Das Lächeln der Frauen


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Das Lächeln der Frauen

 
Je ferai cent mine guinguettes, je boirai cent mine whiskies
Je fumerai cent mine cigarettes pour la ramener dans mon lit Mais j'ai Bien
peur que cette chérie n'existe juste que dans ma tête
Mon paradis, ma fabulette, mon Saint-Esprit
Ma fée clochette!
Ich hatte meine Fée clochette gefunden! Sie stand eine Handbreit von mir
entfernt und redete mit Inbrunst über kleine Schokoladenkuchen.
Aurélie schloß die Kühlschranktür und drehte sich zu mir um. Ich stand
so dicht hinter ihr, daß wir gegeneinanderstießen.
»Hoppla«, sagte sie. Und dann sah sie mir direkt in die Augen. »Darf ich
Sie etwas fragen, Monsieur Chabanais?« fragte sie verschwörerisch.


»Sie dürfen mich alles fragen«, entgegnete ich und flüsterte auch.
»Wenn ich nachts eine Treppe hinuntergehe, drehe ich mich niemals um,
weil ich Angst habe, daß da irgend etwas hinter mir ist.« Ihre Augen waren
ganz weit geöffnet, und ich stürzte kopfüber in dieses sanfte grüne Meer.
»Finden Sie das komisch?« fragte sie.
»Nein«, murmelte ich leise und beugte meinen Kopf zu ihr hinunter.
»Nein, das finde ich überhaupt nicht komisch. Das weiß doch jeder, daß
man sich im Dunkeln auf der Treppe nicht umdrehen soll.«
Und dann küßte ich sie.
Es wurde ein sehr langer Kuß. Irgendwann, als sich unsere Lippen für
einen kurzen Moment voneinander lösten, sagte Aurélie leise: »Ich fürchte,
das Blutorangenparfait schmilzt.«
Ich küßte sie auf die Schulter, auf den Hals, ich biß sie zärtlich in ihre
Ohrläppchen, bis sie leise aufseufzte, und bevor ich mich wieder ihrem
Mund zuwandte, flüsterte ich: »Ich fürchte, damit müssen wir jetzt leben.«
Und dann sagten wir beide eine lange, lange Zeit gar nichts mehr.


 
15
Mein Geburtstag endete in einer nuit blanche, einer weißen Nacht, einer
Nacht, die nicht enden wollte.
Mitternacht war schon lange vorbei, als André mir in meinen roten
Mantel half und wir engumschlungen und traumwandlerisch unseren Weg
durch die stillen Straßen fanden. Alle paar Meter blieben wir stehen, um uns
zu küssen, und wir brauchten unendlich lange, bis wir schließlich vor
meiner Wohnungstür standen. Aber die Zeit hatte in dieser Nacht, die weder
Tag noch Stunde kannte, keine Bedeutung.
Als ich mich vorbeugte, um die Tür aufzuschließen, küßte mich André in
den Nacken. Als ich ihn an der Hand durch den Flur zog, legte er von
hinten seinen Arm um mich und faßte nach meiner Brust. Als wir im
Schlafzimmer standen, streifte André mir die Träger meines Kleides von
den Schultern und nahm dann mit einer unendlich zärtlichen Geste meinen
Kopf in seine Hände. »Aurélie«, sagte er und küßte mich plötzlich so heftig,
daß mir ganz schwindlig wurde. »Meine schöne, schöne Fee.«
Es gab keinen Augenblick in dieser Nacht, in dem wir uns wirklich
losgelassen hätten. Alles war Berührung, alles
wollte entdeckt werden. Gab es eine Stelle unserer Körper, die übersehen,
die nicht mit Zärtlichkeiten bedacht, die nicht mit Lust erobert wurde? Ich
glaube nicht.
Unsere Kleider fielen leise raschelnd auf den Parkettboden, und als wir
auf mein Bett sanken und uns dort für Stunden verloren, war mein letzter
Gedanke, daß André Chabanais der richtige Falsche war.
Als ich aufwachte, lag er neben mir, den Kopf auf seine Hand gestützt, und
lächelte mich an.
»Du siehst so schön aus, wenn du schläfst«, sagte er.
Ich sah ihn an und versuchte mir das Bild dieses Morgens einzuprägen,
an dem wir zum erstenmal nebeneinander wach wurden. Sein breites
Lächeln, die braunen Augen mit den schwarzen Wimpern, die dunklen,


leicht gewellten Haare, die völlig in Unordnung geraten waren, der Bart, der
noch viel von seinem Gesicht erkennen ließ und viel weicher gewesen war,
als ich dachte, die helle Narbe über der rechten Augenbraue, wo er als
kleiner Junge in einen Stacheldrahtzaun geraten war - und hinter ihm die
Balkontür mit den halb zugezogenen Vorhängen, ein stiller Morgen im Hof,
die Äste der großen Kastanie, ein Stück Himmel. Ich lächelte und schloß für
einen Moment die Augen.
Er strich mir zärtlich mit dem Finger über den Mund. »Was denkst du?«
fragte er.
»Ich dachte gerade, daß ich diesen Moment gern fest- halten würde«,
sagte ich und hielt seinen Finger für ein paar Küsse mit den Lippen fest.
Dann ließ ich mich mit einem Seufzer in mein Kissen fallen. »Ich bin
gerade so glücklich«, sagte ich. »So ganz und gar glücklich.«
»Wie schön«, sagte er und nahm mich in den Arm. »Ich bin es nämlich
auch, Aurélie. Meine Aurélie.« Er küßte mich, und wir lagen eine Weile still
da und schmiegten uns aneinander. »Ich stehe nie mehr auf«, murmelte
André und strich mir über den Rücken. »Wir bleiben einfach im Bett, ja?«
Ich lächelte. »Mußt du denn nicht in den Verlag?« fragte ich.
»Welcher Verlag?« murmelte er, und seine Hand glitt zwischen meine
Beine. Ich kicherte. »Du solltest wenigstens Bescheid sagen, daß du für den
Rest deiner Tage hier im Bett bleiben willst.« Mein Blick fiel auf die kleine
Uhr, die auf meinem Nachttisch stand. »Es ist schon kurz vor elf.«
Er seufzte und zog bedauernd seine Hand zurück. »Sie sind eine kleine
Spielverderberin, Mademoiselle Bredin, das habe ich immer schon geahnt«,
sagte er und zupfte an meiner Nasenspitze. »Also gut, dann werde ich jetzt
bei Madame Petit anrufen und sagen, daß es später wird. Oder nein, noch
besser - ich werde sagen, daß ich heute leider gar nicht kommen kann. Und
dann machen wir uns einen wunderwunderschönen Tag, was hältst du
davon?«
»Ich finde, das ist eine ausgezeichnete Idee«, sagte ich. »Du regelst deine
Geschäfte, und ich mache uns inzwischen einen Kaffee.«
»So machen wir es. Aber ich weiche nicht gern von deiner Seite ...«
»Es ist ja nicht für lange«, erwiderte ich und wickelte mich in meinen
kurzen dunkelblauen Morgenmantel ein, um in die Küche zu gehen.
»Den ziehst du gleich aber sofort wieder aus«, rief André, und ich lachte.
»Du kannst wohl nicht genug bekommen!«
»Nein«, entgegnete er. »Ich kann nicht genug bekommen von dir!«


Und ich nicht von dir, dachte ich.
Ich fühlte mich so sicher in diesem Augenblick, ach, so sicher!
Ich bereitete zwei große Tassen Café crème zu, während André
telefonierte und dann im Bad verschwand. Vorsichtig trug ich sie ins
Schlafzimmer zurück. Ich schob das Buch von Robert Miller zur Seite, das
immer noch auf meinem Nachttisch lag, und stellte die Tassen ab.
War es möglich, daß das Menu d'amour seine Wirkung gezeitigt hatte?
Statt mit einem englischen Schriftsteller hatte ich es mit einem
französischen Lektor gegessen, und mit einemmal sahen wir uns mit
anderen Augen an - fast wie Tristan und Isolde, die versehentlich zusammen
den Liebestrank getrunken hatten und nicht mehr ohne einander sein
konnten. Ich erinnerte mich noch gut, wie beeindruckt ich als Kind von der
Oper war, in die Papa mich mitgenommen hatte. Und die Sache mit dem
Zaubertrank hatte ich besonders aufregend gefunden.
Lächelnd hob ich die Kleidungsstücke auf, die überall im Zimmer
verstreut lagen, und legte sie über den Stuhl, der an einer Seite des Bettes
stand. Als ich Andrés Anzugjacke hochhob, fiel etwas zu Boden. Es war
seine Brieftasche. Sie hatte sich geöffnet, und ein paar Papiere waren
herausgerutscht. Geldmünzen rollten über das Parkett.
Ich kniete mich auf den Boden, um die Münzen aufzusammeln, und
hörte, wie André gut gelaunt im Bad sang. Lächelnd steckte ich die Münzen
in das vordere Fach zurück und wollte gerade die Papiere, die hinten aus der
Brieftasche herausragten, wieder zurückschieben, als ich das Photo
bemerkte. Ich dachte erst, es sei ein Photo von André, und zog es neugierig
heraus. Und dann blieb mein Herz für einen schrecklichen Augenblick
stehen.
Ich kannte das Bild. Es zeigte eine Frau in einem grünen Kleid, die in die
Kamera lächelte. Es zeigte mich.
Ich starrte einige Sekunden verständnislos auf das Photo in meiner Hand,
und dann stürzten die Gedanken kaskadengleich ineinander, und Hunderte
kleiner Momentaufnahmen fügten sich zu einem großen Ganzen.
Dieses Bild hatte ich meinem Brief an Robert Miller beigelegt. Es befand
sich in Andrés Brieftasche. André, der mich auf dem Verlagsflur abgefertigt
hatte. André, der den Antwortbrief von Robert Miller bei mir zu Hause in
den Briefkasten geworfen hatte, weil dieser angeblich meine Adresse
verloren hatte. André, der lachend und scherzend in der Coupole saß und
genau wußte, daß Robert Miller dort niemals auftauchen würde. André, der


mir kein Wort von der Lesung gesagt hatte - dem einzigen Termin, an dem
Miller wirklich in Paris gewesen war - und der nicht schnell genug den
sichtlich verwirrten Autor von mir wegzerren konnte. André, der mit einem
Blumenstrauß im Temps des Cerises auftauchte, just in dem Moment, als
Miller seinen Agenten damit beauftragt hatte, abzusagen.
Miller?! Ha!
Wer weiß, wer der Mann war, der im Auftrag von Monsieur Chabanais
bei mir angerufen hatte. Und der Brief von Robert Miller? Wie hatte mir der
Autor antworten können, wenn er meinen Brief niemals erhalten hatte?
Und plötzlich erinnerte ich mich an etwas. Etwas, das ich bereits nach der
Lesung bemerkt hatte, ohne es wirklich einordnen zu können.
Ich ließ das Photo fallen und stürzte zum Nachttisch. Dort lag Das

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