Das Lächeln der Frauen


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Das Lächeln der Frauen

»Mon Dieu, wer war dieser Mann«, fragte sie. »Hat er dir einen Antrag
gemacht, oder was?«


Ich lächelte. »Das war der Mann, der am sechzehnten Dezember hier
mein Gast ist«, sagte ich. »Und zwar mein einziger Gast!«
Und mit diesen kryptischen Worten ließ ich die erstaunte Suzette stehen
und schloß die Restauranttür auf.
Das Treffen mit Robert Miller würde mein kleines Geheimnis bleiben.
Nicht ohne Grund wird Paris auch die Stadt des Lichts genannt. Und ich
finde, besonders im Dezember trägt Paris diesen Namen zu Recht.
So grau der November auch gewesen war mit seinem vielen Regen und
jenen Tagen, an denen man das Gefühl hatte, daß es gar nicht mehr richtig
hell wurde - im Dezember verwandelte sich Paris wie jedes Jahr in ein
einziges funkelndes Lichtermeer. Man hatte geradezu den Eindruck, daß
eine Fee durch die Straßen geflogen war und die Häuser der Stadt mit
Sternenstaub überschüttet hatte. Und wenn man am Nachmittag oder Abend
durch Paris fuhr, erstrahlte die weihnachtlich dekorierte Stadt in der
Dunkelheit wie ein einziges Märchen in Silber und Weiß.
Die knorrigen Bäume der Champs-Elysées waren mit Tausenden von
kleinen Lichtern geschmückt; Kinder und auch Erwachsene standen
staunend vor den Schaufenstern der Galeries Lafayette, des Printemps oder
des kleinen, aber feinen Kaufhauses Bon Marché und bestaunten die
glitzernden Dekorationen; auf den kleinen Straßen und den großen
Boulevards sah man die Menschen mit ihren mit Schleifen und Bändchen
versehenen Papiertüten, in denen die Weihnachtsgeschenke verpackt
worden waren; vor den Museen standen keine langen Schlangen mehr -
selbst im Louvre konnte man an jenen letzten Wochenenden vor
Weihnachten mühelos zur Mona Lisa vordringen und ihr unergründliches
Lächeln bestaunen. Und über allem erstrahlte der Eiffelturm - dieses
mächtige und doch filigrane Wahrzeichen der Stadt, Fluchtpunkt aller
Liebenden, die zum erstenmal nach Paris kommen.
Ich war zweimal mit der kleinen Marie dorthin zum Schlittschuhlaufen
gegangen. Patiner sur La Tour Eiffel verkündete das himmelblaue Plakat,
das einen gemalten weißen Eiffelturm und davor ein altmodisches
Schlittschuhläuferpaar zeigte. Marie hatte darauf bestanden, die Eisenstufen
bis zur ersten Ebene zu Fuß hinaufzugehen. Ich war seit Jahren nicht mehr
auf dem Eiffelturm gewesen und hielt bei unserem Aufstieg immer wieder
inne, um durch die Eisenverstrebungen hinunterzuschauen, die aus nächster
Nähe riesenhaft wirken. Die kalte Luft und der Aufstieg nahmen mir den


Atem, aber dann waren wir oben und drehten auf dem Eis unsere Runden,
flogen mit geröteten Wangen und glänzenden Augen über der funkelnden,
glitzernden Stadt dahin, und ich hatte für Momente das Gefühl, selbst
wieder ein Kind zu sein.
Irgend etwas ist an diesem Weihnachten, das uns immer wieder auf uns
selbst zurückwirft, auf unsere Erinnerungen und Wünsche, auf unsere
kindliche Seele, die noch immer staunend und mit großen Augen vor dieser
geheimnisvollen Türe steht, hinter der das Wunder wartet.
Raschelndes Papier, geflüsterte Worte, brennende Kerzen, geschmückte
Fenster, der Geruch nach Zimt und Nelken, Wünsche, die auf Zettel
geschrieben oder in den Himmel gesprochen werden und sich vielleicht
erfüllen - Weihnachten weckt, ob man es will oder nicht, diesen ewigen
Wunsch nach dem Wunderbaren. Und dieses Wunderbare ist nichts, was
man besitzen oder festhalten kann, es gehört einem nicht und ist doch
immer wieder da, wie etwas, das einem geschenkt wird.
Ich lehnte meinen Kopf versonnen gegen die Fensterscheibe .des Taxis,
das gerade die Seine überquerte, und blickte auf den Fluß, der in der Sonne
glitzerte. Auf meinem Schoß lag, in Seidenpapier eingewickelt, der rote
Mantel. Bernadette, bei der ich am Morgen zum Frühstück eingeladen
gewesen war, hatte ihn mir zum Geburtstag geschenkt.
Alles in allem hatte dieser sechzehnte Dezember sehr verheißungsvoll
begonnen - er begann eigentlich schon am Abend zuvor, als wir, nachdem
die letzten Gäste gegen halb eins das Restaurant verlassen hatten, mit einem
Champagner alle auf meinen dreiunddreißigsten Geburtstag angestoßen
hatten: Jacquie, Paul, Claude, Marie und Pierre, unser neuer Küchenjunge,
mit sechzehn der Jüngste von uns allen, Suzette, die den ganzen Abend über
schon Andeutungen gemacht hatte, daß es noch eine Überraschung für mich
geben würde, und Juliette Meunier, die seit der zweiten Dezemberwoche
fast jeden Abend beim Bedienen half.
Jacquie hatte eine köstliche Schokoladentorte mit Himbeeren zubereitet,
von der wir noch ein Stück aßen; er war es auch, der mir im Namen von
allen einen großen Strauß Blumen überreichte. Es hatte bunt eingewickelte
Päckchen für mich gegeben - ein dicker Schal mit dazu passenden
Strickhandschuhen von Suzette, ein kleines Notizbuch mit orientalischem
Muster von Paul, und von Jacquie ein Samtsäckchen mit Muscheln, in dem
sich eine Zugfahrkarte befand.


Es war ein schöner, nahezu familiärer Moment gewesen, als wir alle in
dem leeren Restaurant standen und mit Champagner mein neues Lebensjahr
einläuteten. Und als ich gegen zwei Uhr die Bettdecke über mich zog,
schlief ich mit dem Gedanken ein, daß ich am Abend ein aufregendes
Rendezvous mit einem gutaussehenden Schriftsteller haben würde, den ich
eigentlich nicht kannte, aber doch zu kennen glaubte.
Der Taxifahrer fuhr über eine Bodenschwelle, und das Papier, in das der
Mantel eingewickelt war, raschelte.
»Du bist verrückt«, hatte ich ausgerufen, als ich das große Päckchen
auspackte, das auf dem Frühstückstisch gelegen hatte. »Der rote Mantel! Du
bist wirklich verrückt, Bernadette, das ist doch viel zu teuer!«
»Er soll dir Glück bringen«, hatte Bernadette geantwortet, als ich sie fest
und mit Tränen in den Augen umarmte. »Heute abend ... und immer, wenn
du ihn trägst.«
Und so kam es, daß ich am frühen Nachmittag des sechzehnten
Dezembers in einem karmesinroten Mantel vor dem Temps des Cerises
stand, das montags eigentlich geschlossen hatte - eine Abenteurerin,
eingehüllt in den Duft von Heliotrop und die Farbe des Glücks.
Eine halbe Stunde später stand ich in der Küche und bereitete das Essen zu.
Es war mein Geburtstagsessen, aber mehr noch war es das Menu, mit dem
ich mich dafür bedanken wollte, daß ein schrecklich unglücklicher
Novembertag mit einem versonnenen Lächeln geendet hatte - einem
Lächeln, das den Weg für etwas Neues bereiten würde.
Und nicht zuletzt war es natürlich auch das erste Essen mit Robert Miller.
Ich hatte lange überlegt, mit welchen kulinarischen Genüssen ich den
englischen Schriftsteller beeindrucken wollte - und war am Ende doch bei
dem Menu d'amour gelandet, das mein Vater mir hinterlassen hatte.
Dieses Menu war sicherlich nicht das Raffinierteste, was die französische
Küche zu bieten hatte, aber es hatte zwei unschlagbare Vorzüge: Es war
leicht, und ich konnte es perfekt vorbereiten, so daß ich während des Essens
meine ungeteilte Aufmerksamkeit jenem Mann zuteil werden lassen konnte,
dessen Ankunft ich - ich gebe es zu - mit Spannung erwartete.
Ich band mir die weiße Schürze um und packte die Tüten aus, die ich
mittags auf dem Markt gefüllt hatte: frischer Feldsalat, zwei
Selleriestangen, Orangen, Makadamianüsse, kleine weiße Champignons,
ein Bund Möhren, rote Zwiebeln, glänzende, fast schwarze Auberginen und


zwei leuchtendrote Granatäpfel, Lammfleisch und Schinkenspeck.
Kartoffeln, Sahne, Tomaten, Gewürze und Baguette gab es im Vorrat der
Küche immer, und das etwas herbe Blutorangenparfait mit Zimt, das
zusammen mit den Gateaux au chocolat den krönenden Abschluß des Menu

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