Somalia und Mogadischu waren nicht erste Wahl. Andreas Baader, der Chef der Roten Armee Fraktion, und seine Mitgefangenen wollten im Falle einer Freipressung in andere
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- I) Kein Austausch! Die Missionen des Staatsministers Wischnewski
Somalia und Mogadischu waren nicht erste Wahl. Andreas Baader, der Chef der Roten Armee Fraktion, und seine Mitgefangenen wollten im Falle einer Freipressung in andere Länder ausreisen. Die Bundesregierung vereitelte diese Pläne und legte sich dann auch auf eine Politik der Unnachgiebigkeit fest, als ein palästinensisches Kommando die Luft- hansa-Maschine „Landshut“ entführte und die Freilassung der Häftlinge in Stammheim verlangte. Der Historiker Tim Geiger vom Institut für Zeitgeschichte schildert diese Er- eignisse und die geschickte Verhandlungstaktik von Hans-Jürgen Wischnewski in Somalia. Er zeigt aber auch, mit welchen Mitteln Bundeskanzler Helmut Schmidt und sein Mann vor Ort operierten, als sie die Regierung von Siad Barre zur Mithilfe veranlaßten. Vor allem mit Blick auf die selbstauferlegte Verpflichtung, keine Waffen in Krisenregionen zu liefern, gingen sie bis hart an die Grenze des Erlaubten. Tim Geiger Die „Landshut“ in Mogadischu Das außenpolitische Krisenmanagement der Bundesregierung angesichts der terroristischen Herausforderung 1977 Der 30. Jahrestag des „Deutschen Herbsts“ 1977, in dem der Linksterrorismus in der Bundesrepublik seinen Höhepunkt erreichte, hat erwartungsgemäß eine Flut neuer Publikationen hervorgebracht. Noch immer beherrschen indes Erinne- rungswerke ehemaliger Akteure und journalistische Sachbücher das Feld. Ob- wohl teils gut recherchiert, können diese Darstellungen letztlich kaum mehr sein als nützliche Vorstudien für die mit Ablauf der 30-Jahre-Sperrfrist für amtliches Schriftgut einsetzende wissenschaftliche Aufarbeitung 1 .
Biographien, ideologisches Selbstverständnis bzw. ihre Perzeption in der Öffent- lichkeit. Allerdings gibt es Ansätze, diese Verengung zu überwinden. Neuerdings wird die lange marginalisierte Opferperspektive stärker ins Blickfeld gerückt 2 , aber auch die bislang historiographisch kaum erforschte Reaktion des Staates auf die terroristische Herausforderung 3 . Kaum beachtet wird dagegen die außenpoli- tische Dimension des Problems. Dabei stellte der Terrorismus der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) und anderer linksextremistischer Gruppierungen keineswegs nur ein innen- und gesellschaftspolitisches Problem dar. Seit Anfang der 1970er 1 Vgl. dazu die Studien des Hamburger Sozialwissenschaftlers Wolfgang Kraushaar (Hrsg.), Die RAF und der linke Terrorismus, 2 Bände, Hamburg 2006. 2 Vgl. Anne Siemens, Für die RAF war er das System, für mich der Vater. Die andere Geschichte des deutschen Terrorismus, München 2007. 3 Vgl. dazu das Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte München–Berlin, URL: http://www.ifz-muenchen.de/anti-terror-politik.html (17. 6. 2008), sowie den Tagungsbericht von Sabine Bergstermann vom 31. 3. 2008, URL: tagungsberichte/id=2134>.
VfZ 3/2009 © Oldenbourg 2009 DOI 10.1524/vfzg.2009.0049 Jahrgang 57 (2009), Heft 3 Inhaltsverzeichnis: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv.html
URL: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2009_3.pdf VfZ-Recherche: http://vfz.ifz-muenchen.de
Jahre traten die außenpolitischen Implikationen des Terrorismus immer stärker zutage.
Die grenzüberschreitende Aktivität der RAF, die in Westeuropa, im Ostblock und im Nahen Osten Ausbildungs- und Rückzugsgebiete fand, ist ebenso bekannt wie ihre transnationale Vernetzung mit radikalen Palästinensern und europäi- schen Terrorgruppen wie den „Brigate rosse“ oder der „action directe“ 4 . Dagegen ist die außenpolitische Dimension staatlichen Handelns im Anti-Terror-Kampf bis- lang kaum ins Bewußtsein gedrungen. Symptomatisch dafür ist, daß die in der vom Institut für Zeitgeschichte im Auftrag des Auswärtigen Amts herausgegebe- nen Edition „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“ (AAPD) 5
Maschine „Landshut“ nicht angemessen zur Kenntnis genommen werden. Dabei sind die AAPD, die seit 1994 alljährlich, exakt nach Ablauf der Sperrfrist die wichtigsten Akten des Außenministeriums, darunter vorwiegend einstige Ver- schlußsachen, erschließen, die international schnellste, zeitnächste und kontinu- ierlichste diplomatische Edition 6 , in der natürlich auch Probleme des Terroris- mus ihren Niederschlag finden. Die bundesdeutsche Außenpolitik war seit dem Anschlag palästinensischer Extremisten auf die israelische Olympia-Mannschaft am 5. September 1972 in München intensiv mit diesem Problem konfrontiert, als ein dilettantischer Befreiungsversuch im Fiasko endete und einen Monat später mit der durch Entführung einer deutschen Passagiermaschine erzwungenen Frei- pressung der Attentäter ein unrühmliches Nachspiel fand 7 . Auch bei der Entfüh- rung des Berliner CDU-Landesvorsitzenden Peter Lorenz und der ebenfalls erzwungenen Freilassung von fünf inhaftierten Mitgliedern der „Bewegung 2. Juni“ im Februar 1975 war das Auswärtige Amt maßgeblich in die Aktivitäten der Bundesregierung involviert 8 . Ähnliches gilt für den Überfall der RAF auf die Bot- 4 Vgl. dazu insbesondere Christopher Daase, Die RAF und der internationale Terrorismus. Zur transnationalen Kooperation klandestiner Organisationen, in: Kraushaar (Hrsg.), RAF, Bd. 2, S. 905–929. 5 Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland (AAPD) 1977, bearb. von Amit Das Gupta, Tim Geiger, Matthias Peter, Fabian Hilfrich und Mechthild Lindemann, Mün- chen 2008. 6 Überblick erschienener AAPD-Bände unter URL: http://www.ifz-muenchen.de/auswaertige_ politik_verzeichnis.html (15. 6. 2008). Zur Benutzung vgl. die „Editorischen Vorbemerkungen“ im ersten Teilband jedes AAPD-Jahrgangs; ferner Ilse Dorothee Pautsch, Die „Akten zur Auswär- tigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“. Ein Arbeitsbericht über die Erschließung der Bestände des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts, in: Archivar 61 (2008), S. 26–32; Gre- gor Schöllgen, Die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. Traditions- linien, Aufbau, Themen, in: Horst Möller/Udo Wengst (Hrsg.), 50 Jahre Institut für Zeitge- schichte. Eine Bilanz, München 1999, S. 459–467. 7 Vgl. Majid Sattar, Folgen eines Anschlags, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9. 11. 2006, S. 10. 8 Vgl. dazu Matthias Dahlke, „Nur eingeschränkte Krisenbereitschaft“. Die staatliche Reaktion auf die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz 1975, in: VfZ 55 (2007), S. 641–678. Dahlke arbeitet überwiegend mit Akten des Politischen Archivs des Auswärtigen Amts (künftig: PA-AA), berücksichtigt aber nicht die in den AAPD gedruckten früheren V[erschluß-]S[achen]- Dokumente bzw. den durch die Edition angelegten Bestand B 150 (offengelegte VS-Doku- 414 Aufsätze VfZ 3/2009 Jahrgang 57 (2009), Heft 3 Inhaltsverzeichnis: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv.html URL: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2009_3.pdf VfZ-Recherche: http://vfz.ifz-muenchen.de schaft in Stockholm im April 1975 9 . Die Relevanz des Auswärtigen Amts – und seiner Akten für eine quellenbasierte Geschichtsschreibung des westdeutschen Linksterrorismus – kann hier gar nicht überschätzt werden. Im Bestreben, die Terrorismusforschung stärker auf diesen Quellenbestand aufmerksam zu machen, wird im Folgenden anhand jüngst deklassifizierter Akten des Auswärtigen Amts das bisher wenig ausgeleuchtete außenpolitische Krisen- management der Bundesregierung untersucht, mit dem Bonn 1977 den Kampf gegen den Terror absicherte. Dabei werden im ersten Abschnitt die Bemühungen der Bundesregierung betrachtet, von jenen Ländern eine Nicht-Aufnahme-Garantie zu erhalten, welche die in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim inhaftierten Führungskader der „ersten RAF-Generation“ als Ausreiseziele genannt hatten. Um den Druck auf die Bundesregierung zur Freilassung der RAF-Häftlinge zu erhöhen, entführ- ten palästinensische Verbündete der RAF das Passagierflugzeug „Landshut“. Der fünftägige Irrflug der Lufthansa-Maschine im Nahen Osten und Ostafrika wurde zur – eben auch außenpolitischen – Bewährungsprobe der Regierung Schmidt–Genscher. Deren Agieren soll im zweiten Abschnitt behandelt werden. Abschließend gilt es die internationalen Implikationen zu beleuchten, die die erfolgreiche Befreiung der entführten „Landshut“ in Mogadischu für die Bundes- republik nach sich zog.
Mit der Entführung von Hanns Martin Schleyer, des Präsidenten der Bundesver- einigung Deutscher Arbeitgeberverbände und des Bundesverbandes der Deut- schen Industrie, am 5. September 1977 erreichte die Welle der RAF-Gewalt jenes Jahres ihren Höhepunkt. Bereits am 7. April waren Generalbundesanwalt Sieg- fried Buback mit zwei Begleitern, am 30. Juli der Vorstandssprecher der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, von RAF-Kommandos umgebracht worden 10 . Ein Anschlag der „Baader-Meinhof-Bande“ auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe scheiterte am 25. August lediglich, weil die selbstgebaute „Stalin-Orgel“ nicht funktionierte. Nach dem Vorbild der aus terroristischer Perspektive erfolgreichen Lorenz-Ent- führung wollte die RAF mit der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten elf, vor- wiegend in Stammheim inhaftierte Gesinnungsgenossen freipressen („Big Raus- hole“). Doch anders als erwartet, reagierte die Regierung Schmidt unnachgiebig und mit dem erkennbaren Willen, Zeit für die vom Bundeskriminalamt mit Hochdruck vorangetriebene Großfahndung zu gewinnen. Am 12. September 1977 teilten die Schleyer-Entführer mit, die Länder, in die ihre Gesinnungsgenos- mente). Vgl. aber z. B. Drahtbericht (DB) Nr. 59 des Botschafters Held, Sanaa, 7. 3. 1975, in: AAPD 1975, bearbeitet von Michael Kieninger, Mechthild Lindemann und Daniela Taschler, München 2006, Dok. 45, S. 234–236. 9 Vgl. Aufzeichnung des Ministerialdirigenten (MDg) Kinkel, 24. 4. 1975, in: Ebenda, Dok. 94, S. 428–432; Telefonat des Bundeskanzlers Schmidt mit Schwedens Ministerpräsident Palme, 24. 4. 1975, in: Ebenda, Dok. 95, S. 432 f. 10 Vgl. dazu Butz Peters, Tödlicher Irrtum. Die Geschichte der RAF, Berlin 2004, S. 379 ff. Tim Geiger: Die „Landshut“ in Mogadischu 415 VfZ 3/2009 Jahrgang 57 (2009), Heft 3 Inhaltsverzeichnis: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv.html URL: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2009_3.pdf VfZ-Recherche: http://vfz.ifz-muenchen.de sen auszufliegen seien, könnten „der Bundesregierung nur von den Gefangenen selbst genannt werden“ 11 . Auf Fragebogen bejahten alle Betroffenen ihre Ausrei- sebereitschaft. Andreas Baader als die auch in der Haft unangefochtene Füh- rungsfigur nannte fünf potentielle Aufnahmestaaten: Vietnam, Algerien, Libyen, Südjemen und Irak 12 . Die Bundesregierung dachte jedoch nicht an einen Austausch. Einen Tag nach Schleyers Kidnapping hatte Bundeskanzler Helmut Schmidt im großen Politi- schen Beratungskreis („Großer Krisenstab“) drei Ziele festgelegt: – „die Geisel Hanns Martin Schleyer lebend zu befreien, – die Entführer zu ergreifen und vor Gericht zu stellen, – die Handlungsfähigkeit des Staates und das Vertrauen in ihn im In- und Aus- land nicht zu gefährden; das bedeute auch: die Gefangenen, deren Freilassung erpreßt werden sollte, nicht freizugeben.“ 13 Insofern verfolgten die drei Missionen, die der Staatsminister im Bundeskanzler- amt, Hans-Jürgen Wischnewski, während der folgenden vierzehn Tage in die genannten Länder unternahm, nur ein Ziel: den Gewinn zusätzlicher Fahndungs- zeit 14
unter massivem Zeitdruck ernsthaft mit den genannten Ländern zu verhandeln. Das Gesprächsergebnis, auf das die Bundesregierung abzielte, war freilich den Intentionen der Entführer diametral entgegengesetzt: Den Erpressern sollte „bewiesen“ werden, daß die genannten Länder ihre Aufnahme verweigerten. So ließen sich die RAF-Häftlinge weiter in Gewahrsam halten, ohne Schleyers Leben zusätzlich zu gefährden. Dieses Ergebnis war keineswegs leicht zu erreichen, haf- tete doch den von Baader genannten Staaten allesamt das Stigma an, mit den von der RAF verfochtenen sozialistischen Zielen bzw. mit dem internationalen Terrorismus zu sympathisieren. Für diese diffizile Mission, die im Geheimen durchgeführt werden musste, fand sich in Hans-Jürgen Wischnewski die ideale Besetzung. Der SPD-Bundestags- abgeordnete hatte sich während des algerischen Unabhängigkeitskrieges gegen Frankreich in den 1950er Jahren tatkräftig für die Front de Libe´ration Nationale engagiert, 1961 hatte er sogar kurzzeitig die Kriegskasse der algerischen Befrei- ungsfront verwahrt 15 . Dies verschaffte ihm ein brillantes Entrée in den maghrebi- 11 Dokumentation zu den Ereignissen und Entscheidungen im Zusammenhang mit der Entfüh- rung von Hanns Martin Schleyer und der Lufthansa-Maschine „Landshut“ (künftig: Dokumen- tation), hrsg. vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn 2 1977, S. 34 u. S. 37. 12 Vgl. ebenda, S. 41 f. bzw. S. 16*–25*. 13 Ebenda, S. 18. Wischnewski berichtet rückblickend, er habe gemäß Schmidts Auftrag, das „Undenkbare“ zu überlegen, kurzzeitig erwogen, zum Schein auf ein Austauschgeschäft einzu- gehen, sofern nach Schleyers Freilassung die erneute Verhaftung der Freigepreßten im Ausland sichergestellt sei. Dieses letztlich unrealistische Gedankenspiel habe der Kanzler indes katego- risch verworfen. Vgl. Hans-Jürgen Wischnewski, Mit Leidenschaft und Augenmaß. In Moga- dischu und anderswo. Politische Memoiren, München 1989, S. 206. 14 Vgl. ebenda, S. 207. 15 Zu Wischnewskis Algerien-Engagement vgl. ebenda, S. 105–123, bes. S. 110 ff.; ferner Claus Leggewie, Kofferträger. Das Algerien-Projekt der Linken im Adenauer-Deutschland, Berlin
VfZ 3/2009 Jahrgang 57 (2009), Heft 3 Inhaltsverzeichnis: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv.html URL: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2009_3.pdf VfZ-Recherche: http://vfz.ifz-muenchen.de nischen, später in den gesamten arabischen Raum, den der rührige Wischnewski geschickt für sein Land und seine Partei auszubauen verstand 16 . Auch ohne Regierungsamt, aber in wichtigen Parteifunktionen tätig 17 , hatte Wischnewski regen Anteil an der Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu den arabi- schen Staaten 18 , die 1965 mit Bonn gebrochen hatten, nachdem es zwischen der Bundesrepublik und Israel zum Austausch von Botschaftern gekommen war. Zudem hatte er im September 1970 Erfahrungen als internationaler Krisenmana- ger gesammelt, als Terroristen der PFLP (Popular Front for the Liberation of Palestine) drei Zivilflugzeuge, u. a. mit deutschen Geiseln, nach Amman entführten 19 . Nicht
umsonst hatte Willy Brandt für Wischnewski den Spitznamen „Ben Wisch“ geprägt
20 . Neben profunder außenpolitischer Erfahrung und internationaler Vernetzung besaß Wischnewski ein enges Vertrauensverhältnis zum Bundeskanzler. Schmidt hatte Wischnewski 1976 nach nur zweijähriger Tätigkeit als Staatsminister im Aus- wärtigen Amt ins Bundeskanzleramt berufen. Zusammen mit dem Chef des Bun- deskanzleramts, Manfred Schüler, und dem Leiter des Bundespresseamts, Klaus Bölling, bildete der Staatsminister Schmidts legendäres „Kleeblatt“, also dessen „Küchenkabinett“ und engsten Beraterkreis 21 .
an der konstitutiven Bedeutung, die der Algerien-Krieg als blutiges Kolonialaben- teuer für die Entstehung der „Neuen Linken“ in der Bundesrepublik bzw. der Studentenbewegung hatte, aus deren Radikalisierung die RAF hervorgegangen war
22 ; im Algerienkrieg hatte sich in den Augen der Linken der vermeintlich systemimmanente imperialistisch-repressive Charakter des kapitalistischen Sys- tems entlarvt. Zudem galt der Maghreb-Staat als Zufluchtsort des internationalen 1984, S. 145–164; Jean-Paul Cahn, Le parti social-démocrate allemand face à la guerre d’Algérie (1958–1962), in: Revue d’Allemagne et des Pays de Langue allemande 31 (1999), S. 589–602, hier S. 596 ff. 16 Generalkonsul von Nostitz, Algier, vermerkte am 24. 8. 1962, Wischnewski habe als Opposi- tionsabgeordneter weiter gehen können als der zur Rücksichtnahme auf Frankreich verpflich- tete Auswärtige Dienst: „Sein Wirken ist für uns ein erster Brückenschlag“. In: Siegfried von Nostitz, Algerisches Tagebuch 1960–1962, Düsseldorf 1971, S. 196. 17 1968–1972 war Wischnewski SPD-Bundesgeschäftsführer, 1979–1982 stellvertretender SPD- Vorsitzender. Von 1966–1968 hatte er das Entwicklungshilfeministerium geleitet. 18 Vgl. DB Nr. 117 des Botschaftsrats (BR) Nowak, Beirut, 27. 3. 1972, bzw. Schreiben des Bun- desministers (BM) Scheel an Bundeskanzler Brandt, 30. 3. 1972, in: AAPD 1972, bearb. von Mechthild Lindemann, Daniela Taschler und Fabian Hilfrich, München 2003, Dok. 76 u. 79. 19 Vgl. Wischnewski, Leidenschaft, S. 127–138. 20 Vgl. ebenda, S. 123; ferner AAPD 1973, bearb. von Matthias Peter, Michael Kieninger, Michael Ploetz, Mechthild Lindemann und Fabian Hilfrich, München 2004, Dok. 209, S. 1095. 21 Vgl. Helmut Schmidt, Weggefährten. Erinnerungen und Reflexionen, Berlin 1996, S. 494 f.; Kay Müller/Franz Walter, Graue Eminenzen der Macht. Küchenkabinette in der deutschen Kanzlerdemokratie. Von Adenauer bis Schröder, Wiesbaden 2004, S. 121 f. 22 Vgl. dazu Christoph Kalter, Das Eigene im Fremden. Der Algerienkrieg und die Anfänge der Neuen Linken der Bundesrepublik, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 55 (2007), S. 142– 161.
Tim Geiger: Die „Landshut“ in Mogadischu 417 VfZ 3/2009 Jahrgang 57 (2009), Heft 3 Inhaltsverzeichnis: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv.html URL: http://www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/2009_3.pdf VfZ-Recherche: http://vfz.ifz-muenchen.de Terrorismus. Am 22. Dezember 1975, dem Tag nach dem Überfall auf die OPEC- Zentrale in Wien, hatten sich die verantwortlichen Terroristen, darunter Ilich Ramírez Sánchez („Carlos“) und Hans-Joachim Klein, mit ihren Geiseln nach Algier abgesetzt. Dort hatten sie alle Geiseln freigelassen und sich den Behörden gestellt 23 . Ungehindert konnten sie das Land verlassen 24 . In der Bundesregierung war bekannt, daß „Carlos“ mit einem Komplizen Anfang September 1976 von Algier über Belgrad in den Irak ausgereist war 25 .
sche Regierung den RAF-Häftlingen sicheren Unterschlupf gewähren könnte. Entsprechend delikat blieb Wischnewskis erste Reise, die am 14. September 1977 mit einem Motorschaden des Flugzeugs und einer Notlandung auf einem franzö- sischen Militärflughafen zunächst unter keinem guten Stern stand, dann aber doch zum Ziel in Algier führte 26 . Dort wurde Wischnewski von seinem alten Bekannten Mouloud Kassem freundlich empfangen, dem Staatsminister für reli- giöse Angelegenheiten und in den 1950er Jahren stellvertretendem Leiter der inoffiziellen Vertretung der algerischen Exilregierung in Bonn. Das Gespräch mit Staatspräsident Boumedienne dagegen verlief komplizierter als erwartet. Dieser war ungehalten, weil sein Land in der Bundesrepublik terroristischer Sympathien bezichtigt wurde. Boumedienne hatte kurz zuvor den nun in der Gewalt der RAF befindlichen Arbeitgeberpräsidenten nach Algerien eingeladen und fürchtete jetzt, die Bundesregierung werde seinem Land die Schuld an Schleyers Tod zuschieben, falls die Freipressung der RAF-Häftlinge an der Weigerung Algeriens scheitern würde, die Inhaftierten aufzunehmen 27 . Nur zögerlich rang sich Bou- medienne zu einer verklausulierten Entscheidung durch. Am 24. September teilte er Wirtschaftsminister Hans Friderichs und dessen designiertem Nachfolger Otto Graf Lambsdorff mit, „daß sich für die algerische Regierung die Frage der Aufnahme der deutschen Terroristen nicht stelle, solange kein förmlicher Wunsch der Bundesregierung vorliege. Selbst wenn ein solcher Antrag käme, müsse er sorgfältig abwägen zwischen Algeriens Reputation im Ausland und den Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland.“ 28 23 Vgl. „Die Terroristen von Wien wollen die Nahost-Staaten zu einer extremistischen Politik zwingen“, und „Die Terroristen von Wien in Algerien“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 23. bzw. 24. 12. 1975, S. 1. 24 Vgl. „Algier läßt OPEC-Terroristen frei“, in: Süddeutsche Zeitung vom 2. 1. 1976, S. 1, sowie die Aufzeichnung des Botschafters Grabert, Wien, vom 26. 1. 1976, in: PA-AA, B 83 Ref. 511, Bd. 1006. 25 Vgl. Telefonat des Bundeskanzlers Schmidt mit Frankreichs Präsident Giscard d’Estaing, 8. 9. 1976, in: AAPD 1976, bearbeitet von Matthias Peter, Michael Ploetz und Tim Geiger, München 2007, Dok. 279, S. 1283. 26 Vgl. dazu Wischnewski, Leidenschaft, S. 186 u. S. 207. 27 Vgl. ebenda, S. 208. 28 Aufzeichnung über ein Gespräch des Bundeswirtschaftsministers Friderichs mit Präsident Boumedienne am 24. 9. 1977, in: PA-AA, Ref. 311, Bd. 119905; vgl. ferner Drahterlaß (DE) Nr. 861 des Staatssekretär (StS) van Well an BM Genscher, z. Z. New York, 29. 9. 1977, in: PA-AA, VS-Bd. 531 (014), B 150, Aktenkopien 1977.
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