Das Lächeln der Frauen


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Bog'liq
Das Lächeln der Frauen

 
Liebe Aurélie,


ich weiß, daß Du mich aus Deinem Leben verbannt hast und keinen Kontakt
mehr mit mir willst, und ich respektiere Deinen Wunsch.
Heute lege ich Dir das neue Buch Deines Lieblingsautors vor die Tür.
Es ist ganz frisch, ein unlektoriertes Manuskript, und es hat auch noch
keinen richtigen Schluß, aber ich weiß, daß es Dich interessieren wird, weil
es die Antworten auf alle Deine Fragen enthält, die den ersten Roman von
Robert Miller betreffen.
Ich hoffe, daß ich damit zumindest ein bißchen von dem gutmachen kann,
was ich angerichtet habe.
Ich vermisse Dich,
André
In dieser Nacht schlief ich zum erstenmal tief und fest. Ich erwachte mit
dem Gefühl, daß ich alles getan hatte, was ich tun konnte. Nun blieb mir
nur noch zu warten.
Ich packte eine Kopie des Romans für Monsieur Monsignac ein, und
dann machte ich mich nach mehr als fünf Wochen wieder auf den Weg in
den Verlag. Es schneite noch immer, Schnee lag auf den Dächern der
Häuser, und die Geräusche der Stadt waren gedämpft. Die Autos auf den
Boulevards fuhren nicht so schnell wie sonst, und auch die Menschen in
den Straßen verlangsamten ihren Schritt. Die Welt, so kam es mir vor,
schien ein bißchen den Atem anzuhalten, und ich selbst war seltsamerweise
von einer großen Ruhe erfüllt. Mein Herz war weiß wie am ersten Tag.
Im Verlagshaus wurde ich überschwenglich begrüßt. Madame Petit
brachte mir nicht nur die Post (es waren ganze Stapel), sondern auch den
Kaffee; Mademoiselle Mirabeau steckte mit geröteten Wangen den Kopf
zur Tür herein und wünschte mir ein gutes neues Jahr, an ihrer Hand sah ich
einen Ring glitzern; Michelle Auteuil grüßte hoheitsvoll, als wir uns auf
dem Flur begegneten, und ließ sich sogar zu einem »Ça va, André?« herab;
Gabrielle Mercier seufzte erleichtert, es sei gut, daß ich wieder da sei, der
Verleger mache sie wahnsinnig; und Jean-Paul Monsignac zog die Tür
hinter uns zu, als er in mein Büro kam, und meinte, daß ich aussähe wie ein
Autor, der sein Buch gerade beendet hat.
»Wie sieht der denn aus?« fragte ich.
»Völlig fertig, aber mit diesem ganz besonderen Glanz in den Augen«,
sagte Monsignac. Dann sah er mich prüfend an. »Und?« fragte er.


Ich überreichte ihm die Kopie des Manuskripts. »Keine Ahnung, ob es
gut ist«, sagte ich. »Aber es steckt viel Herzblut drin.«
Monsignac lächelte. »Herzblut ist immer gut. Ich drücke Ihnen die
Daumen, mein Freund.«
»Na ja«, sagte ich. »Ich hab's erst gestern abend vorbeigebracht, so
schnell wird da nichts passieren ... wenn überhaupt.«
»Wenn Sie sich da nicht mal täuschen, André«, sagte Monsignac. »Ich
jedenfalls bin auf die Lektüre sehr gespannt.«
Der Nachmittag schlich dahin. Ich sah meine Post durch, ich beantwortete
meine Mails, ich sah aus dem Fenster, wo immer noch dicke Flocken vom
Himmel fielen. Und dann schloß ich die Augen, dachte an Aurélie und
hoffte, daß meine Gedanken auch mit geschlossenen Augen ihr Ziel
erreichten.
Es war halb fünf, und draußen wurde es schon dunkel, als das Telefon
klingelte und Jean-Paul Monsignac mich bat, in sein Büro zu kommen.
Als ich eintrat, stand er am Fenster und starrte auf die Straße. Auf seinem
Schreibtisch lag mein Manuskript.
Monsignac drehte sich um. »Ah, André, kommen Sie, kommen Sie«,
sagte er und wippte wieder vor und zurück, wie es seine Art war. Er wies
auf das Manuskript. »Was Sie da geschrieben haben ...«, er schaute mich
streng an, und ich preßte nervös die Lippen aufeinander, »... ist leider sehr
gut. Ihr Agent soll ja nicht auf die Idee kommen, damit zu anderen Verlagen
zu gehen und eine Auktion zu starten, sonst fliegen Sie hier raus,
verstanden?!«
»C'est bien compris«, entgegnete ich lächelnd. »Das freut mich wirklich
sehr, Monsieur Monsignac.«
Er drehte sich wieder zum Fenster und winkte mich heran. »Ich wette,
das hier freut Sie noch mehr«, sagte er und deutete auf die Straße.
Ich sah ihn fragend an. Nur eine Sekunde lang glaubte ich, daß er die
Schneeflocken meinen könnte, die immer noch vor dem Fenster wirbelten,
dann fing mein Herz an, schneller zu schlagen, und ich hätte den alten
Monsignac am liebsten umarmt.
Draußen auf der Straße, auf der gegenüberliegenden Seite von dem
Gebäude, in dem sich die Editions Opale befanden, ging eine Frau auf und


ab. Sie trug einen roten Mantel, und sie blickte immer wieder zu dem
Eingangstor des Verlages, so als ob sie auf jemanden wartete.
Ich nahm mir nicht mehr die Zeit, etwas überzuziehen. Ich flog die
Treppen nur so hinunter, zog die schwere Tür des Portals auf und lief über
die Straße.
Und dann stand ich vor ihr, und mein Atem ging so schnell, daß ich einen
Moment glaubte, keine Luft zu bekommen.
»Du bist gekommen!« stieß ich leise hervor, und dann sagte ich es noch
einmal, und meine Stimme war ganz rauh, so sehr freute ich mich, sie zu
sehen.
»Aurélie ...«, sagte ich und sah sie fragend an.
Die Schneeflocken fielen auf sie herab und verfingen sich in ihren langen
Haaren wie kleine weiße Mandelblüten.
Sie lächelte und ich faßte nach ihrer Hand, die in einem bunten
Wollhandschuh steckte, und spürte, wie mir plötzlich ganz leicht ums Herz
wurde.
»Weißt du was? Das zweite Buch von Robert Miller gefällt mir eigentlich
noch ein bißchen besser als das erste«, sagte sie, und ihre grünen Augen
schimmerten.
Ich lachte leise und zog sie in meine Arme.
»Soll das etwa der letzte Satz sein?« fragte ich.
Aurélie schüttelte langsam den Kopf. »Nein, ich glaube nicht«, sagte sie.
Sie sah mich einen Augenblick so ernsthaft an, daß ich voller Unruhe in
ihren Augen nach einer Antwort suchte.
»Ich liebe dich, Dummkopf«, sagte sie.
Dann schlang sie die Arme um mich und alles versank in einem weichen
Mantel aus karmesinroter Wolle und einem einzigen nicht enden wollenden
Kuß.
Natürlich hätte ich diesen Satz in einem Roman etwas konventionell
gefunden. Aber hier, im wirklichen Leben, auf dieser kleinen verschneiten
Straße einer großen Stadt, die man auch die Stadt der Liebe nennt, machte
er mich zum glücklichsten Mann von Paris.


 
Nachwort
Wenn man einen Roman zu Ende geschrieben hat, ist man sehr erleichtert,
daß es vorbei ist. (Danke für's Zuhören, Jean!) Und genau aus ebendiesem
Grund ist man auch sehr traurig. Denn die letzten Zeilen eines Romans zu
schreiben bedeutet immer auch, Abschied zu nehmen von den Helden, die
einen für eine lange Zeit begleitet haben. Und auch wenn sie (mehr oder
weniger) erfunden sind, so sind sie doch dem Herzen des Autors sehr nahe.
Und so blicke ich Aurélie und André hinterher, die sich nach tausend
Irrungen und Wirrungen endlich doch noch gefunden haben, und ich seufze
gerührt, werde ein wenig sentimental und wünsche den beiden viel Glück.
Vieles an meinem Buch ist erfunden, manches ist wahr. Alle Cafés, Bars,
Restaurants und Geschäfte gibt es wirklich, das Menu d'amour ist immer
einen Versuch wert, weswegen ich das Rezept beigefügt habe, ebenso wie
das Rezept des Curry d'Agneau aus der Coupole (im Original und so, wie es
Aurélie Bredin kochen würde).
Doch das Restaurant Le Temps des Cerises wird der Leser in der Rue
Princesse vergeblich suchen.
Auch wenn ich beim Schreiben - ich gestehe es - ein ganz bestimmtes
Restaurant mit rot-weiß karierten Tischdecken vor Augen hatte, soll es doch
ein Ort der Phantasie bleiben, ein Ort, an dem Wünsche wahr werden und
alles möglich ist.
Das Lächeln der Frauen ist ein Geschenk des Himmels, es ist der Beginn
jeder Liebesgeschichte, und wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann
dieses: daß meine liebe Freundin U. ihren neuen Wintermantel noch viele
Jahre tragen kann und daß dieses Buch für die geneigten Leserinnen und
Leser ebenso endet, wie es anfängt - mit einem Lächeln.


 
Aurélies Menu d'amour
(für zwei Personen)

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