Fachrichtung: deutsche sprache und literatur


Die Essenz von Goethes Faust-Tragödie


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Werke von Geothe

2.2. Die Essenz von Goethes Faust-Tragödie

Nach Victor Lange hat sich kein Werk der Weltliteratur so sehr der Interpretation entzogen wie Goethes Faust. Neben dem Umfang von Faust I und Faust II mit zusammen 12.000 Versen und neben den vielen Anspielungen auf Geschichte, Wissenschaft und Mythologie gibt es weitere wichtige Hürden der Interpretation: insbesondere der zweite Teil fordert wegen seiner „labyrinthischen Topographie des Textes ein ungewöhnliches Maß an Umsicht und Wissen“. Darüber hinaus hat Goethe wissentlich zu diesen Verständnishürden beigetragen: Er erwähnt 1827 in einem Brief an K. J. L. Iken, dass er mit Faust II das Mittel des Dramas gewählt habe, um so „den geheimeren Sinn dem Aufmerksamen zu offenbaren“, „da sich manches unserer Erfahrungen nicht rund aussprechen und direkt mitteilen lässt.“ Goethe vermutet, dass, „wer sich nicht etwas umgetan hat und einiges erlebt hat nichts damit anzufangen wissen“ wird. Er war zufrieden, in den Text viel „hineingeheimnisst“ zu haben und hat das Werk nach eigner Darstellung so konzipiert, dass „alles zusammen ein offenbares Rätsel bleibe, die Menschen fort und fort ergötze und ihnen zu schaffen mache“. 14Zudem hat Goethe das Manuskript vor seinem Tod 1831 versiegeln lassen mit der Anweisung, es erst nach seinem Tod zu öffnen – nicht einmal seinen Freunden hat er den vollständigen Text gezeigt. Das weist auf eine besondere Bedeutung des in mehr 30 Jahren geschaffenen Werks für das Selbstverständnis seines Autors hin. Im Zusammenhang mit seiner Trennung von Lili Schönemann schrieb Goethe in seiner Autobiografie: „Hier war ich zum ersten Mal schuldig.“ Dieses „zum ersten Mal“ rückt nicht nur das Gretchen-Drama in einen Kontext der Schuld und nachträglichen Rechtfertigung: Der Faust ist eine poetische Bearbeitung seiner Lebenskrisen und Wirkungsbereiche, die in Faust I mit der Abgrenzung von einer dogmatischen, eher scholastischen Wissenschaft und der Bearbeitung seiner ersten großen Liebe beginnt, und sich in Faust II seinen anderen Tätigkeiten und ihrem poetologischen und philosophischen Hintergrund widmet. Schon für das Verständnis von Faust I ist wichtig, dass die letztliche Belohnung der Faust-Figur durch seine Aufnahme in den Himmel am Ende von Faust II relativ früh feststand. Denn in wichtigen Akten und Szenen sind der erste und der zweite Teil der Faust parallel konzipiert und, mit kürzeren und längeren Pausen, nach und nach ausgearbeitet worden. Der erste Teil wurde zwar 1808 und damit 24 Jahre vor dem zweiten Teil veröffentlicht, aber „schon um 1800“, also 8 Jahre vor der Veröffentlichung von Faust I, arbeitete Goethe am zentralen 3.15


Akt von Faust II und beschäftigte sich mit Fausts Tod für das Ende des ganzen Werks: allerdings habe er „nur die mir gerade interessantesten Stellen durchgearbeitet.“ Das Ende von Faust I und das Ende von Faust II wurden demnach perspektivisch verbunden erdacht: Seiner Entstehung nach ist der Faust ein zusammenhängendes Werk mit einem für Fausts Seele letztlich, trotz allem, positiven Ausklang. Goethe beschäftigte sich im Faust mit dem für das 19. Jahrhundert neuen Thema der Dynamik in Natur und Gesellschaft, das gleichzeitig Hegel in der Philosophie, später auch Darwin in der Biologie, Marx in der Ökonomie und Wagner in der Musik auf jeweils ihre Weise zum Thema gemacht haben. Das Zentralmotiv der Faust ist das irrende, rastlose menschliche „Streben“, dass durch die Mitwirkung Mephistos, dem Alter Ego der Faust-Figur, immer wieder Katastrophen auslöst.
Oswald Spengler sah im Faust vor allem eine Darstellung der technologischen Beherrschung und Ausbeutung der Natur durch die Anwendung von Naturgesetzen, die er kritisch als "faustisch" bezeichnete. Für Walter Hindere formuliert der Faust eine extreme Kritik an der zeitgenössischen Kultur, wobei in der Schlussszene von Faust II, in der Himmelfahrt Fausts, die Schattenseite dieser Kultur mit einem humanistischen Menschheitsideal versöhnt werde. Faust sei „zum problematischen Vertreter des genialen Menschen geworden“: Faust als „Person“, als „denkendem Subjekt“ stünden fast alle anderen nur als Objekte, als „passive Masse“ gegenüber und würden Rohmaterial seiner Ideen, deren Realisierung durch Mephisto immer wieder zu Katastrophen führen. Der ganze Faust mit dieser Apologie des rücksichtslosen, auch über Leichen gehenden Strebens und seiner paradiesischen Belohnung war wegen seines Mangels an moralischer Selbstkontrolle ein „geistiges Ärgernis des Jahrhunderts.“ Die „Selbstverstrickung in Schuld bei redlichstem Wollen“ sei uns aber nicht fremd - heute würde eine Faust mit vergleichbaren Eingriffen in Natur und Gesellschaft als Technokrat verstanden und kritisiert werden.


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