Das Lächeln der Frauen


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Sana10.02.2023
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Bog'liq
Das Lächeln der Frauen

Dies ist die Geschichte, wie sie wirklich war, und ich schreibe sie wie ein
Soldat, der am nächsten Tag in die Schlacht ziehen muß, wie ein Kranker,
der nicht weiß, ob er am Morgen noch die Sonne aufgehen sieht, wie ein
Liebender, der sein ganzes Herz in die zarten Hände einer Frau legt in der
verwegenen Hoffnung, daß sie ihn erhört.
Seit meinem Gespräch mit Monsignac waren drei Tage vergangen. Drei
Tage hatte es gebraucht, bis ich diese ersten Sätze zu Papier gebracht hatte,
doch dann ging alles mit einemmal rasend schnell.
In den nächsten Wochen schrieb ich wie von einer höheren Macht
gesteuert, ich schrieb um mein Leben, wie es der Verleger so treffend
ausgedrückt hatte. Ich erzählte von der Bar, in der eine brillante Idee
ausgeheckt worden war, von einer Erscheinung auf einem Verlagsflur, von
einem Brief an einen englischen Schriftsteller in meinem Postkorb, den ich
ungeduldig aufriß - und von allem anderen, was dann geschah in diesen
aufregenden, bemerkenswerten Wochen.
Weihnachten kam und ging. Ich nahm meinen kleinen Computer und
meine Notizen mit zu Ma-man nach Neuilly, wo ich die Feiertage
verbrachte, und als wir am Heiligabend mit der ganzen Familie um den
großen Tisch im Salon versammelt waren und die Foie gras mit
Zwiebelconfit priesen, die auf unseren Tellern lag, hatte Maman zum
erstenmal recht, als sie sagte, ich hätte abgenommen und würde nicht genug
essen.
Aß ich überhaupt etwas in diesen Wochen? Es muß wohl so gewesen
sein, doch ich erinnere mich nicht daran. Der gute Monsignac hatte mich bis
Ende Januar freigestellt - mit einer Sonderaufgabe, wie er den anderen sagte
-, und ich stand morgens auf, zog mir irgend etwas über und taumelte mit
einer Tasse Kaffee und meinen Zigaretten an den Schreibtisch.
Ich ging nicht ans Telefon, ich machte die Tür nicht auf, wenn es schellte,
ich sah nicht fern, die Zeitungen stapelten sich ungelesen auf dem
Couchtisch, und am späten Nachmittag ging ich an manchen Tagen einmal
durchs Quartier, um frische Luft zu schnappen und das Nötigste
einzukaufen.


Ich war nicht mehr von dieser Welt, wenn es irgendwelche
Naturkatastrophen gab, so zogen sie an mir vorüber. Ich wußte nichts in
diesen Wochen. Ich wußte nur, daß ich schreiben mußte.
Stand ich vor dem Badezimmerspiegel, nahm ich flüchtig das Bild eines
bleichen Mannes mit zerrauftem Haar wahr, der Schatten unter den Augen
hatte.
Es interessierte mich nicht.
Manchmal ging ich im Zimmer auf und ab, um meine lahmen Glieder zu
strecken, und wenn ich nicht mehr weiterkam und der Erzählfluß stockte,
schob ich die CD French Café in meine Anlage. Sie begann mit Fibre de
verre und endete mit Ma fée clochette, ich hörte in den ganzen Wochen nur
diese eine CD, warum gerade diese, kann ich nicht sagen.
Ich hatte mich darauf eingeschossen wie ein Autist, der alles zählen muß,
was ihm unter die Finger gerät. Es war mein Ritual - wenn die ersten Takte
erklangen, fühlte ich mich sicher, und nach dem zweiten oder dritten Lied
war ich wieder in der Geschichte, und die Musik wurde zu einem
Grundrauschen, das meine Gedanken fliegen ließ wie eine weiße Möwe
hoch über dem weiten Meer.
Dann und wann segelte sie dichter über dem Wasser, und dann hörte ich
Coralie Cléments La Mer Opale und sah die grünen Augen von Aurélie
Bredin vor mir. Oder ich hörte Brigitte Bardots Un jour comme un autre
und mußte daran denken, wie Aurélie von Claude verlassen worden war.
Jedesmal, wenn La fée clochette erklang, wußte ich, daß wieder eine
Stunde vergangen war, und mein Herz wurde schwer und zärtlich zugleich
bei der Erinnerung an jenen verzauberten Abend im Le Temps des Cerises.
Am Abend löschte ich irgendwann das Licht meiner Schreibtischlampe
und ging ins Bett - oft genug stand ich noch einmal auf, weil ich meinte,
einen phantastischen Einfall gehabt zu haben, der sich am nächsten Morgen
oft genug dann doch als nicht so phantastisch erwies.
Die Stunden wurden zu Tagen, und die Tage begannen übergangslos zu
verschwimmen in einem transatlantischen, dunkelblauen Meer, in dem eine
Welle der nächsten gleicht, und der Blick auf die zarte Linie am Horizont
gerichtet ist, wo der Reisende das Festland zu erkennen meint.
Ich glaube, so schnell wurde noch kein Buch geschrieben. Ich war
getrieben von dem Wunsch, Aurélie zurückzugewinnen, und ich sehnte den
Tag herbei, an dem ich ihr mein Manuskript zu Füßen legen konnte.
In den letzten Tagen des Januars war ich fertig.


An dem Tag, als ich Aurélie Bredin abends das Manuskript vor die
Wohnungstür legte, fing es an zu schneien. Schnee in Paris ist etwas so
Seltenes, daß die meisten Menschen sich darüber freuen.
Ich streifte durch die Straßen wie ein Freigänger, ich bestaunte die
Auslagen in den erleuchteten Schaufenstern, ich sog den verlockenden Duft
der frischgemachten Crêpes an dem kleinen Stand hinter der Kirche von
Saint-Germain ein und entschied mich dann für eine Gaufre, die ich mir
dick mit Maronencrème bestreichen ließ.
Die Schneeflocken fielen leise herab, kleine weiße Punkte in der
Dunkelheit, und ich dachte an das Manuskript, das in Packpapier
eingewickelt war und das Aurélie in dieser Nacht vor ihrer Tür finden
würde.
Es waren am Ende zweihundertachtzig Seiten geworden, ich hatte lange
überlegt, welchen Titel ich dieser Geschichte geben sollte, diesem Roman,
mit dem ich das Mädchen mit den grünen Augen für immer
zurückgewinnen wollte.
Ich hatte sehr gefühlvolle, romantische, ja, fast schon kitschige Titel
aufgeschrieben, doch ich strich sie alle wieder von meiner Liste. Und dann
nannte ich das Buch schlicht und ergreifend Das Ende der Geschichte.
Egal, wie eine Geschichte anfängt, egal welche verschlungenen
Wendungen und Wege sie nimmt, am Schluß ist nur das Ende wichtig.
Mein Beruf bringt die Lektüre vieler Bücher und Manuskripte mit sich,
und ich muß zugeben, daß mich jene Romane immer am meisten fasziniert
haben, die ein offenes oder gar tragisches Ende nehmen. Ja, man denkt
gerade über diese Bücher noch eine Weile nach, während man die mit
einem glücklichen Ausgang schnell vergißt.
Doch irgendeinen Unterschied muß es wohl geben zwischen der Literatur
und der Wirklichkeit, denn ich gestehe, als ich das kleine braune Paket vor
Aurélies Tür auf den kalten Steinfußboden legte, ließ ich jedweden
intellektuellen Anspruch hinter mir. Ich sandte ein Stoßgebet zum Himmel
und bat um ein glückliches Ende.
Dem Manuskript war ein offener Brief beigelegt, in dem ich folgendes
geschrieben hatte:

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