Praxis originalartikel Praxis 2012; 101 (19): 1239–1249 1239
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- S. Vögeli, 9 A. von Gunten, 10 Schweizer Expertengruppe Konsensus 2012 zur Diagnostik
- PRAXIS Originalartikel Praxis 2012; 101 (19): 1239–1249 1240
- Diagnostik durch den Hausarzt
- PRAXIS Originalartikel Praxis 2012; 101 (19): 1239–1249 1241 Vorgehen des Hausarztes bei Demenz- verdacht
- Indikation für weitergehende Abklä- rungen zum Beispiel an einer Memory Clinic
- Interdisziplinäre Demenzabklä- rung an einer Memory Clinic Klinische Untersuchung
- Neuropsychologische Untersuchung
- PRAXIS Originalartikel Praxis 2012; 101 (19): 1239–1249 1242
- Geriatrisches Assessment
- Medikamentöse Therapie der kognitiven Störungen
- Therapie der kognitiven Störungen bei Alzheimer-Demenz
- Vermittlung der Diagnose
- Therapie Prävention der Demenz
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PRAXIS Originalartikel Praxis 2012; 101 (19): 1239–1249 1239 © 2012
Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern DOI 10.1024/1661-8157/ a001085 Im Artikel verwendete Abkürzungen: AD Alzheimer-Demenz (B)ADL (Basic) Activities of Daily Living CBD Kortikobasale Degeneration ChE-H Cholinesterasehemmer DLB Lewybody-Demenz FTD Fronto-temporale Demenz IADL Instrumental Activities of Daily Living IQCODE Informant Questionnaire on Cognitive Decline in the Elderly MCI
Mild Cognitive Impairment MMSE
Mini Mental Status Examination MoCA
Montreal Cognitive Assessment NOSGER Nurses’ Observation Scale for Geriatric Patients PSP
Progressive supranukleäre Paralyse
Memory Clinic, Akutgeriatrie, Universitätsspital Basel 1 ; Département de Gériatrie 2 , Département de Psychiatrie 9 du Centre Hospitalier Universitaire Vaudois, Lausanne; Regionaler Ärztlicher Dienst Ostschweiz, St.Gallen 3 ; Akut- geriatrie, Universitätsspital Basel 4 ; Schweizerische Alzheimervereinigung, Yverdon 5 ; Direktion Alterspsychiatrie, Universitäre Psychiatrische Dienste, Bern 6 ; Universitätsklinik für Neurologie, Inselspital, Universitätsspital Bern 7 ; Alzheimervereinigung Aargau, Brugg 8 ; siehe Kasten 10
Der Konsensus 2012 wurde an einer Ex- pertentagung vom 23.–25. März 2012 in Luzern erarbeitet. Im Vorfeld erfolgten zu den einzelnen Themen Literaturrecher- chen. Die Autoren verfassten einen Ent- wurf des Papiers, welches anschliessend in einem Gutheissungsverfahren von zahl- reichen Demenz-Experten der Schweiz ratifiziert wurde. Alle Autoren und Mit- glieder der Expertengruppe tragen die hier formulierten Aussagen ausdrücklich mit. Die Expertentagung wurde vom Alzheimer Forum Schweiz finanziert. Einleitung In der Schweiz leben nach einer Schät- zung der Schweizerischen Alzheimerver- einigung, die auf europäischen Prävalenz- raten [1,2] basiert, zurzeit ca. 110 000 Menschen mit einer Demenzerkran- kung. Rund 40% dieser Menschen leben im Heim und 60% zuhause [3]. Vor allem aufgrund der demographischen Ent- wicklung ist bis im Jahr 2050 mit einer Verdreifachung der Prävalenz zu rech- nen [4]. In der Schweiz kommen jedes Jahr über 25 000 Neuerkrankte hinzu. Bei der Mehrheit aller Menschen mit Demenz wird diese nicht offiziell diag- nostiziert. Eine Demenzdiagnose besteht lediglich bei einem Drittel der Erkrank- ten, ein Verdacht auf Demenz bei einem weiteren Drittel und ein Drittel ist über- haupt nicht erfasst [5]. Schätzungen der Schweizerischen Alzheimervereinigung besagen weiter, dass pro erkrankter Per- son etwa drei direkt betroffene Nahe- stehende existieren. Zudem kümmern sich in der Schweiz zusätzlich ca. 300 000 Personen (Ärzte, Pflegende, Therapeuten, Betreuende u.a.) z.B. in Heimen, Spitä- lern, Praxen und Spitex beruflich um Demenzerkrankte. Aber nur einer von vier Erkrankten erhält eine demenzspezi- fische medikamentöse Therapie, gar nur einer von fünf erhält eine demenzspezi- fische nicht-medikamentöse Behandlung [5].
Eine 2011 durchgeführte Auswertung der Daten des Pflegedokumentationssys- tem RAI von 26 000 HeimbewohnerIn- nen in der Deutschschweiz und im Tes- sin zeigt, dass bei ca. zwei Dritteln aller HeimbewohnerInnen eine Demenzdiag- nose oder ein -verdacht besteht. Zum heutigen Zeitpunkt ist Demenz nicht heilbar, umso wichtiger sind deshalb Prävention und symptomatische Inter- ventionen. Sorgfältige Berechnungen ergaben für die Schweiz Gesamtkosten (direkte und indirekte Kosten) von CHF 6,9 Milliarden pro Jahr [6]. Neunzig Prozent der Ge- samtkosten fallen für Pflege und Be- treuung der Menschen mit Demenz an. Die in diesem Konsensus erarbeiteten Empfehlungen zu Diagnostik und The- rapie möchten einen Beitrag zur Verbes- PRAXIS__Originalartikel__Praxis_2012;_101_(19):_1239–1249_1240'>PRAXIS Originalartikel Praxis 2012; 101 (19): 1239–1249 1240 serung der Lebensqualität der betroffe- nen Patienten und deren Nahestehenden leisten. Zudem sollen die Arbeitsbedin- gungen der professionellen Betreuenden verbessert und die Kostenentwicklung im Schweizerischen Gesundheitswesen im Griff behalten werden. Diagnostik Aktuell basiert die Diagnostik der De- menz auf der klinischen Untersuchung gemäss der Definition der Demenz nach ICD 10 [7] und DSM-IV TR [8] (Abb. 1). Zurzeit werden die Diagnosekriterien überarbeitet (www.who.int/classifications/ icd/revision/en/; www.dsm5.org). Die ätiologische Zuordnung bleibt eine Wahrscheinlichkeitsdiagnostik, die in über 80% neuropathologisch bestätigt wird [z.B. 9]. Zusätzlich zur Diagnose ist die Bestim- mung des Demenz-Schweregrades wich- tig. Sinnvollerweise bezieht man sich dabei auf das Ausmass der Betreuungs- bedürftigkeit: Leicht = Es besteht eine kognitive Be- einträchtigung und
leichte Schwierigkeiten bei Alltagsak- tivitäten (z.B. Finanzen, Reisen) gegenüber früher. Der Patient lebt weitgehend unabhängig zuhause.
Mittel = Die kognitive Beeinträchti- gung und Alltagsbeeinträchti- gung sind so stark, dass der Er- krankte punktuell bzw. öfters auf Hilfe angewiesen ist (z.B. Telefonieren, Medikamenten- einnahme, Kleiderpflege, Orga- nisieren von Mahlzeiten). Die Lebensführung zuhause ist mit Unterstützung möglich. Schwer = Die Kognition und Alltagsak- tivitäten sind so stark beein- trächtigt, dass eine kontinuier- liche Betreuung notwendig ist (z.B. Nahrungsaufnahme, Kör- perpflege, Kontinenz). Ganz oder teilweise reversible Ursachen kognitiver Störungen müssen so früh wie möglich erkannt und behandelt werden. Bei den irreversiblen Ursachen ermög- licht eine frühzeitige Diagnosestellung der Demenzerkrankung die Organisa- tion einer entsprechenden medikamen- tösen und psychosozialen Therapie sowie präventive Massnahmen zur Verminde- rung von Komplikationen (z.B. Delir). Dadurch können Patienten und Nahe- stehende besser mit den Symptomen und deren Folgen leben. Dies betrifft auch die Möglichkeit zur rechtzeitigen Regelung der persönlichen Angelegen- heiten (z.B. Zukunftsplanung, Autofah- ren, Wohnform, Finanzen, Patientenver- fügung, Testament). Diagnostik durch den Hausarzt Gemäss den aktuellsten Daten der WHO [4] steigt die Prävalenz der Demenz ab Alter 60 alle fünf Lebensjahre um ca. 70% an; ab Alter 85 zeigt sich alle fünf Lebensjahre eine Verdoppelung. Bei älteren Patienten muss deshalb immer an die Möglichkeit einer demenziellen Entwicklung gedacht werden. Folgende Warnsymp-tome sollten eine Demenz- abklärung auslösen: – Betroffene und/oder Nahestehende berichten über Veränderungen men- taler Funktionen (z.B. Gedächtnis, Interesse, Antrieb) oder des Verhaltens (z.B. sozialer Rückzug, Konflikte, Überforderung, Verunsicherung). – Der Hausarzt bzw. die Praxisassisten- tinnen stellen Auffälligkeiten fest (z.B. Termine werden neuerdings nicht ein- gehalten oder es werden unnötige Er- neuerung der ärztlichen Verschrei- bungen verlangt). Neue Zeichen der Vernachlässigung sollten besonders bei allein lebenden Patienten oder bei Patienten, die sozial isoliert leben be- achtet werden. Eine hausärztliche Demenzdiagnostik und gegebenenfalls eine daran anschlies- sende interdisziplinäre Abklärung schaf- fen in den meisten Fällen Klarheit. Im Hinblick auf die unterschiedlichen the- rapeutischen Optionen ist die Differen- zierung der verschiedenen Demenzätio- logien notwendig und sinnvoll. Die Beurteilung der Fahrtauglichkeit für Motorfahrzeuge ist ein besonders wich- tiger Verantwortungsbereich des Haus- arztes. Es wurden deshalb hierfür 2012 spezielle Empfehlungen für die Schweiz formuliert und publiziert [10].
mentaler Störungen [8]. PRAXIS Originalartikel Praxis 2012; 101 (19): 1239–1249 1241 Vorgehen des Hausarztes bei Demenz- verdacht Eine ausführliche Anamneseerhebung zu Art und Verlauf der Symptome ist inte- graler Bestandteil der Abklärung. Der Fremdanamnese kommt in der Demenz- diagnostik eine besondere Bedeutung zu. Sie sollte im Einverständnis mit dem Patienten erfolgen. Die Alltagsfunktionen sollten durch ein sorgfältiges Interview der Nahestehenden und möglicherweise auch professionellen Betreuenden evalu- iert werden. Hier können standardisierte Instrumente hilfreich sein z.B. IQCODE [11]; NOSGER [12]; (B)ADL [13]; IADL [14]. Als kognitive Screening-Tests eignen sich z.B. Mini Mental Status Examination (MMSE; [15] und Uhrentest [16], MoCA [17], Minicog [18], Mementool [19]). Auffällige Resultate belegen noch keine Demenzdiagnose, sollten aber speziali- sierte Abklärungen nach sich ziehen. Umgekehrt kann bei anamnestisch be- gründeten Verdachtsmomenten eine um- fassendere Abklärung sinnvoll sein, auch wenn einzelne Testergebnisse unauffällig sind. Bei der körperlichen Untersuchung ist neben einem ausführlichen Somato-Sta- tus immer ein detaillierter Neurostatus zu erheben. Die Labordiagnostik sollte folgende Ana- lysen umfassen: Blutbild, Leukozyten, Differenzialblutbild, HbA1c, geschätzte Kreatinin-Clearence, ASAT, ALAT, Gam- ma-GT, Elektrolyte, Calcium, Vitamin B12, Folsäure, TSH. Zur Identifikation be- handelbarer Demenzen sind bei Verdacht folgende zusätzlichen Laboruntersuchun- gen zu erwägen: Luesserologie (TPHA), HIV-Serologie, Borrelien-Serologie. Neuroradiologische Diagnostik (in der Regel Magnetresonanztomographie) ist einerseits für den Ausschluss von rele- vanten Komorbiditäten (z.B. Subdural- hämatom; Malignom, Normaldruck- hydrozephalus; vaskuläre Läsionen) anderseits für die ätiologische Diagnos- tik (Quantifizierung von fokaler Atro- phie und vaskulärer Enzephalopahtie) wichtig. Diese kann u.a. im Rahmen von weiterführenden routinemässigen Abklärungen durch die Memory Clinic veranlasst werden. Differenzialdiagnostisch sollte auf fol- gende Punkte besonders geachtet wer- den, da sie auch Hinweise auf Nicht- Alzheimer Demenzen, Depression oder ein Delir geben können: – Art und Verlauf der Beeinträchtigun- gen (Initialsymptome, Progression der Symptome) – Psychiatrische Symptome und Zeichen – Neurologische Symptome und Zeichen – Alkohol- und anderer Substanzmiss- brauch
– Schlafassoziierte Störungen/Schlaf- apnoe
– Aktuelle Medikation: Polypharmazie (z.B. Benzodiazepine, Neuroleptika, Antidepressiva, Antiparkinsonmittel, Antibiotika, Medikamente mit anti- cholinergen Nebenwirkungen) – Trauma, Karzinom, Kollagenose, Endo- krinopathie, CVI/TIA – Antikoagulation oder Immunsup- pression. Indikation für weitergehende Abklä- rungen zum Beispiel an einer Memory Clinic Die differenzierte Diagnostik eines de- menziellen Syndroms ist zeitaufwendig und erfordert einen interdisziplinären Ansatz. Memory Clinics und andere ent- sprechende Institutionen können diesen anbieten (siehe
www.swissmemory- clinics.ch). Typische Indikationen für ei- ne Abklärung in einer Memory Clinic bestehen bei Patienten mit: – unauffälligen Resultaten in kognitiven Screening-Tests, deren kognitiven Be- schwerden persistieren, und die eine differenzierte neuropsychologische Untersuchung brauchen. – unklarer Differenzialdiagnose Demenz Depression – Alter Ͻ65 mit Hirnleistungsstörungen – atypischer Symptomatik (z.B. Verhal- tensstörungen, früh im Verlauf), bzw. atypischem Verlauf (z.B. rasch progre- dient) – Status nach Delir, z.B. während eines Spitalaufenthalts – Polymorbidität und kognitiven Stö- rungen – Diskrepanz zwischen Angaben des Patienten oder der Nahestehenden und den erhobenen Befunden – problematischen Beziehungskonstel- lationen oder Überforderungssitua- tionen (Patient, Nahestehende, Arzt) – unklaren Auswirkungen zwischen
kognitiver Funktionsstörung und All- tagsfunktion (z.B. Autofahren) Interdisziplinäre Demenzabklä- rung an einer Memory Clinic Klinische Untersuchung Eine bedarfsgerechte und ergänzende geriatrische, neuropsychologische, neu- rologische und psychopathologische Befunderhebung ist idealerweise inte- graler Bestandteil der interdisziplinären Demenzabklärung. Ein
besonderes Merkmal einer Memory Clinic sind die regelmässig stattfindenden interdiszipli- nären Diagnosekonferenzen. Neuropsychologische Untersuchung Die neuropsychologische Untersuchung hat auf der Stufe der interdisziplinären Demenzabklärung eine zentrale Rolle. Sie liefert ein differenziertes Leistungs- profil der kognitiven Fähigkeiten und relevante Informationen in Bezug auf die Fahreignung [10]. Als Standard einer neuropsychologischen Untersuchung sollen alle kognitiven Funktionen (Aufmerksamkeit, Arbeits- gedächtnis, exekutive Funktionen, Ge- dächtnis, Sprache und Sprechen, Raum- verarbeitung, Praxie, Gnosie) differenziert untersucht sowie das Verhalten in der Testsituation (inkl. emotionaler Befind- lichkeit) beurteilt werden. Eine Abnahme der kognitiven Funktio- nen ohne Beeinträchtigung der Aktivitä-
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Abklärungen basierend auf der Technik des geriatrischen Assessments können relevante Informationen geben z.B. über Selbständigkeit im Alltag (Aktivitäten des täglichen Lebens), Mobilität (z.B. Gang- und Gleichgewichtstestung), Funk- tionen der Sinnesorgane (Sehen, Hören), Ernährungszustand, Stimmungslage, medikamentöse Probleme (Polymedika- tion), soziales Netz und soziale Unter- stützung sowie der Umgebungssituation.
Die neuroradiologische Abklärung mit- tels einer MRI-Untersuchung des Ge- hirns ist für die Differenzialdiagnostik und zum Ausschluss einer Komorbidität hilfreich. Mit der MRI-Untersuchung lassen sich gegebenenfalls das Ausmass der vaskulären Veränderungen erfassen, der Gehirnatrophie, sowie der fokalen Atrophie des Hippocampus einschätzen. Funktionelle bildgebende Verfahren wie PET und SPECT sind bei speziellen Fragestellungen sinnvoll. Für gewisse Demenzformen sind sie aktuell schon Bestandteil der diagnostischen Kriterien [21]. Möglicherweise werden sie auch Bestandteil von zukünftigen diagnosti- schen Kriterien für die Alzheimer- Krankheit (AD) [22,23].
Liquoruntersuchungen eignen sich zum Ausschluss entzündlicher, autoimmuner oder infektiöser Prozesse. Spezielle Pro- teinkonstellationen z.B. für Alzheimer- und Creutzfeldt-Jacob-Neurodegenera- tion können bei der diagnostischen Beurteilung hilfreich sein. Der klinische der Prävention zugänglich sind, bis 50% des Demenzrisikos ausmachen [25]. Es gibt zurzeit keine Evidenz dafür, dass Cholinesterase-Hemmer (ChE-H), Vita- min E, Ginkgo biloba oder Entzündungs- hemmer die Entstehung einer Demenz oder die Progression von einer leichten kognitiven Störung zu Alzheimer-De- menz verzögern [26].
Die folgenden Therapieempfehlungen stützen sich jeweils auf mehrere rando- misierte kontrollierte Studien, die als Basis für eine evidenzbasierte Indika- tionsstellung dienen. Die Empfehlungen betreffend der symptomatischen Thera- pie der Demenz stützen sich auf andere nationale, europäische Richtlinien [26– 29] und kürzlich publizierte systemati- sche Reviews [30–33] oder Metaanalysen [34]. Sie berücksichtigen die schweizeri- sche Verschreibungspraxis [35].
In der Schweiz sind Donepezil (Aricept®), Galantamin (Reminyl®) und Rivastigmin (Exelon®) für die Therapie der leichten und mittelschweren Alzheimer-Demenz zugelassen (siehe Tabelle unten). Die Kassenzulässigkeit besteht unter der Voraussetzung, dass die kognitiven Fä- higkeiten zu Beginn der Therapie, nach drei und anschliessend alle sechs Mona- te mit dem MMSE [15] überprüft wer- den. Die Therapie soll nur mit einem Präparat durchgeführt und abgebrochen werden, sobald der MMSE-Wert [15] unter 10 Punkten liegt [35]. ChE-H stimulieren das cholinerge Sys- tem, ein Neurotransmittersystem, das im Gehirn weit verbreitet ist. Die ChE-H zeigen i.d.R. keine kurzfristigen klini- schen Effekte und es kann nicht vor- hergesagt werden, wer von einer Thera- pie profitieren wird. In mehr als zehn multizentrischen, randomisierten, dop- Stellenwert dieser Biomarker wird zur- zeit evaluiert [24].
Das EEG kann in speziellen Fällen bei der Differenzialdiagnose der Ursachen kognitiver Störungen (z.B. Epilepsie, metabolische Enzephalopathie, Creutz- feldt-Jacob-Krankheit) hilfreich sein. Genetik Gezielte genetische Analysen bei präse- nilen familiären Demenzformen (z.B. Chorea Huntington, Mutationen auf den Chromosomen 1, 14 oder 21) können diagnostisch hilfreich sein. Eine ent- sprechende genetische Beratung ist aber vor und nach der Analyse unabdingbar. Die Bestimmung des Apolipoprotein E als genetischer Risikofaktor wird auf- grund mangelnder diagnostischer Trenn- schärfe und prädiktiver Wertigkeit im Rahmen der Demenzdiagnostik nicht empfohlen. Vermittlung der Diagnose Der Patient ist in geeigneter Form über die Diagnose einer Demenz und die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu orientieren. Das Einverständnis des ur- teilsfähigen Patienten vorausgesetzt, ist eine nahestehende Person in das Diag- nosegespräch aktiv einzubeziehen. Therapie Prävention der Demenz Einige Risikofaktoren für Demenz (Alter, Geschlecht, ApoE-Genotyp) sind nicht modifizierbar, andere können beein- flusst werden. Die vaskulären Risiko- faktoren (Rauchen, Hypertension, Dia- betes mellitus, Vorhofflimmern und Adipositas) und andere modifizierbare Faktoren (wenig körperliche Aktivität oder soziale Vernetzung) im mittleren Lebensalter beeinflussen das Demenz- risiko im Alter. Es wurde geschätzt, dass die modifizierbaren Risikofaktoren, die
PRAXIS Originalartikel Praxis 2012; 101 (19): 1239–1249 1243 pelblinden Placebo-kontrollierten Stu- dien wurde eine Wirkung der ChE-H auf Kognition, Alltagsfunktion und neuro- psychiatrische Symptome untersucht und bestätigt. Die Studien schlossen über 7000 Patienten mit Alzheimer-Demenz (im Durchschnitt 72- bis 86-jährig) mit leichter bis mittelschwerer Demenz ein (MMSE 10–26) [30]. Alle 7000 Patienten dieser Studien zusammen genommen, be- trug die Drop-out Rate 29% für ChE-H und 18% für Placebo. Eine klinisch signi- fikante Verbesserung der kognitiven Funktionen wird nur bei einzelnen Er- krankten gefunden. Die Hauptwirkung der Therapie mit ChE-H liegt in einer Stabilisierung während ca. sechs Monate und damit einer Verzögerung der Ver- schlechterung. Eine Wirkung der ChE-H wurde auch bei schwerer Alzheimer- Demenz nachgewiesen [36–38]. Die zu erwartende Wirkung und die Rahmen- bedingungen für die Verschreibung sollte den Betroffenen und den Nahestehen- den vor dem Therapiebeginn erklärt werden. Vor der Therapie muss die Indi- kation anderer Medikamente mit anti- cholinergen oder
antimuskarinergen (Neben-)Wirkungen sorgfältig über- prüft werden, da die Stimulation des cholinergen Systems bei gleichzeitiger Hemmung pharmakologisch nicht sinn- voll ist [39]. Medikamente mit anticho- linergen Effekten sind u.a. trizyklische Antidepressiva, niederpotente, sedieren- de Neuroleptika (z.B. Levomepromazin) und Urininkontinenz-Therapien z.B. mit Oxybutynin, Tolterodin, etc. Die ChE-H haben eine unterschiedliche Pharmakokinetik und -dynamik. Die Substanzen werden i.d.R. gut vertragen. Studien, welche die Wirksamkeit von verschiedenen ChE-H vergleichen, fan- den keine konsistente Evidenz für unter- schiedliche Wirkung, doch unterschied- liche Nebenwirkungen [40–43]. Deshalb ist es sinnvoll, wenn Nebenwirkungen auftreten, die Applikationsform (z.B. die Umstellung von Kapseln auf Patch) oder das Antidementivum zu wechseln. Manchmal können die Nebenwirkungen auch durch Medikamenteneinnahme mit dem Essen verringert werden. Bei allen Substanzen wird ein stufenweises Dosie- ren über mehrere Wochen (1–4 Wochen) empfohlen, um dosisabhängige Neben- wirkungen zu vermeiden. Die häufigsten Nebenwirkungen bei der Dosiseinstel- lung sind gastrointestinal (Magenkrämp- fe, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall), Bra- dykardie und Synkopen [44]. Weitere mögliche Nebenwirkungen sind Schwin- del, schlechte Träume, Gewichtsverlust, Müdigkeit oder Insomnie und Tremor [30].
Eine ChE-H-Therapie wird in der Regel auf Wunsch der Angehörigen und der Patienten oder wegen Nebenwirkungen gestoppt. Der Eintritt in ein Alters- und Pflegeheim ist keine Indikation, die Therapie zu stoppen. Falls die ChE-H- Therapie gestoppt wird, sollte die Dosis stufenweise reduziert werden und auf Veränderungen der sozialen Interaktions- fähigkeit, der Beteiligung an Alltagsakti- vitäten, neuropsychiatrische Symptome und Appetitstörungen geachtet und idea- lerweise standardisiert erfasst werden.
Glutamat ist der hauptsächliche exzita- torische Neurotransmitter des Gehirns. Glutamaterge Überstimulation führt zu Kalzium-Überladung der Neuronen und zu neuronaler Schädigung. Dieser Mecha- nismus trägt möglicherweise zur Patho- genese der Alzheimer-Krankheit bei. Der postsynaptische N-Methyl-D-Aspartat- (NMDA) Rezeptor wird durch Glutamat stimuliert und durch Memantin anta- gonisiert. Memantin (Axura®, Ebixa®) ist für die symptomatische Therapie der mittelschweren bis schweren Alzhei- mer-Demenz (MMSE: 3–19) zugelassen (Tab. 1). Wie bei ChE-H, schreibt die Limitatio Kontrollen der kognitiven Leistungsfähigkeit (zu Beginn, nach drei und dann alle sechs Monate) z.B. mittels dem MMSE [15] vor. Die Therapie soll gestoppt werden, sobald der MMSE- Wert weniger als 3 Punkte beträgt [35]. Memantin soll vorsichtig aufdosiert wer- den (Steigerung der Tagesdosis um 5 mg, jede Woche bis die Zieldosis von 20 mg erreicht wird). Memantin wird gut ver- tragen. Eine positive Wirkung von Me- mantin (20 mg/täglich) auf Kognition, Alltagsfunktion und Verhalten konnte nur bei mittelschwerer bis schwerer Alz- heimer-Demenz gezeigt werden [45,33]. Neben den kognitiven Effekten [46] wur- den insbesondere auch neuropsychiatri- sche Effekte bei der Behandlung von Wahn, Agitation und Aggression gefun- den [47,48]. Ähnlich wie bei den ChE-H besteht der Haupteffekt von Memantin in einer Verzögerung der Verschlechte- rung [49]. Die Nebenwirkungen unter- scheiden sich unwesentlich von Placebo [28].
Die Wirksamkeit einer Kombinations- therapie (ChE-H plus Memantin) wurde bislang im Rahmen von Studien zu we- nig erforscht. Zwei kontrollierte, rando- misierte Studien haben die Wirksamkeit einer Kombinationstherapie bei Patien- ten mit einer mittleren bis schweren Alz- heimer-Demenz nach einer vorgängigen Behandlung mit ChE-H [50,51] unter- sucht. Die erste Studie [50] wurde wäh- rend sechs Monaten durchgeführt und zeigte eine positive Wirkung auf die Kognition und auf das Verhalten von Patienten mit einem MMSE-Wert von 5 bis 14. Die Schlussfolgerungen dieser Studie konnten aber in einer anderen, kürzlich publizierten prospektiven Stu- die [51], die über einen Zeitraum von zwölf Monaten bei Alzheimer-Patienten mit einem MMSE von 5 bis 13 durchge- führt wurde, nicht bestätigt werden. Eine einzige randomisierte prospektive und kontrollierte Studie untersuchte die Wirk- samkeit einer Kombinationstherapie bei Alzheimer-Patienten im leichten und mittleren Stadium (MMSE 10 bis 22). Nach 24-wöchiger Behandlung konnte kein Vorteil der Kombinationstherapie beobachtet werden [52]. Trotz dieser eher negativen Resultate wird manchmal eine Kombinationstherapie in einigen Ländern (USA, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Portugal) bei Alz- heimer-Patienten mit einem MMSE zwi- schen 20 und 10 Punkten angewendet. Die Expertengruppe ist der Meinung, dass es zurzeit keine ausreichende quali- tative Evidenz für eine Empfehlung einer Kombinationstherapie gibt. Die Kombi- nationstherapie ist zudem in der Schweiz nicht kassenzulässig und das zweite Medikament wäre somit vom Patienten zu bezahlen. Weitere medikamentöse Interventionen bei Alzheimer-Demenzen Download 243.48 Kb. Do'stlaringiz bilan baham: |
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