Das Lächeln der Frauen
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Das Lächeln der Frauen
14 Seitdem Aurélie Bredin vor zwei Wochen winkend über den Zebrastreifen lief und wenige Sekunden später in der dahinter liegenden Straße verschwunden war, hatte ich diesen Moment herbeigesehnt und zugleich gefürchtet. Ich weiß nicht, wie oft ich den Abend des sechzehnten Dezembers vor meinem geistigen Auge hatte ablaufen lassen. Ich hatte an diesen Abend gedacht, wenn ich Maman im Krankenhaus besuchte; ich hatte daran gedacht, als ich in der Verlagskonferenz saß und kleine Strichmännchen auf meinen Notizblock malte; ich hatte daran gedacht, wenn ich in der Metro unter der Stadt hersauste, als ich in meiner Lieblingsbuchhandlung Assouline in den wunderbaren Bildbänden stöberte, als ich mich mit meinen Freunden im La Palette traf. Und wenn ich abends in meinem Bett lag, dachte ich sowieso daran. Wo ich auch war, wohin ich auch ging, der Gedanke an diesen Tag begleitete mich, und ich nahm ihn vorweg wie ein Schauspieler die Premiere seines Theaterstücks. Mehr als einmal hatte ich den Telefonhörer in der Hand gehabt, um Aurélie Bredins Stimme zu hören und sie ganz beiläufig auf einen Kaffee einzuladen, aber ich hatte immer wieder aufgelegt, weil ich die Befürchtung hatte, einen Korb zu bekommen. Sie hatte sich jedenfalls nicht mehr bei mir gemeldet seit dem Tag, als ich sie »zufällige« vor ihrem Haus traf und später mein Freund Adam als Mr. Robert Miller in ihrem Restaurant angerufen hatte, um sich mit ihr zu verabreden. Als ich mich mit meinem Blumenstrauß und einer Flasche Crémant auf den Weg ins Temps des Cerises machte, war ich aufgeregt wie selten zuvor. Und nun stand ich vor der Fensterscheibe und bemühte mich um einen ungezwungenen und nicht zu feierlichen Gesichtsausdruck. Meine Idee, ganz spontan nach der Arbeit im Restaurant vorbeizukommen, um Aurélie Bredin (kurz) zum Geburtstag zu gratulieren (an den ich mich zufällig erinnert hatte), sollte ja möglichst natürlich wirken. Ich klopfte also ziemlich laut gegen die Scheibe, wohl wissend, daß ich die schöne Köchin allein im Restaurant antreffen würde, und mein Herz klopfte mindestens ebenso laut. Ich sah ihr überraschtes Gesicht, und wenige Sekunden später öffnete sich die Tür des Temps des Cerises und Aurélie Bredin sah mich fragend an. »Monsieur Chabanais, was machen Sie denn hier?« »Ihnen zum Geburtstag gratulieren«, sagte ich und hielt ihr den Blumenstrauß entgegen. »Alles Liebe und Gute für Sie - auf daß alle Ihre Wünsche in Erfüllung gehen.« »Oh ja, vielen Dank, das ist wirklich sehr aufmerksam von Ihnen, Monsieur Chabanais.« Sie nahm die Blumen mit beiden Händen, und ich nutzte die Gelegenheit, um mich an ihr vorbei ins Restaurant zu schieben. »Darf ich einen Moment hereinkommen?« Mit einem Blick sah ich den einen Tisch, der hinten in der Nische am Fenster eingedeckt war, und setzte mich auf einen der Holzstühle am Eingang. »Wissen Sie, als ich heute in den Kalender sah, dachte ich plötzlich ... sechzehnter Dezember, da war doch was, da war doch was. Und dann fiel es mir wieder ein. Und da dachte ich, Sie würden sich vielleicht freuen, wenn ich Ihnen einen Strauß Blumen vorbeibringe.« Ich lächelte gewinnend und stellte die Flasche Crémant auf den Tisch neben mir. »Ich habe Ihnen ja angedroht, daß ich eines Tages mal in Ihr Restaurant kommen würde, wissen Sie noch?« Ich breitete die Arme aus. »Et voila - da bin ich.« »Ja ... da sind Sie.« Es war ihr anzusehen, daß sie sich nicht so wahnsinnig über mein plötzliches Auftauchen freute. Sie blickte verlegen auf die dicken Rosen und schnupperte daran. »Das ist ... ein wunderbarer Strauß, Monsieur Chabanais ... nur ... also eigentlich ist das Restaurant heute geschlossen.« Ich schlug mir mit der Hand vor die Stirn. »So was, das hatte ich jetzt ganz vergessen. Dann ist es ja ein Glück, daß ich Sie überhaupt hier antreffe.« Ich setzte mich auf. »Aber was machen Sie überhaupt hier? An Ihrem Geburtstag? Sie arbeiten doch wohl nicht heimlich, oder?« Ich lachte. Sie drehte sich um und holte eine große Glasvase unter der Theke hervor. »Nein, natürlich nicht.« Ich bemerkte, wie sich ihr Gesicht mit einem zarten Rosaton überzog, als sie jetzt in die Küche ging, um die Vase mit Wasser zu füllen. Sie kam zurück und stellte die Rosen auf die Holztheke, wo auch die Kasse stand und das Telefon. »Tja, also dann ... vielen Dank, Monsieur Chabanais«, sagte sie. Ich stand auf. »Heißt das, Sie werfen mich raus, ohne daß ich wenigstens die Gelegenheit bekomme, mit Ihnen auf Ihr Wohl anzustoßen? Das ist bitter.« Sie lächelte. »Ich fürchte fast, dafür reicht die Zeit nicht mehr. Sie kommen wirklich etwas ungelegen, Monsieur Chabanais. Tut mir leid«, setzte sie noch einmal mit bedauernder Miene hinzu und faltete ihre Hände. Ich gab vor, erst jetzt den eingedeckten Tisch zu bemerken, der einsam vor dem Fenster stand. »Oh«, sagte ich. »Oh là là! Sie erwarten noch jemanden. Das sieht ja sehr nach einem romantischen Abend aus.« Ich sah sie an. Ihre dunkelgrünen Augen glänzten. »Na, wer immer es auch ist, er kann sich glücklich preisen. Sie sehen heute abend besonders hübsch aus, Aurélie.« Ich strich über die Flasche, die noch immer auf dem Tisch stand. »Wann kommt denn Ihr Gast?« »Um acht Uhr«, sagte sie und schob sich die Haare nach hinten. Ich sah auf die Uhr. Viertel nach sieben. In wenigen Minuten würde Adam anrufen. »Ach, kommen Sie, Mademoiselle Bredin, ein Glas im Stehen auf Ihr Wohl!« bat ich. »Es ist doch erst Viertel nach sieben. In zehn Minuten bin ich wieder verschwunden. Ich mache auch die Flasche auf.« Sie lächelte, und ich wußte, daß sie nicht nein sagen würde. »Also gut«, seufzte sie. »Zehn Minuten.« Ich kramte in meiner Hosentasche nach einem Flaschenöffner. »Sehen Sie«, sagte ich. »Ich hab sogar das Werkzeug mitgebracht.« Ich zog an dem Korken, und er glitt mit einem sanften Plopp aus dem Flaschenhals. Ich füllte den Schaumwein in zwei Gläser, die Aurélie aus der Vitrine geholt hatte. »Dann nochmals alles Gute! Es ist mir eine Ehre«, sagte ich, und wir stießen an. Ich trank den Crémant in großen Schlucken und versuchte, ruhig zu bleiben, obwohl mein Herz so hämmerte, daß ich Angst hatte, man könnte es hören. Der Countdown lief. Gleich würde das Telefon klingeln, und dann würde man sehen, ob ich wirklich dazu verdammt war, zu gehen. Ich sah angelegentlich in mein Glas, dann wieder in das schöne Gesicht von Aurélie. Um etwas zu sagen, sagte ich: »Sie kann man aber auch keine zwei Wochen aus den Augen lassen, was? Man dreht sich einmal um - und schon haben Sie einen neuen Verehrer.« Sie wurde rot und schüttelte den Kopf. »Wie?« sagte ich. »Kenne ich ihn etwa?« »Nein«, sagte sie. Und dann klingelte das Telefon. Wir sahen beide zur Theke, aber Aurélie Bredin machte keine Anstalten, an den Apparat zu gehen. »Wahrscheinlich jemand, der reservieren will«, sagte sie. »Da geh ich jetzt nicht dran, der Anrufbeantworter ist eingeschaltet.« Man hörte ein Klicken, dann die Ansage des Restaurants. Und dann erklang Adams Stimme. »Ja, guten Abend, hier spricht Adam Goldberg, dies ist eine Nachricht für Aurélie Bredin«, sagte er ohne Umschweife. »Ich bin der Agent von Robert Miller und rufe in seinem Auftrag an«, fuhr Adam fort, und ich sah, wie Aurélie Bredin blass wurde. »Ich hätte es Ihnen lieber persönlich gesagt, aber Miller hat mich gebeten, Ihnen für heute abend abzusagen. Es tut ihm sehr leid, soll ich Ihnen sagen.« Adams Worte fielen wie Steine in den Raum. »Er ... wie soll ich sagen ... er ist völlig durch den Wind. Gestern abend ist seine Frau überraschend aufgetaucht und ... na ja ... sie ist immer noch da und wie es aussieht, wird sie wohl auch bleiben. Die beiden haben viel zu besprechen, denke ich.« Adam •schwieg einen Moment. »Es ist mir sehr unangenehm, daß ich Sie mit diesen privaten Dingen behelligen muß, aber Robert Miller war es wichtig, daß Sie wissen, daß er ... nun ja ... daß er aus einem schwerwiegenden Grund absagt. Er läßt Ihnen ausrichten, daß es ihm sehr leid tut und daß er um Verständnis bittet.« Adam lauschte noch ein paar Sekunden in den Hörer, dann verabschiedete er sich und legte auf. Ich sah Aurélie Bredin an, die wie erfroren dastand und ihr Sektglas so fest umfaßte, daß ich befürchtete, es würde zerspringen. Sie starrte mich an, und ich starrte sie an, und eine ganze Weile sagte keiner von uns ein Wort. Dann öffnete sie den Mund, als ob sie etwas sagen wollte, aber sie sagte nichts. Statt dessen trank sie das Glas in einem Zug aus und drückte es gegen ihre Brust. Sie blickte zu Boden. »Tja ...«, sagte sie und ihre Stimme zitterte verdächtig. Ich stellte mein Glas ab und kam mir in diesem Moment vor wie ein Schuft. Aber dann dachte ich Le roi est mort, vive le roi und beschloß, zu handeln. »Sie wollten sich mit Miller treffen?« fragte ich fassungslos. »Allein in Ihrem Restaurant? An Ihrem Geburtstag?« Ich schwieg einen Moment. »War das nicht ein bißchen viel der Ehre? Ich meine, Sie kennen ihn doch überhaupt nicht.« Sie blickte mich stumm an, und ich sah, wie Tränen in ihren Augen aufstiegen. Dann drehte sie sich rasch von mir weg und starrte aus dem Fenster. »Du meine Güte, Aurélie, ich ... ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Das ist einfach ... furchtbar, ganz furchtbar.« Ich trat hinter sie. Sie weinte leise. Ich legte ganz vorsichtig meine Hände auf ihre bebenden Schultern. »Das tut mir leid. Mein Gott, das tut mir so leid, Aurélie«, sagte ich und merkte überrascht, daß es wirklich stimmte. Ihr Haare dufteten ganz leicht nach Vanille, und ich hätte sie am liebsten sanft zur Seite geschoben und ihren Nacken geküßt. Statt dessen streichelte ich beruhigend ihre Schultern. »Bitte, Aurélie, weinen Sie doch nicht«, sagte ich leise. »Ja, ich weiß, ich weiß ... es tut weh, wenn man so versetzt wird ... ist ja gut ... ist ja schon gut ...« »Miller hat mich doch angerufen. Er wollte mich unbedingt sehen und hat so nette Sachen gesagt am Telefon ...« Sie schluchzte auf. »Und ich ... bereite hier alles vor, halte mir den Abend frei ... Nach dem Brief habe ich gedacht, ich sei ... ich sei etwas Besonderes für ihn ... er hat so Andeutungen gemacht, verstehen Sie?« Sie drehte sich plötzlich zu mir um und sah mich aus tränenverschmierten Augen an. »Und jetzt kommt plötzlich seine Frau zurück, und ich fühle mich ... ich fühle mich ... ich fühle mich schrecklich!« Sie schlug die Hände vors Gesicht, und ich zog sie in meine Arme. Es dauerte eine Weile, bis sich Aurélie wieder beruhigt hatte. Ich blieb so gerne bei ihr, um sie zu trösten, reichte ihr Taschentuch um Taschentuch und hoffte inständig, daß sie niemals erfahren würde, warum ich gerade in dem Augenblick zugegen war, als der Anrufbeantworter im Temps des Download 1.37 Mb. Do'stlaringiz bilan baham: |
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