scheiterhaufen ver-
brannt, die als Jeanne d’Arc, die »Jungfrau von Orléans«, in die Geschich-
te eingegangen ist. Jeanne d’Arc ist heute die wohl bekannteste Gestalt 
des europäischen Spätmittelalters, deren Wirken von William Shakes-
peare und Friedrich Schiller bis hin zum modernen Kino wie dem 1999 
entstandenen Film »The Messenger: The Story of Joan of Arc« des fran-
zösischen Regisseurs Luc Besson gewürdigt worden ist. Angesichts ihrer 
breiten und vielfältigen Rezeption und ihrer nach wie vor bestehenden 
Faszination fällt es allerdings nicht leicht, die Grenze zwischen National-
heldin, früher »Feministin«, Heiliger, Politikerin, »politischer Heiliger« 
und historischer Persönlichkeit zu ziehen. Von wissenschaftlicher Seite 
aus ist die Geschichte der Jeanne d’Arc zwar gut aufgearbeitet worden, 
doch es stellt sich immer die Frage, wie das Interesse an ihr zu unterschied-
lichen Zeiten gelagert war und welches Geschichtsbild dabei die Deu-
tungshoheit hatte.
In der aktuellen Theaterlandschaft ist es zur Zeit die Gesellschaftsko-
mödie »Shirley Valentine oder Die heilige Johanna der Einbauküche« von 
Willy Russell, die das Thema aufgreift, aber in eine vollkommen andere 
Richtung zielt. Johanna ist eine frustrierte Hausfrau, die nach dem Auszug 
der Kinder einen Neuanfang wagt. Bertolt Brecht sah dies ganz anders, 
als er 1929/30 mitten in der Weltwirtschaftskrise in seinem Drama »Die 
heilige Johanna der Schlachthöfe« das Schicksal der Heilsarmeeaktivistin 
Johanna Dark aufgriff, die in den Schlachthöfen von Chicago auf tragi-
sche Weise lernen muss, dass christliche Nächstenliebe und religiös moti-
viertes Mitleid nicht ausreichen, um das Los der Arbeiterklasse zu bessern 
und die politisch-sozialen Verhältnisse zu verändern.
Geht man abermals in der Zeit zurück, dann trifft man auf weitere 
Deutungen. So wurde Friedrich Schillers »Die Jungfrau von Orleans« als 
»neues romantisches Trauerspiel« im Jahre 1801 in Leipzig uraufgeführt. 
Schiller ging es bei seinem dichterischen Schaffen weniger um historische 
Treue im Detail, sondern wie auch Bertolt Brecht um politische Aussagen. 
Schiller projizierte ganz bewusst Probleme seiner Zeit auf die französische 
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Geschichte des 15. Jahrhunderts. Ihm ging es um die Idee des National-
staates, der sich in den Aktionen der Jungfrau als Nationalheldin und 
Verteidigerin des Vaterlandes manifestierte. Inwieweit darüber hinaus bei 
ihm Bedrohungsgefühle gegenüber dem napoleonischen Frankreich mit 
hineinspielten, kann hier nicht weiter erörtert werden.
Blickt man noch weiter zurück, dann stößt man auf ein anderes litera-
risches Portrait der Jeanne d’Arc in dem 1734 entstandenen »komischen 
Epos« »La Pucelle d’Orléans« aus der Feder Voltaires (1694-1778), des 
französischen Philosophen, Literaten, Vordenkers der Aufklärung und 
eines der meist gelesenen Autoren des 18. Jahrhunderts. Es handelt sich 
dabei um eine Persiflage, die nicht zuletzt aufgrund ihrer deftigen Spra-
che und ihrer sexuellen Anspielungen selbst noch als Raubdruck starke 
Verbreitung fand. Voltaires Interpretation ist geprägt von einer distanzier-
ten Haltung gegenüber Kirche und Religion, was ihm prompt im Jahr 
nach dem Erscheinen der »Pucelle« einen Haftbefehl einbrachte, dem er 
sich durch Flucht entzog. Diese künstlerischen Bearbeitungen haben mit 
Sicherheit das Geschichtsbild von Jeanne d’Arc bis heute stärker geprägt 
als es Historiker mit ihrer Quellenarbeit und Quellenkritik jemals ver-
mocht haben.
Darüber hinaus gibt es einen weiteren Punkt, der hier bislang kaum 
angeklungen ist, nämlich ihre Heiligkeit. Während für uns heute fast 
selbstverständlich ist, dass die Jungfrau von Orléans eine Heilige ist, was 
nicht zuletzt in den oben angesprochenen Titeln der Theaterstücke von 
Brecht und Russell zum Ausdruck kommt, war dies für Voltaire noch gar 
kein Thema. Dies trifft einen wesentlichen Punkt, der in der öffentlichen 
Wahrnehmung meist komplett ausgeblendet wird, nämlich die Tatsache, 
dass die Heiligsprechung von Jeanne d’Arc erst im Jahre 1920, d.h. vor 
noch nicht einmal hundert Jahren, erfolgte. Auch hierbei lohnt abermals 
der Blick auf den zeithistorischen Kontext. Im 19. Jahrhundert entwickel-
te sich Johanna in Frankreich zum nationalen Symbol. Dabei besaß sie 
den Vorteil, dass sie von beiden großen Richtungen des stark polarisierten 
politischen Spektrums vereinnahmt werden konnte: Die katholischen Mo-
narchisten feierten ihre Demut und tiefe Frömmigkeit und setzten die 
Jungfrau von Orléans als gehorsames Werkzeug Gottes in Analogie zur 
Gottesmutter, der Jungfrau Maria. Demgegenüber hoben die antiklerikal 
eingestellten liberalen Republikaner Jeannes Mut und Widerstand gegen-
über der Obrigkeit, ihren Patriotismus und ihre Herkunft aus einfachen 
Verhältnissen hervor.
Im Jahre 1867 wurden Jeannes vermeintliche Reliquien auf dem Dach-
boden einer Apotheke gefunden. Das Gefäß trug eine Aufschrift, die 
seinen Inhalt als Asche vom Scheiterhaufen in Rouen mit den sterblichen 
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Überresten der Jungfrau beschrieb. Erst seit wenigen Jahren weiß man 
aufgrund wissenschaftlicher Untersuchungen, dass man einer Täuschung 
aufgesessen war; eine in der Asche gefundene Rippe stammte keineswegs 
von der so tragisch ums Leben Gekommenen, sondern von einer ägypti-
schen Mumie. Hinter dem damaligen Sensationsfund standen offenbar 
Anstrengungen, die Heiligsprechung der Jungfrau von Orléans voranzu-
treiben. Solche Verfahren am Heiligen Stuhl dauern meist Jahrzehnte 
und sind Gegenstand akribischer Untersuchungen und Prüfungen; daher 
verwundert es nicht, wenn die Seligsprechung erst 1909, die Heiligspre-
chung schließlich 1920 erfolgte.
Noch während des Zweiten Weltkrieges wiederholte sich die ambivalen-
te politische Instrumentalisierung von Jeanne d’Arc. Sie wurde einerseits 
zu einer Symbolfigur der Résistance, andererseits stellten auch das Vichy-
Regime und die deutschen Besatzer sie in den Dienst ihrer politischen 
Agitation. Diese Beispiele mögen verdeutlichen, wie schillernd das Bild 
von Jeanne d’Arc bis heute ist und wie es vermutlich auch in Zukunft 
bleiben wird.
Es erscheint angesichts dessen fast aussichtslos, sich ihr als historischer 
Person anzunähern. Doch ganz so schlecht stehen die Chancen dafür 
nicht. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, einen Überblick über die 
komplexe Forschungssituation zu geben, doch so viel sei gesagt: Seit den 
1840er Jahren begannen Historiker, die Geschichte der Jeanne d’Arc 
aufzuarbeiten. Grundlage dafür bildete das damals erschienene mehrbän-
dige Quellenwerk von Jules Quicherat, das die Akten des Prozesses gegen 
sie enthielt. Hinzu traten eine Reihe weiterer Editionen, die auch in jün-
gerer Zeit durch neue Quellenfunde fortgeführt wurden.
Im folgenden soll nach einer für die hier formulierte Fragestellung 
notwendigen Definition des Begriffes Justizmord zunächst ein Lebensab-
riss der Jungfrau von Orléans vor dem zeitlichen Hintergrund ihres Wir-
kens gegeben werden. Es folgt die Erkundung ihres politischen Umfeldes, 
wobei besonders die Person und das Selbstverständnis des von ihr zum 
französischen Thron verholfenen Karl VII. zu behandeln sein wird. Schließ-
lich soll dann zu der entscheidenden Frage gekommen werden, ob es sich 
bei ihr um das Opfer eines Justizmordes gehandelt hat oder nicht.
Der Hintergrund: Frankreich im 15. Jahrhundert
Geboren wurde Jeanne wahrscheinlich im Jahr 1412 in dem kleinen Ort 
Domrémy (domus Remigii), heute ihr zu Ehren Domrémy-la-Pucelle ge-
nannt, eine 150 Einwohner zählende Gemeinde in Lothringen. Sie war 
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die Tochter von Bauern, deren sozialer Status bis heute in der Forschung 
umstritten ist, und hatte mehrere Brüder. Die Familie zählte offenbar zur 
dörflichen Führungsschicht und verfügte über bescheidenen Wohlstand. 
Jeanne war drei Jahre alt, als im Jahre 1415 der englische König Heinrich 
V. ein seinen eigenen Truppen weit überlegenes französisches Heer auf 
dem Schlachtfeld von Azincourt in Nordwestfrankreich vernichtend 
schlug und die Ansprüche der englischen Könige auf den französischen 
Thron neu formulierte.
Wie England war Frankreich im Mittelalter ein Königreich. Das Ge-
schlecht der Kapetinger hatte dort durch glückliche Zufälle vom 10. bis 
zum frühen 14. Jahrhundert in ununterbrochenener Folge die Könige 
gestellt. Zur dynastischen Legitimierung und zur sakralen Überhöhung 
des Königtums hatte man im 12. und 13. Jahrhundert eine Reihe von 
symbolisch aufgeladenen Gegenständen, Texten und Ritualen geschaf-
fen, die traditionsbildend wurden. Zum einen führte man sich auf den 
Frankenkönig Karl den Großen zurück, was bereits im Leitnamen Karl/
Charles, den zahlreiche kapetingische Könige trugen, zum Ausdruck kam. 
Seit dem 12. Jahrhundert führte man in Schlachten ein wundertätiges 
Banner mit, die sog. Oriflamme, die man ebenfalls auf den großen Karl 
zurückführte. Der König von Frankreich wurde in Reims, dem traditionel-
len Krönungsort, nicht nur gekrönt, sondern auch mit himmlischem Öl 
gesalbt. Dieses stammte aus der Saint-Ampoulle, der »heiligen Ampulle«, 
die der Legende nach einst dem Reimser Erzbischof von einer Taube 
anläßlich der Taufe des fränkischen Königs Chlodwig vom Himmel herab 
gebracht worden war. Zwar hatten für diese Legende in erster Linie Reim-
ser Interessen Pate gestanden, doch besaß dieses Ritual, das sogenannte 
Sacre, auch für die Könige eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Die 
mit himmlischem Öl gesalbten Monarchen erhielten dadurch ein ganz 
besonderes Charisma, das sie unter allen irdischen Herrschern heraushob 
und es ihnen angeblich ermöglichte, die Skrofeln, eine Hautkrankheit, 
zu heilen. Seit Ende des 13. Jahrhunderts verfügte man überdies mit dem 
1270 gestorbenen Ludwig IX. (»Saint Louis«) über einen von der Kirche 
offiziell heilig gesprochenen Ahnherrn. Bereits die französischen König-
söhne wurden in dem Bewußtsein erzogen, auserwählt zu sein; dies be-
zeugen zahlreiche Erziehungsschriften, sogenannte Prinzenspiegel. Auch 
im Königreich wurden diese Dinge propagiert und waren dort offenbar 
präsent, wie die auch in der Volkssprache verbreiteten sog. Grandes Chro-
niques de France seit Ende des 13. Jahrhunderts dokumentieren.
Als in den Jahren 1316, 1322 und 1328 nacheinander die drei Söhne 
und Herrschaftsnachfolger König Philipps IV. (des Schönen) (†1314) 
ohne regierungsfähige Nachkommen verstarben, kam es zur Krise. Man 
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behalf sich mit der Königserhebung Philipps VI., der als Graf von Valois 
aus einer Nebenlinie der Kapetinger stammte. Doch blieb dies nicht un-
widersprochen; so erhob u. a. der englische König Edward III. Ansprüche 
auf den französischen Thron, die er aus der Tatsache herleitete, dass sei-
ne Mutter ebenfalls eine Tochter Philipps des Schönen war. Dieser An-
spruch stand im Kontext eines schon lange schwelenden Konfliktes zwi-
schen den Königsdynastien von Frankreich und England und eskalierte 
Ende der 1330er Jahre im Hundertjährigen Krieg. Edward III. zögerte 
nicht, seinen 1337 offiziell erhobenen Erbansprüchen militärische Taten 
folgen zu lassen. Die englischen Truppen dominierten im 14. und im 
frühen 15. Jahrhundert die Schlachtfelder in diesem mit unterschiedli-
cher Intensität über Jahrzehnte geführten Konflikt, der sich vornehmlich 
auf dem französischen Festland abspielte. Er führte um die Mitte des 14. 
Jahrhunderts zur zeitweiligen Gefangenschaft des französischen Königs, 
die mit hohen englischen Lösegeldforderungen, großer wirtschaftlicher 
Not und einer massiven politischen Destabilisierung einherging.
Seit den 1370er Jahren kehrte zeitweilig Ruhe ein, die in England nach 
Putsch und Antritt einer königlichen Nebenlinie, den Herzögen von Lan-
caster, im frühen 15. Jahrhundert zu einer Wiederaufnahme der gegen 
Frankreich gerichteten Kampfhandlungen führte. Die seit 1392 auftreten-
de schwere psychische Erkrankung und damit einhergehende Regie-
rungsunfähigkeit Karls VI. von Frankreich (†1422) trugen das Ihre dazu 
bei. Die Folgen der Schlacht von Azincourt 1415, in der die Engländer 
unter ihrem König Heinrich V. ein zahlenmäßig weit überlegendes fran-
zösisches Heer besiegten, waren beträchtlich. Es starb dort nicht nur die 
Blüte der französischen Ritterschaft, sondern englische Truppen besetz-
ten in der Folgezeit den Norden Frankreichs bis zur Loire. Auch Paris 
geriet in ihre Hand; der regierungsunfähige König Karl VI. und seine Frau 
Isabella/Isabeau waren gezwungen, in das weiter östlich gelegene Troyes 
auszuweichen und in den folgenden Jahren einen Kompromiß mit den 
übermächtigen Feinden einzugehen.
La Pucelle
Um das Jahr 1424 setzten bei der damals 12-jährigen Jeanne d’Arc über-
natürliche Wahrnehmungen ein. Sie hörte Stimmen, die ihr rieten, sich 
einer von ihren Eltern geplanten Verlobung zu widersetzen und weiterhin 
ledig und Jungfrau zu bleiben. Anders als heute war dieses Lebensalter 
im Spätmittelalter durchaus schon für Heiratsplanungen geeignet. Inter-
essant ist, dass das junge Mädchen nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, 
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statt der Ehe ein Leben im Kloster oder als Inklusin wählte, sondern im 
Hause der Eltern wohnen blieb. Auch später noch sollte ihr ihre Jungfräu-
lichkeit wichtig bleiben wie der Name, den sie bei ihrer Mission wählte, 
verrät: »La Pucelle« ist etymologisch ein abgeleiteter Diminutiv von puella
analog zum deutschen »Mädchen« im Sinne von einer jungen, unverhei-
rateten Frau.
Am 25. Dezember 1428 verließ Jeanne mit 16 Jahren ihr Elternhaus. 
Ihre inneren Stimmen bzw. – wie sie es selbst empfand, aber vor der Öf-
fentlichkeit geheim hielt – die Heiligen Katharina und Margarethe sowie 
der Erzengel Michael führten sie dabei. Es gelang ihr, den Stadtkomman-
danten der nahegelegenen Festung Vaucouleurs, einem der letzen Stütz-
punkte der französischen Krone im Osten Frankreichs, von ihrer Mission 
zu überzeugen. Sie erbat sich eine berittene Eskorte, die sie durch das 
besetzte Frankreich zum Dauphin Karl (VII.) nach Chinon brachte, einer 
Stadt an der unteren Loire. Dort traf sie am 1. März 1429 nach elf Tagen 
Ritt durch Feindesland an seinem Hof ein. Angesichts ihrer sozialen Her-
kunft überraschend, konnte sie ihn von ihrem Auftrag überzeugen, im 
Namen Gottes ihn, den Dauphin, und Frankreich aus der politisch pre-
kären Lage zu befreien, und prophezeite ihm seine Krönung in der von 
den Engländern besetzten Kathedralstadt Reims zum König von Frank-
reich. Angeblich glaubte ihr der Prinz aufgrund eines von ihr überbrach-
ten göttlichen Zeichens.
Nach mehreren am Hof durchgeführten und von Jeanne erfolgreich 
bestandenen Prüfungen bekam sie die von ihr gewünschte Rüstung, Män-
nerkleider und eine kleine militärische Eskorte. Ihr erster Auftrag führte 
mit einem Proviantzug nach Orléans. Diese strategisch bedeutende Stadt 
war der Brückenkopf an der Loire, der den Zugang zu den südlich an-
schließenden, noch nicht von englischen Truppen besetzten französi-
schen Gebieten öffnete. Die Stadt wurde damals von John of Lancaster, 
einem Bruder des schon verstorbenen englischen Königs Heinrich V., 
belagert. Am 29. April 1429 erreichte Jeannes Zug das eingekesselte und 
demoralisierte Orléans und brachte die Wende. Die von ihrer göttlichen 
Mission begeisterten Truppen wagten am 7. Mai einen Ausfall, der von 
der »Jungfrau von Orléans« angeführt wurde. Jeanne d’Arc blieb dabei 
trotz einer Verwundung auf dem Feld bei den kämpfenden Soldaten und 
beeindruckte diese damit zusätzlich. Einen Tag später hoben die Englän-
der ihren Belagerungsring auf und zogen ab.
Dies veränderte die politische Situation nachhaltig. Am 17. Juli 1429 
schließlich wurde der Dauphin im Beisein von Jeanne d’Arc, wie ihm von 
ihr prophezeit worden war, in der Kathedrale von Reims als Karl VII. zum 
französischen König gesalbt und gekrönt. Der Ruhm der Jungfrau erreich-
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te damals seinem Höhepunkt. Doch kam es in der Folgezeit zu einer 
Entfremdung zwischen dem neuen König und seiner Retterin. Jeannes 
Versuch, gegen das von den Engländern besetzte Paris vorzustoßen, miß-
lang unter hohen Verlusten am 8. September 1429. Es war ein Feiertag, 
der Geburtstag der Jungfrau Maria. Für Jeanne mochte das Sinn ergeben 
haben, ihre Umgebung empfand die Niederlage wegen des Bruches der 
Feiertagsruhe als Strafe Gottes. Karl VII. wandte sich von ihr ab und be-
trieb einen Friedensschluß mit seinen Feinden. Zwar konnte Jeanne Paris 
doch noch befreien, geriet aber am 23. Mai 1430 nahe dem nördlich ge-
legenen Compiègne durch Verrat in burgundische Gefangenschaft und 
wurde gegen ein hohes Lösegeld an die mit diesen verbündeten Englän-
der ausgeliefert.
Es folgte ein gegen sie angestrengter Prozess vor einem geistlichen 
Gericht in der englisch besetzten normannischen Erzbischofsstadt Rouen, 
der durch ein wissenschaftliches Gutachten der Universität Paris theolo-
gisch und kirchenrechtlich abgesichert wurde. Als rückfällig gewordene 
Ketzerin für schuldig befunden und dem weltlichen Arm übergeben, 
wurde sie ein Jahr nach ihrer Gefangennahme am 30. Mai 1431 auf dem 
Marktplatz von Rouen auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Es ist unschwer erkennbar, dass die Geschichte damit noch nicht zu Ende 
ist. 24 Jahre später, im Jahre 1455, wurde ihr Prozess nach einem Antrag 
bei der päpstlichen Kurie in Rom wieder aufgenommen. Bereits dies 
spricht für »Unregelmäßigkeiten«, die den Verdacht eines Justizmordes 
nahelegen. Daher lohnt die Frage nach den Hintergründen. Initiator für 
die Rehabilitierung war der inzwischen politisch fest im Sattel sitzende 
französische König Karl VII. Er hatte 1449 Rouen von den Engländern 
zurückerobert und 1453 den endgültigen Sieg über sie in der Schlacht von 
Castillon an der unteren Dordogne errungen. Damit endete nicht nur der 
Hundertjährige Krieg mit England, sondern Karls erfolgreiche Politik 
führte auch zum Verlust nahezu aller englischen Festlandbesitzungen ein-
schließlich der wichtigen Hafenstadt Bordeaux. Der Revisionsprozess hat-
te zur Folge, dass das Urteil gegen Jeanne d’Arc im Jahre 1456 schließlich 
aufgehoben und sie damit posthum vollkommen rehabilitiert wurde.
Soweit die wichtigsten Daten zu Jeanne d’Arc, die Anlass zu einer Reihe 
von Vermutungen geben. Zum einen liegt der Verdacht nahe, dass bei 
ihrem gewaltsamen Ende Interessen ihrer politischen Gegner eine wesent-
liche Rolle gespielt haben. Ferner muss man sich fragen, wie stark man 
sie als Akteurin und wie stark als Opfer bewerten soll und warum sie keine 
Hilfe von ihrem König, dem sie auf wundersame Weise zum Thron ver-
holfen hatte, erhielt. Es muss daher noch eine andere Geschichte erzählt 
werden, nämlich die des französischen Dauphins und späteren Königs 
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Karl VII. (*1403 †1461). Das erste Urteil gegen Jeanne d’Arc im Jahre 
1431 hatte nämlich nicht nur ihr das Leben gekostet, sondern ihn gleich-
zeitig massiv diskreditiert. In letzter Konsequenz besagte der Schuld-
spruch nämlich nichts anderes, als dass Karl seine Krönung in Reims und 
damit sein Königtum einer überführten und gerichtlich verurteilten Ket-
zerin zu verdanken hatte! Bedenkt man die Bemühungen der französi-
schen Herrscher aus dem Hause Valois sowie deren Vorgänger, ihr König-
tum zu sakralisieren und damit auf höchstem Niveau zu legitimieren, dann 
dürfte es sich bei einem solchen Vorwurf nicht nur um Verunglimpfung 
oder Rufmord, sondern um eine veritable Katastrophe gehandelt haben.
Als Jeanne den sechsundzwanzigjährigen Karl im Jahre 1429 in Chinon 
kennen lernte, war er in einer politisch und persönlich prekären Situati-
on. Geboren als vorletztes von insgesamt zwölf Kindern aus der Ehe zwi-
schen König Karl VI. von Frankreich und seiner Frau Elisabeth (alias 
Isabella bzw. Isabeau) von Bayern hatte er bei seiner Geburt im Jahre 1403 
kaum Chancen, jemals die französische Königskrone zu tragen. Doch zwei 
seiner Brüder verstarben bereits im Kleinkindalter, zwei weitere Dauphins 
ereilte dasselbe Schicksal als junge Erwachsene. Der Name Dauphin/
Delphin leitet sich von dem Delphin-Wappen der Grafschaft Vienne ab, 
mit der die jeweiligen französischen Thronfolger seit der Mitte des 14. 
Jahrhunderts belehnt wurden. Als Karls ältere Brüder Ludwig und Johann 
kurz hintereinander in den Jahren 1415 und 1417 das Zeitliche segneten, 
behaupteten böse Zungen, sie seien vergiftet worden. Allein das Gerücht 
spricht für eine damals bestehende politische Destabilisierung, und es 
waren tatsächlich schwierige Jahre für die französische Monarchie. Der 
regierende König Karl VI. litt, wie schon erwähnt, unter einer Geistes-
krankheit, die ihn für lange Zeitphasen handlungunfähig machte. Dies 
führte zu wechselnden politischen Konstellationen am Hof, wobei die 
einzelnen Parteien auch vor Mord und anderen Gewalttaten zur Durch-
setzung oder Verteidigung der eigenen Machtposition nicht zurück-
schreckten.
Als Akteure betätigten sich Vertreter verschiedener königlicher Neben-
linien, die bis auf den Tod miteinander verfeindet waren. In den ersten 
beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts eskalierte der Konflikt, dessen 
Zentrum die Hauptstadt und Königsresidenz Paris bildete. Im Jahre 1407 
ließ Herzog Johann von Burgund, genannt Ohnefurcht (frz. Jean sans 
Peur), ein Cousin Karls VI., den Bruder des Königs, Herzog Ludwig von 
Orléans, ermorden. Ein Verwandtenmord, zumal am Bruder des Königs, 
war etwas Unerhörtes und auch für einen Fürsten ein schweres Verbre-
chen, so dass sich Johann mit einem juristischen Gutachten über eine von 
ihm begangene Tötung eines »Tyrannen« öffentlich rechtfertigte. Er ging 
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straffrei aus, usurpierte in der darauffolgenden Zeit die Macht in der 
Hauptstadt und sicherte sie mit brutalen Methoden wie der Hinrichtung 
des königlichen Hofmeisters.
Dagegen formierte sich eine weitere Fürstengruppe, an deren Spitze 
Herzog Jean de Berry stand, ein anderer Königsspross und Onkel Karls 
VI., und der offene, nur von kurzen Friedensphasen unterbrochene und 
Jahre dauernde Bürgerkrieg brach aus. Vom Volksaufstand der sogenann-
ten »Cabochiens« überrollt, musste der Herzog von Burgund 1413 die 
Hauptstadt verlassen. In diese Situation fiel 1415 die extrem verlustreiche 
Niederlage der französischen Ritterschaft gegen die Engländer bei Azin-
court. Um seine Stellung bei Hofe auch dynastisch abzusichern, hatte der 
Burgunderherzog eine seiner Töchter mit dem Dauphin Johann verhei-
ratet. Der Tod dieses Schwiegersohnes im Jahre 1417 beraubte ihn der 
Hoffnung, auf dynastischem Wege wieder an die Macht zu gelangen. 
Stattdessen bemächtigte er sich des paralysierten Königs und bildete in 
Troyes eine Gegenregierung gemeinsam mit der Königin Isabella, die 
spätestens zu diesem Zeitpunkt zum Angriffsziel massiver Invektiven der 
gegnerischen Seite wurde.
Am 28. Mai 1418 eroberte Johann von Burgund erneut Paris. Den Con-
nétable Bernard d’Armagnac, nach dem Tode des Herzogs von Berry das 
Haupt der gegnerischen Seite, ließ er brutal ermorden. Angesichts der 
Bedrohung der Hauptstadt durch die Engländer, mit denen der Burgun-
derherzog Verhandlungen führte, suchte dieser einen Ausgleich mit dem 
neuen Dauphin Karl (VII.), der sich jedoch der Gegenpartei zuwandte und 
zu deren neuem Kopf avancierte. Am 10. September 1419 trafen sich die 
beiden Anführer der Parteien der »Bourguignons« (Burgunder) und »Ar-
magnacs« mit einigen Begleitern zu Verhandlungen auf der Brücke von 
Montereau östlich von Paris, die mit dem gewaltsamen Tod Herzog Jo-
hanns Ohnefurcht endeten. Dieses Verbrechen brachte den Dauphin Karl 
in schwere Bedrängnis, da er sich nicht hinreichend vom Mordverdacht 
am Schwiegervater seines verstorbenen Bruders reinwaschen konnte.
Dies führte im darauffolgenden Jahr zum Vertrag von Troyes zwischen 
dem kranken König Karl VI. und dem Sieger von Azincourt, dem engli-
schen König Heinrich V. Er sollte den Dauerkonflikt zwischen beiden 
Reichen beenden und zwar zugunsten von England. Die Krone und das 
Königreich Frankreich sollten nach dem Tod Karls VI. an König Heinrich 
V. von England übergehen, der eine Tochter Karls und Isabellas geheira-
tet hatte. Schon zu Lebzeiten Karls VI. sollte die Herrschaft von seinem 
englischen Schwiegersohn stellvertretend für ihn ausgeübt werden; für 
die Zeit danach wurde eine Personalunion beider Königreiche vereinbart. 
Der Vertrag endete mit der bezeichnenden Klausel, dass man »unter Be-
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rücksichtigung der furchterregenden und verblüffenden Verbrechen und 
Missetaten, die von Karl, dem genannten Dauphin, gegen das Königreich 
Frankreich begangen wurden«, überein gekommen sei, »dass wir, unser 
Sohn Heinrich und auch unser sehr teurer Sohn Philipp, Herzog von 
Burgund, niemals einen Friedensvertrag mit genanntem Karl anstreben 
werden.« Hieran ist einerseits erkennbar, dass der Dauphin Karl aufgrund 
seiner Verbrechen faktisch von der Thronfolge ausgeschlossen worden 
war, und andererseits, in welch starkem Maße der Sohn des ermordeten 
Johann von Burgund, Herzog Philipp (der Gute), als neuer politischer 
Akteur hervortrat.
Die weiteren Entwicklungen seien kurz skizziert: Die politischen Ver-
hältnisse entwickelten sich nicht ganz im Sinne des 1420 geschlossenen 
Vertrages. Sowohl Karl VI. von Frankreich wie auch Heinrich V. von Eng-
land starben im Jahre 1422. Während Karl einen zwar politisch und 
moralisch diskreditierten, aber erwachsenen Sohn hinterließ, folgte dem 
in Troyes triumphierenden englischen König Heinrich V. ein Sohn im 
Säuglingsalter und damit eine jahrelange vormundschaftliche Regie-
rung. Dies schwächte die englische Dominanz und führte zu wenngleich 
begrenzten Handlungsspielräumen des Dauphin Karl, der in den darauf-
folgenden Jahren einen Kreis von Anhängern um sich scharen und als 
»kleiner König von Bourges« seinen Hof in der mittelfranzösischen Stadt 
aufschlagen konnte.
Dies war die politische Situation, als Jeanne d’Arc im Jahre 1429 auf 
den Plan trat. Bevor man nun aber eine spannende Geschichte einfach 
weitererzählt oder bereits Stellung ergreift, sollte man sich die Frage 
stellen, auf welcher Überlieferung unsere Kenntnisse von ihrem Wirken 
und ihrer Wirksamkeit beruhen. Es wurde bereits erwähnt, dass die zeit-
nahen Quellen erst in dem Moment berichten, als sie auf der politischen 
Bühne in Erscheinung tritt. Viele »private« oder religiöse Aspekte sind 
uns erst im Nachhinein, nämlich aus dem Prozess gegen sie im Jahre 1431 
überliefert. Hinzu kommt, dass die Originalunterlagen wie die Verhöre 
verschollen sind. So stützen sich unsere Kenntnisse im wesentlichen auf 
ein wenige Tage nach dem Urteil gegen sie aufgesetztes Notariatsinstru-
ment mit den Anklageartikeln, der Schuldbegründung, dem Urteil und 
Exkommunikationssentenz, das sich in beglaubigten Abschriften aus 
dem Jahr 1456 überliefert hat. Zum anderen besitzen wir eine 1435 ent-
standene Überarbeitung eines Protokolls in lateinischer Sprache, von 
dem fünf Abschriften angefertigt wurden, von denen sich wiederum drei 
erhalten haben. Als drittes Quellenzeugnis dient die sog. »Minute Fran-
çaise«. Es handelt sich dabei um Notizen von den Verhandlungen, die 
die beteiligten und protokollierenden Gerichtsnotare jeweils abends kol-
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lationierten und redigierten. Sie ist allerdings ebenfalls verloren. Ihre 
Spuren finden sich im oben bereits genannten Libellus der Anklage des 
Promotors Jean d’Estivet mit insgesamt 70 Artikeln, ferner in zwei Kom-
pilationen, die im Kontext des Rehabilitationsprozesses angefertigt wur-
den, u.a. sog. Manuscrit d’Urfé.
Man erkennt daran unschwer, wie schwierig die Quellenlage ist, auf der 
Historiker der letzten knapp zweihundert Jahre ihre Deutungsgebäude 
errichtet haben. Um die »politische« Jeanne d’Arc besser einschätzen zu 
können, hat natürlich die Frage nach den von ihr gehörten »Stimmen« 
immer eine wichtige Rolle gespielt. Gerade die moderne Wissenschaft 
musste dazu Stellung nehmen, wobei hier natürlich der »Krankheitsdis-
kurs« klar dominiert. So pendeln die Einschätzungen zwischen einer Er-
krankung an Schizophrenie oder an Magersucht, da beide Krankheitsbil-
der zu veränderten Bewusstseinszuständen führen können. Visionen, 
moderne Mediziner würden vermutlich eher von Halluzinationen spre-
chen, ergeben sich gerade im Kontext von strengem Fasten. Dies weiß 
man seit Menschengedenken, und selbst die Bibel berichtet davon.
Blickt man dagegen auf die Diskurse des Spätmittelalters, dann lässt sich 
sagen, dass die Vorstellung, Stimmen zu hören, den Zeitgenossen durch-
aus nicht fremd war und keineswegs notwendig auf organische Ursachen 
zurückgeführt wurde. Menschen, die bereits zu Lebzeiten als Heilige gal-
ten, d.h. die eine besondere Nähe zu Gott hatten, waren vielleicht nicht 
ganz älltaglich, aber durchaus geläufig. Problematisch wurde es immer 
dann, wenn ein solches Geschehen der kirchlichen Aufsicht entglitt, weil 
der oder die Betreffende einen exklusiven, d. h. von der Kirche unkont-
rollierten Zugang zu Gott und den himmlischen Heiligen für sich rekla-
mierte. Eine junge unverheiratete Frau wie Jeanne d’Arc, die in keinem 
Kloster lebte und die zudem ihren Stimmen einen höheren Stellenwert 
einräumte als der Autorität der Amtskirche mit ihren theologisch und 
kirchenrechtlich geschulten Klerikern, war hier natürlich besonders ge-
fährdet und angesichts ihrer politischen Wirksamkeit auch besonders 
gefährlich. Hier konnte statt vermeintlicher göttlicher Eingebung auch 
der Teufel zu ihr sprechen.
Diese Skepsis gegenüber ihrer Mission galt nicht nur für die Vertreter 
der Amtskirche. Auch der Dauphin ließ Jeanne 1429 in Chinon eingehend 
durch Fachleute prüfen und autorisierte sie erst danach. In seinem dies-
bezüglichen Schreiben bezog er sich am Schluss programmatisch auf ei-
nen Pharisärer aus der Apostelgeschichte namens Gamaliel, der die von 
Christus in die Welt geschickten Jünger an ihrem zukünftigen Erfolg ge-
messen hatte, getreu der Annahme, dass sie bei mangelnder göttlicher 
Legitimation ohnehin zum Scheitern verdammt wären. Damit sicherte 
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sich Karl einerseits gegenüber dem Vorwurf von Kritikern ab, er würde 
einer vom Teufel besessenen Bauerntochter sein Schicksal anvertrauen, 
andererseits wurden Jeanne d’Arc ihre Misserfolge in der Zeit nach der 
Krönung in Reims tatsächlich zum Verhängnis.
Ein Fund aus dem Jahre 2008 wirft ein neues Licht auf das Zeichen, das 
Jeanne dem Dauphin angeblich gewiesen hat. Es handelt sich um einen 
großen Baldachin, der von Kunsthistorikern in das zweite Viertel des 15. 
Jahrhunderts datiert wird. Auf ihm sind – folgt man der Pressemitteilung 
des Louvre – zwei große schwebende Engel abgebildet, die mit einer blau-
en, mit Lilien übersäten Tunika bekleidet sind und eine Krone mit dem 
königlichen Emblem halten. Der purpurrote Hintergrund dieses großen 
Gobelins ist mit einer großen goldenen Sonne und unzähligen kleinen 
Sonnen verziert. Ludwig XIV. war nicht der erste französische Herrscher, 
der sich mit diesem Symbol verglich. Die Dynastie der Kapetinger stellte 
bereits im Mittelalter die Sonne als königliches Wahrzeichen zur Schau. 
Wenn König Karl/Charles VII. auf seinem Thron unter dem Baldachin 
saß, erschienen hinter ihm zwei Engel, die aus dem Himmel herabstiegen, 
um ihn zu krönen und so die göttliche Legitimation seines Königtums zu 
bestätigen. Der Gobelin illustriert auf diese Weise den Anspruch auf den 
Königstitel von Karl VII., dem ›kleinen König von Bourges‹, der dank 
Jeanne d’Arc 1429 in Reims gekrönt wurde.
Die Aussage des Baldachins ist eindeutig; es legitimiert Karls Königtum 
allein durch die göttliche Gnade, selbst die Engel sind gekleidet in die 
Wappenfarben der Könige Frankreichs. Es scheint aber noch auf etwas 
anderes zu verweisen. Tatsächlich sprach auch Jeanne d’Arc in den Ver-
hören, denen sie unterzogen wurde, mehrfach von einer Krone, die Karl 
in der Zeit, in der sie ihn in Chinon aufsuchte, von Engeln gebracht wur-
de. Von einer vom Himmel gesandten Jungfrau erzählt der Baldachin 
allerdings nichts.
War Johanna Opfer eines Justizmordes? 
Auf die Frage, ob Jeanne d’Arc das Opfer eines Justizmordes geworden 
ist, können eine Reihe unterschiedlicher Antworten gegeben werden. Der 
Prozess gegen sie begann im Februar 1431 vor einem geistlichen Gericht 
und endete im Mai des selben Jahres. Der Inquisitionsprozess, so ver-
schrieen er ist, ist eigentlich ein sehr rationales Verfahren, in dem der 
oder die Beklagte intensiv verhört wird, worunter allerdings auch die 
Androhung oder Anwendung der Folter fallen kann. Jeannes letzte Befra-
gung fand am 31. März statt. Nach allem, was wir wissen, scheint sie nicht 
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gefoltert worden zu sein. Allerdings standen in den Anklagepunkten, die 
aus den Verhören zusammengestellt wurden, ziemlich üble Unterstellun-
gen und Verdrehungen, zu denen sie sich äußerte und die sie teilweise 
zurückwies. In diesem Kontext wurde sie letztmalig gefragt, ob sie sich 
dem Urteil der Kirche unterwerfen wolle. Das Anklagebegehren wurde 
schließlich auf 12 Artikel gekürzt, wobei der Hauptanklagepunkt auf Un-
gehorsam gegenüber der Kirche lautete. Am 2. Mai wurde sie durch die 
meisten Experten der Jury für schuldig befunden. Es folgen nochmals 
feierliche Ermahnungen in Gegenwart von 63 Beisitzern wegen Hochmut, 
Ungehorsam, Unzüchtigkeit der Männerkleider, Vermessenheit des Re-
kurses auf Gott, Lügen und Subversion gegenüber der Kirche, der »Frech-
heit« der Prophetie, Anmaßung der Verehrung ungewöhnlicher Erschei-
nungen und drohende Abgötterei. Mit anderen Worten handelte es sich 
um Ketzerei.
Domkapitel und Gericht äußerten sich am 2. Mai dahingehend, ein 
Gutachten der Fakultäten für Theologie und Kirchenrecht der Universität 
Paris abzuwarten und auf die Anwendung der Folter zu verzichten. Am 
14. Mai war das Gutachten fertig. Die darin gegen sie erhobenen Vorwür-
fe lauteten auf Abgötterei, schismatische Neigungen und Abtrünnigkeit 
von der Kirche. Offenbar beeindruckt von einer Predigt schwor Jeanne 
am 24. Mai 1431 schließlich ab, so dass das Urteil zwar auf ewige Kerkerhaft 
lautete, allerdings verbunden mit einer Aufhebung der über sie verhäng-
ten Exkommunikation. Aber anscheinend wurde sie trotz allem nicht 
wieder zu Messe und Abendmahl zugelassen, was dazu führte, dass sie am 
28. Mai wieder in Männerkleidung erschien und damit quasi ihre Ab-
schwörung widerrief. Sie argumentierte, dass die Stimmen sie davor ge-
warnt hätten und sie daher um ihr Seelenheil fürchtete. Lieber wolle sie 
sterben, als die Gefängnisqualen aushalten. Ob hier allein panische Angst 
zum Ausdruck kam, wäre diskussionswürdig. Jeanne selbst scheint sich 
anders wahrgenommen zu haben. Zwar nannte sie sich öffentlich nur »la 
Pucelle«, das Mädchen, aber letztendlich gab sie zu, dass sie sich in Ana-
logie zum Gottessohn als »Fille de Dieu«, also als Gottestochter verstand, 
darin waren Gefangennahme, Gericht und Opfertod enthalten.
Mit dem Widerruf war es um sie geschehen. Am 31. Mai 1431 erfolgt die 
Urteilsverkündung auf dem Marktplatz von Rouen. Johanna wurde für rück-
fällig, ketzerisch und exkommuniziert erklärt und dem weltlichen Arm über-
geben. Der Amtmann von Rouen, ein Engländer, befahl, sie »ohne weiteren 
Prozess und Urteil zum Richtplatz zu bringen, wo sie verbrannt werden 
sollte« (Georges Duby), was auch geschah. Der Historiker Gerd Krumeich 
spricht von einer Hinrichtung »ohne jede weitere Erörterung«. Offensicht-
lich wurde dies als Rechtsbruch empfunden, wie überlieferte Tumulte unter 
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der anwesenden Bevölkerung belegen. 18 Jahre später, im November 1449, 
zog Karl VII. in das von ihm eroberte Rouen ein. Der von ihm geforderte 
Rehabilitationsprozess widerlegte die Vermutung, dass er sich 1429 bei sei-
ner Krönung als gesalbter König von Frankreich einer überführten und für 
schuldig befundenen Ketzerin bedient hatte.
Fasst man die gewonnenen Erkenntnisse zusammen, dann lässt sich fol-
gendes Ergebnis festhalten: Allein aufgrund des mit ihrer vollständigen 
Rehabilitation und der Aufhebung der Exkommunikation geendeten Pro-
zesses post mortem kann man von einem Justizmord sprechen. Allerdings fragt 
sich im Sinne der eingangs gegebenen Definition, ob sein Ausgangspunkt 
ein Justizirrtum bildete oder ein mutwillig herbeigeführtes Fehlurteil. Letz-
teres dürfte im Falle von Jeanne d’Arc dann mit einem politischen Mord 
gleichzusetzen sein. Betrachtet man ihre Erscheinungen und ihre Stimmen 
und berücksichtigt man, wie sie mit ihnen umging, dann dürfte dies in den 
Augen von theologisch und kirchenrechtlich geschulten Klerikern ganz 
erhebliches Misstrauen ihr gegenüber hervorgerufen und sie als überführte 
und damit todeswürdige Ketzerin erscheinen lassen haben. In diesem Feld 
bewegten sich die zeitgenössischen Diskurse und Deutungen; den Diskurs 
einer »Nationalheldin«, eines »nationalen Symbols«, den einer »englischen 
Staatsfeindin Nr. 1 in einem politischen Schauprozess« oder gar den einer 
»frühen Feministin als Opfer des Patriarchates« kannte man dagegen noch 
nicht. Was das Spätmittelalter allerdings sehr wohl kannte, war das Problem 
der politischen und religiösen Legitimation eines Herrschers. Wie riskant 
hier der Rekurs auf die »Jungfrau von Orléans« war, zeigte sich am Verhalten 
und an den Legitimationsformen, die Karl VII. vermutlich bei seiner Krö-
nung im Jahre 1429 wählte. Die Krone wurde ihm aus dem Himmel von zwei 
Engeln gereicht, die den Wappenrock des französischen Königs trugen. 
Eines Mädchens aus der Provinz als »Königsmacherin« bedurfte es zu diesem 
Zeitpunkt offenbar schon nicht mehr.
Ellen Widder ist Professorin für Mittelalterliche 
Geschichte an der Universität Tübingen

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