“Gliederung der Grammatik in Morphologie und Syntax


Verwendung der syntaktischen Mittel zur Wortartenklassifikation


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2.2. Verwendung der syntaktischen Mittel zur Wortartenklassifikation
Schon bei kurzer Betrachtung des deutschen Wortschatzes stellen wir fest, dass
keineswegs alle Wörter flexivisch verändert werden können. Wir verschieben
die Betrachtung dieser unveränderlichen Wörter, auch Partikeln genannt, zunächst einmal.
Bei den flektierbaren gibt es solche, die einem verbalen Flexionssystem
angehören, auch Konjugation genannt. Die morphologischen Kategorien sind
Person, Numerus, Modus, Tempus und Genus Verbi.
Ein Verb (→ 2.2.4.1 S. 33f.) ist also – im besten Fall – ein Wort, das das
gesamte verbale Flexionsparadigma aufweist. Allerdings gibt es auch einige
problematische Fälle, z.B. Verben wie staubsaugen, fernsehen, spritzlöten usw.
Versucht man sie zu konjugieren, so stellt man bald fest, dass die finiten Formen hier oft nicht sehr plausibel sind: ich sehe fern vs. *ich lötete spritz oder
*ich spritzlötete. Dagegen sind korrekt: (Das) Spritzlöten ist eine Technik zum
Verbinden sehr dünner Bleche. Spritzgelötete Bleche sind normal belastbar. Es
treten also nur die infiniten Formen auf, und diese sind substantivisch und adjektivisch verwendet. Es handelt sich hier um sog. »defektive Verben«: Sie
weisen kein vollständiges Paradigma auf und sind deswegen auch nicht in allen
verbalen Verwendungsweisen möglich. (siehe Altmann/Kemmerling 22005,
2.5.7. S. 93).
Bei den deklinierbaren Wörtern hört man keineswegs auf dieser Ebene
der Unterscheidung auf, sondern zieht weitere morphologische Merkmale zur
Subkategorisierung heran. Üblicherweise dient das Merkmal der Komparierbarkeit (→ 2.3.3.5, S. 45), also die Möglichkeit der Bildung von Komparativ
und Superlativ neben dem sog. Positiv, z.B. schön, schöner, am schönsten, zur
Abgrenzung der Adjektive (→ 2.2.4.2, S. 34f.). Aber dabei handelt es sich um
ein problematisches Merkmal, einmal, weil keineswegs alle Adjektive komparierbar sind, z.B. die sog. absoluten Adjektive wie tot, hölzern (in der nicht-
übertragenen Bedeutung), und andererseits einige Adverbien wie oft komparierbar sind.
Wir schlagen deshalb vor, die Adjektive dadurch von den übrigen deklinierbaren Wortarten abzutrennen, dass man das Merkmal der Flexionsklassenflexibilität heranzieht: Adjektive können in pränominaler attributiver Verwendung sowohl stark als auch schwach als auch gemischt flektiert werden, je
nachdem, ob kein Artikel oder ein definiter oder indefiniter Artikel vorausgeht:
(2-4) das schöne Wetter, kein schönes Wetter, schönes Wetter ...
Nun kommen starke, schwache und gemischte Deklination auch bei Substantiven vor, aber ein einzelnes Substantiv gehört immer nur einer Deklinationsart
an. Mit diesem morphologischen Merkmal wird eine syntaktisch homogene
Wortmenge abgegrenzt. Die typischen adjektivischen Verwendungen wie prä-
nominales und postnominales Adjektiv-Attribut, modal-adverbiales Adjektiv,
prädikatives Adjektiv und prädikatives Attribut sind bei fast allen derart abgegrenzten Adjektiven möglich:
(2-5) das kranke Kind, Escorial grün (attributiv)
(2-6) Das Kind ist krank. (präd.)/Das Kind geht langsam. (mod.advb.)
(2-7) Das Kind kommt krank nach Hause. (prädikatives Attribut)
Ganz ähnlich verhalten sich in syntaktischer Hinsicht die Präsens-Partizipien
(Part. I). Sie sind Verben direkt zugeordnet, treten aber im Standard-Deutschen
nicht in eigentlichen Verbfunktionen auf, also z.B. in einer komplexen Tempusform, im Gegensatz etwa zum Bairischen, wo es folgende regelhafte Struktur
gibt (»=« für die klitische Bindung):
(2-8) [dç˘ »i˘s=å »lAUfåd Bon] ›da ist=er laufend worden‹
was etwa bedeutet: ›Da hat er sich allmählich in Bewegung gesetzt‹. In dieser
Hinsicht also müsste man das Suffix -end als Wortbildungssuffix zur Ableitung
von deverbalen Adjektiven einordnen. Auch für diese Part. I gilt, dass sie attributiv und adverbial verwendbar sind, aber nicht prädikativ. (→ Altmann/Kemmerling 2005, 1.4.8, S. 37).
Und nun wollen wir auch noch einen Blick auf die Perfekt-Partizipien
(Part. II) werfen, also Formen wie gelaufen, gefragt. Auch sie sind überwiegend Verben zuzuordnen, und sie treten auch in verbalen Formen auf, z.B. in
Perfekt, Plusquamperfekt, Futur II sowie in Passiv-Formen. Insofern gehört
diese Form zum verbalen Paradigma. Aber in flektierter Form können sie auch
wie Adjektiv-Attribute auftreten, normalerweise aber nicht als prädikative Adjektive, es sei denn, die Partizip-Form hat sich semantisch vom Bezugsverb getrennt und ist wirklich zum Adjektiv geworden (z.B. (un)verschämt/er/est).
Blickt man nun auf die Substantive, so kann man gleich einleitend konstatieren, dass zwischen Adjektiven und Substantiven ein offener Übergang besteht. Fast alle Adjektive sind auch substantiviert verwendbar, einfach durch
Verwendung als substantivischer Kern einer NP, begleitet von einem Artikel.
Nun also zu der Abgrenzung der Substantiva (→ 2.2.4.3, S. 35). Die – offene
– Grenze zu den Adjektiven wurde bereits erwähnt, auch das Trennkriterium
der (fehlenden) Komparierbarkeit, doch sollte hier immerhin angemerkt werden, dass natürlich komparierte Adjektive auch substantiviert auftreten können:
der Schönere, das Beste an dieser Sache. Wir stützen uns hier, wie erwähnt,
auf das Kriterium der Flexionsklassenflexibilität. Nun umfasst aber die verbleibende Gruppe auch Elemente, die wegen ihres syntaktischen Verhaltens ausgegliedert werden sollten, nämlich die Artikel, die nie als Kern einer NP auftreten können, sondern nur als Begleiter, und die Pronomina, die in typisch pronominaler Verwendung eine ganze NP ersetzen können. Wir wollen die morphologische Markierung so weit wie möglich als Trennkriterium ausreizen und
schlagen deshalb nicht die Artikelfähigkeit als Trennkriterium vor, sondern Genus als Flexionskategorie. Genus ist beim Substantiv keine morphologische
Kategorie, sondern ein inhärentes lexikalisches Merkmal. Man kann das Genus
eines Substantivs verändern, ohne dass sich an der Flexion des Substantivs etwas ändert, z.B. das Radio/der Radio (bair.), der Teller/das Teller, der Teil/das
Teil.
Im Gegensatz dazu indiziert der Artikel (→ 2.2.4.5, S. 36f.; 3.4.3, S. 98f.)
das Genus morphologisch, so dass er mit einem gewissen Recht auch Geschlechtswort genannt worden ist. Aber einige Wermutstropfen fallen schon in
diesen Kelch: Der definite Artikel ist im Plural genusindifferent, hat also nur
eine Form pro Kasus: die, der, den, die. Beim indefiniten Artikel sind im Singular die masc. und die neutr. Form nur im Akkusativ unterschieden: einen
Mann, ein Kind. Der Plural fehlt. Damit sind aber aus syntaktischer Sicht die
möglichen Artikel-Formen noch nicht erschöpft. In Frage kommen noch u.a.
die Possessiv-Pronomina mein/dein/sein. Doch sie zeigen zwar genusspezifische Flexionsmerkmale, aber keine Genusflexion im engeren Sinn. Gleiches
gilt auch für Pronomina und Quantoren (→ 3.4.4, S. 99f.), soweit sie pränominal als Substantiv-Begleiter verwendet werden, also z.B. alle, sämtliche, manche, einige, beide; nicht zuletzt deshalb werden sie auch oft den pränominalen
Adjektiv-Attributen zugeordnet. Doch die meisten Quantoren werden pluralisch verwendet, und da haben auch die typischen Artikel keine Genusunterscheidung. Die singularisch verwendbaren hingegen haben diese Unterscheidung: irgendeiner/irgendeine/irgendein, jeder/jede/jedes; jener/jene/jenes; dieser/ diese/dieses. – Damit ist man auch schon bei den Pronomina (→ 2.2.4.4,
S. 34) in der eigentlich pronominalen Verwendung als Vertreter von NP. Bei
den Personalpronomina zeigen die 1. und 2. Ps.Sg. und Pl., die eigentlich Rollendeiktika und keine (anaphorischen) Pronomina sind, keine Genusformen,
die 3.Ps. Sg. mit er/sie/es aber sehr wohl, doch nicht im Pl. jener/dieser usw.
verhalten sich in dieser Hinsicht wie er/sie/es. Aber es gibt auch ganz schwierige Fälle: Das w-Pronomen etwa unterscheidet masc. und fem. nicht, (wer/
wessen/wem/wen), die Form des Neutrums ist hochgradig defektiv. Gegen die
üblichen Darstellungen soll festgehalten werden, dass es hier nur die Form was
gibt, die für Nom. und Akk. verwendet wird, aber keine Genitiv- und DativFormen. Bei man ist schließlich die Verwendung völlig auf den Nominativ beschränkt, ohne jede Genusunterscheidung.
Obwohl also die Problematik gerade erst angedeutet wurde, ist doch schon
klar, dass das Kriterium der Genusmarkierung allenfalls einen sehr schmalen
prototypischen Kern der Pronomina und Artikel auszeichnet. Für die wünschenswerte Trennung von Artikel und Pronomina gibt das Kriterium gar
nichts her.
Der Blick auf die nicht-flektierbaren Wörter und deren Klassifikationsprobleme kann nicht so ausführlich ausfallen, zumal die Probleme hier noch
wesentlich größer sind und sich erst in jüngster Zeit eine Art Konsens ausgebildet hat. – Es versteht sich, dass bei morphologisch unveränderlichen Wörtern die Morphologie kein Klassifikationskriterium sein kann – oder doch? Die
Präpositionen (→ 3.5.3, S. 103f.) weisen zwar keine Flexion auf, sie bestimmen aber qua Rektion die Kasusform der zugehörigen NP. Genauer: Sie verlangen einen obliquen Kasus. Mit diesem Kriterium sind die Vergleichspartikeln (→ 3.5.5, S. 105) als und wie aus dieser Gruppe ausgegliedert: Sie zeigen
keine Rektion, sondern die von ihnen verbundenen NP zeigen via Kongruenz
gleichen Kasus, natürlich auch Nominativ.
Wesentlich schwieriger sind die Modalpartikeln (→ 3.5.7, S. 108f.) abzugrenzen. Sie sind erst seit ca. 25 bis 30 Jahren ein Thema in der Forschung, und
das ist eine sehr kurze Zeit. Sie sind morphologisch unveränderlich und haben
auch keine morphologischen Fernwirkungen wie Rektion und Kongruenz. Die
Kategorie Modalpartikel kann also nur aufgrund syntaktischer Eigenschaften
der Verwendung, also der syntaktischen Funktion Modalpartikel identifiziert
werden. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass die Modalpartikel-Verwendung essentiell mit Satztypen (oder Aussageweisen, die mit diesen Satztypen
verknüpft sind) zu tun hat, aber nicht in dem Sinn, dass sich die Teilmengen
nicht gegenseitig überlagern.
(2-9) doch, eben, halt, ja, schon, wohl (Verb-Zweit-Aussagesatz)
(2-10) auch, denn, etwa, eigentlich, wohl (Verb-Erst-Fragesatz)
(2-11) bloß, denn, doch, nur, schon, wohl (w-Verb-Zweit-Fragesatz)
(2-12) bloß, doch, eben, halt, nur, JA, schon (Verb-Zweit-Imp.-Satz)
(2-13) bloß, doch, nur (V-1-Wunschsatz)
(2-14) aber, auch, doch, vielleicht (Exklamativsätze)
Diese Zuordnung zu Satztypen (→ 7., S. 157-167) ist also bereits ein wichtiges
Merkmal zur Abgrenzung der Gruppe der Modalpartikeln. – Auf einen besonders schwierigen Punkt soll noch hingewiesen werden: Alle Wörter, die als
mögliche Modalpartikeln angeführt wurden, treten noch in anderen syntaktischen Funktionen auf, z.B. nur, auch in Gradpartikel-Funktion. Je nach Funktion haben diese Partikeln unterschiedliche Bedeutung, wobei diese Bedeutung
denkbar schwer zu fixieren ist, und damit stellt sich die Frage, ob es sich überhaupt um ein Wort mit einer Kategorie und mehreren syntaktischen Funktionen
handelt, oder aber um mehrere homonyme Wörter mit je einer syntaktischen
Funktion. Bei den Partikeln scheint es also plausibel, Kategorie und Funktion
parallel zu konstruieren, d.h. die genaue Partikelkategorie ergibt sich immer
erst aus der jeweiligen Funktion im syntaktischen Kontext.


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