Das Lächeln der Frauen
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Das Lächeln der Frauen
»Literary Agency Adam Goldberg, Sie sind mit unserem
Anrufbeantworter verbunden. Leider rufen Sie außerhalb unserer Geschäftszeiten an. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton.« Ich holte tief Luft. »Adam!« sagte ich, und es klang selbst in meinen Ohren wie ein Hilfeschrei. »Hier ist Andre. Bitte ruf mich umgehend an. Wir haben ein Problem!« 3 Als das Telefon klingelte, war ich gerade im Garten eines bezaubernden englischen Cottages und zupfte gedankenverloren ein paar welke Blätter aus einem Busch mit duftenden Teerosen, die an einer Backsteinmauer emporrankten. Ein paar Vögel zwitscherten, der Morgen war erfüllt von einem fast unwirklichen Frieden, und die Sonne schien mild und warm auf mein Gesicht. Der perfekte Anfang eines perfekten Tages, dachte ich und beschloß, das Telefon zu überhören. Ich tauchte mein Gesicht in eine besonders dicke rosafarbene Blüte, und das Klingeln verstummte. Dann hörte ich ein leises Knacken, und eine Stimme, die ich gut kannte, die aber irgendwie nicht hierhergehörte, erklang hinter mir. »Aurélie? ... Aurélie, schläfst du noch? Warum gehst du nicht ans Telefon? Hm ... komisch ... Bist du vielleicht gerade unter der Dusche? ... Hör mal, ich wollte dir nur sagen, es wird eine halbe Stunde später bei mir, und ich bringe Croissants mit und Chocolatines, die ißt du doch immer so gern. - Aurélie? Haaaallooo! Hallohallohallo! Jetzt nimm doch mal ab, bitte!« Seufzend schlug ich die Augen auf und taumelte auf nackten Füßen in den Flur, wo das Telefon auf seiner Station stand. »Hallo, Bernadette!« sagte ich verschlafen, und der englische Rosengarten verblaßte. »Habe ich dich geweckt? Es ist doch schon halb zehn.« Bernadette gehört zu den Menschen, die gerne früh aufstehen, und halb zehn ist für sie schon fast Mittag. »Hm ... hin.« Ich gähnte, ging ins Schlafzimmer zurück, klemmte mir den Hörer zwischen Kopf und Schulter und angelte mit einem Fuß nach meinen ausgetretenen Ballerinas, die unter dem Bett lagen. Zu den Nachteilen eines kleinen Restaurants gehört es, daß man am Abend eigentlich nie frei hat. Der unschlagbare Vorteil allerdings ist der, daß man morgens ohne Eile den Tag beginnen kann. »Ich hatte gerade so etwas Schönes geträumt«, sagte ich und zog die Vorhänge auf. Ich blickte zum Himmel - keine Sonne! - und verlor mich in Gedanken an das sommerliche Cottage. »Geht es dir besser? Ich bin gleich bei dir!« Ich lächelte. »Ja. Viel besser«, erklärte ich und merkte überrascht, daß es stimmte. Drei Tage waren vergangen, seit Claude mich verlassen hatte, und bereits gestern, als ich zwar etwas übernächtigt, jedoch keineswegs unglücklich in den Markthallen meine Einkäufe machte und abends im Restaurant die Gäste begrüßte und ihnen den Loup de mer ans Herz legte, den Jacquie so köstlich zubereiten konnte, hatte ich kaum noch an ihn gedacht. Dafür um so mehr an Robert Miller und seinen Roman. Und an meine Idee, ihm zu schreiben. Nur einmal, als Jacquie mir väterlich den Arm um die Schulter legte und sagte: »Ma pauvre petite, wie konnte er dir das antun, dieser Mistkerl. Ah, les hommes sont des cochons, komm, hier, iß einen Teller Bouillabaisse«, hatte ich einen kleinen Stich im Herzen verspürt, aber jedenfalls mußte ich nicht mehr weinen. Und als ich nachts nach Hause gekommen war, hatte ich mich mit einem Glas Rotwein an den Küchentisch gesetzt, noch einmal in dem Buch geblättert, und dann hatte ich lange vor einem weißen Bogen Papier gesessen, meinen Füller in der Hand. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal einen Brief geschrieben hatte, und nun schrieb ich einen Brief an einen Mann, den ich gar nicht kannte. Das Leben war seltsam. »Weißt du was, Bernadette?« sagte ich und ging in die Küche, um den Tisch zu decken. »Es ist etwas Merkwürdiges passiert. Ich glaube, ich habe eine Überraschung für dich.« Eine Stunde später saß Bernadette vor mir und sah mich verblüfft an. »Du hast ein Buch gelesen?« Sie war mit einem kleinen Strauß Blumen und einer riesigen Tüte voller Croissants und Pains au chocolat gekommen, um mich zu trösten, und statt einer Unglücklichen mit gebrochenem Herzen, die ein Papiertaschentuch nach dem anderen vollheulte, fand sie eine Aurélie vor, die ihr aufgeregt und mit glänzenden Augen eine abenteuerliche Geschichte erzählte, von einem getupften Regenschirm, der weggeweht war, von einem Polizisten auf einer Brücke, der sie verfolgt hatte, von einer verwunschenen Buchhandlung, in der Marc Chagall gesessen und ihr Kekse angeboten hatte, und von diesem wunderbaren Buch, nach dem sie gegriffen hatte. Wie eins zum anderen gekommen war, welche Fügung! Daß sie die ganze Nacht gelesen hatte, in diesem schicksalhaften Buch, das ihren Liebeskummer vertrieben und sie neugierig gemacht hatte. Von ihrem Traum und daß sie dem Autor einen Brief geschrieben hatte, und ob dies alles nicht höchst erstaunlich sei. Vielleicht hatte ich zu schnell geredet oder zu verworren, jedenfalls hatte Bernadette das Wesentliche nicht begriffen. »Also, du hast dir so einen Liebeskummer-Ratgeber gekauft, und danach ging's dir besser«, faßte sie mein ganz persönliches Wunder in schlichten Worten zusammen. »Ist doch wunderbar! Ich hätte zwar nicht gedacht, daß du der Typ für Selbsthilfebücher bist, aber Hauptsache, es hat dir geholfen.« Ich schüttelte den Kopf. »Nein, nein, nein, du hast es nicht verstanden, Bernadette. Es war keines dieser Psychobücher. Es ist ein Roman, und ich selbst komme darin vor!« Bernadette nickte. »Du willst sagen, die Heldin denkt so ähnlich wie du, und das hat dir so gut daran gefallen.« Sie grinste und breitete theatralisch die Arme aus. »Willkommen in der Welt der Bücher, liebe Aurélie. Ich muß sagen, dein Enthusiasmus läßt mich hoffen. Vielleicht wird aus dir noch eine ganz passable Leserin!« Ich stöhnte. »Bernadette, jetzt hör mir doch mal zu. Ja, ich lese nicht viele Bücher, und nein, ich flippe nicht völlig aus, nur weil ich jetzt mal irgendeinen Roman gelesen habe. Dieses Buch hat mir gefallen, sehr gut sogar. Das ist die eine Sache. Und die andere Sache ist: Es kommt ein Mädchen darin vor, eine junge Frau, die so aussieht wie ich. Sie heißt zwar Sophie, aber sie hat lange dunkelblonde, gewellte Haare, sie ist mittelgroß und schlank, sie trägt mein Kleid. Und sie sitzt am Ende in meinem Restaurant, das Le Temps des Cerises heißt und in der Rue Princesse liegt.« Bernadette sagte einen langen Moment nichts. Dann sagte sie: »Und ist diese Frau aus dem Roman auch mit einem abgedrehten, völlig beknackten Typen namens Claude zusammen, der sie die ganze Zeit mit einer anderen betrügt?« »Nein, ist sie nicht. Sie ist mit gar keinem zusammen und verliebt sich später in einen Engländer, der die Sitten und Gebräuche der Franzosen ziemlich seltsam findet.« Ich warf ein Stück Croissant nach Bernadette. »Außerdem hat Claude mich nicht die ganze Zeit schon betrogen!« »Wer weiß? Aber laß uns nicht von Claude reden! Ich will jetzt sofort dieses wunderbare Buch sehen!« Bernadette hatte offensichtlich Feuer gefangen. Vielleicht war es aber auch einfach so, daß sie alles wunderbar fand, was mich von Claude wegführte und mir meinen Seelenfrieden wiedergab. Ich stand auf und holte das Buch, das auf der Anrichte lag. »Hier«, sagte ich. Bernadette warf einen Blick auf den Titel. »Das Lächeln der Frauen«, las sie laut vor. »Ein schöner Titel.« Sie blätterte interessiert durch die Seiten. »Siehst du ... hier«, sagte ich eifrig. »Und hier ... lies das mal!« Bernadettes Augen gingen hin und her, während ich gespannt wartete. »Tja«, sagte sie schließlich. »Ein bißchen seltsam ist das schon. 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