Das Lächeln der Frauen


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Das Lächeln der Frauen

»Au revoir, Monsieur Chabanais.« Sie lächelte mir noch einmal zu, bevor
sie sich zum Gehen wandte. »Vielleicht finde ich es mit Ihrer Hilfe ja bald
heraus.«
»Au revoir, Mademoiselle Bredin.« Ich lachte auch und hoffte, daß sie es
niemals herausfinden würde. Und schon gar nicht mit meiner Hilfe.


 
5
»Miller«, sagte Bernadette. »Miller ... Miller ... Miller.« Sie saß mit
vorgebeugtem Oberkörper vor ihrem PC und gab den Namen Robert Miller
ein. »Wollen mal sehen, was Google dazu sagt.«
Es war wieder Montag, und am Wochenende war so viel los gewesen im
Restaurant, daß ich keine Zeit gefunden hatte, mich meiner neuen
Lieblingsbeschäftigung zu widmen - dem Suchen und Finden von Robert
Miller.
Wir hatten am Freitag zwei größere Gesellschaften gehabt - einen
Geburtstag, bei dem viel gesungen und angestoßen wurde, und eine Gruppe
von vielleicht noch fideleren Geschäftsleuten, die offensichtlich schon im
November ihre Weihnachtsfeier abhielten und gar kein Ende finden
konnten.
Jacquie hatte geflucht und geschwitzt, weil Paul, der Sous-Chef, krank
geworden war und er jetzt die ganze Braterei mit übernehmen mußte.
Außerdem wollte keiner der Gäste das Menu mit dem Fisch. Alle
bestellten a la carte und Jacquie beschwerte sich, weil ich zuviel Lachs
eingekauft hatte, den er jetzt nicht mehr loswerden würde.
Doch ich war mit meinen Gedanken ganz weit weg. Sie umkreisten einen
gutaussehenden Engländer, der vielleicht genauso einsam war wie ich.
»Stell dir vor, seine Frau hat ihn verlassen, und jetzt hat er nur noch
seinen kleinen Hund«, hatte ich Bernadette erzählt, als ich sie am
Sonntagnachmittag anrief. Ich lag auf meinem Sofa und hatte Millers Buch
in der Hand.
»Nein, chérie! Das ist ja der Ball der einsamen Herzen! Er wurde
verlassen, du wurdest verlassen. Er liebt die französische Küche, du liebst
die französische Küche. Und er hat über dein Restaurant geschrieben und
vielleicht sogar über dich. Da kann ich doch nur sagen: Bon appetit!«
witzelte sie. »Hat er sich denn schon bei dir gemeldet, dein trauriger
Engländer?«


»Also wirklich, Bernadette«, entgegnete ich und stopfte mir ein Kissen in
den Nacken. »Erstens ist er nicht mein Engländer, zweitens finde ich all
diese Zufälle sehr bemerkenswert, und drittens kann er meinen Brief noch
gar nicht bekommen haben.« Ich mußte wieder an das etwas seltsame
Gespräch denken, das ich vor ein paar Tagen in der Editions Opale geführt
hatte. »Ich kann nur hoffen, daß dieser komische bärtige Mann meinen
Brief auch wirklich abschickt.«
Mit »dieser komische bärtige Mann« war Monsieur Chabanais gemeint,
der mir im nachhinein immer weniger vertrauenerweckend vorkam.
Bernadette lachte. »Du machst dir viel zu viele Gedanken, Aurelie! Nenn
mir einen Grund, warum er deinen Brief zurückhalten sollte.«
Ich studierte nachdenklich das Ölbild vom Baikalsee, das an der
gegenüberliegenden Wand hing und das mein Vater auf seiner
abenteuerlichen Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn in Ulan Bator vor
vielen Jahren einem russischen Maler abgekauft hatte. Es war ein heiteres,
friedliches Bild, das ich immer wieder gerne ansah. Am Ufer schaukelte ein
alter Kahn auf dem Wasser, dahinter erstreckte sich der See. Er war ganz
klar, lag ruhig da, in eine frühsommerliche Moorlandschaft eingebettet, und
leuchtete mir mit seinem unergründlichen Blau entgegen. »Man sollte es
nicht denken«, hatte mein Vater gesagt. »Es ist einer der tiefsten Seen
Europas.«
»Ich weiß nicht«, entgegnete ich und ließ meinen Blick über die
spiegelnde Wasseroberfläche des Sees gleiten, auf der Licht und Schatten
miteinander spielten. »Es ist nur so ein Gefühl. Vielleicht ist er eifersüchtig
und will seinen heiligen Autor vor allen anderen Menschen abschirmen.
Oder auch nur vor mir.«
»Ach, Aurélie - was redest du da! Du bist eine alte
Verschwörungstheoretikerin. «
Ich setzte mich auf. »Bin ich nicht. Dieser Mann war merkwürdig. Erst
gebärdet er sich am Telefon wie ein Zerberus. Und dann, als ich ihn später
im Verlag angesprochen habe, hat er mich angestarrt wie ein
Geistesgestörter. Er hat zuerst gar nicht reagiert auf meine Fragen, immer
nur weiter gestarrt, so als ob er nicht alle Tassen im Schrank hätte.«
Bernadette schnalzte ungeduldig mit der Zunge. »Vielleicht war er
einfach nur überrascht. Oder er hatte einen harten Tag. Meine Güte, Aurélie,
was erwartest du? Er kennt dich doch überhaupt nicht. Du quatschst ihn am
Telefon zu. Dann kommst du ohne jede Vorwarnung abends in den Verlag,


überfällst den armen Mann, der gerade nach Hause gehen will, und fragst
nach einem Brief, der für ihn irgendein Brief von irgendeiner überdrehten
Autogrammjägerin ist, die sich ziemlich wichtig nimmt. Also, ich finde es
erstaunlich, daß er dich nicht vor die Tür gesetzt hat. Stell dir mal vor, jeder
Leser käme in den Verlag gestürmt, um sich persönlich davon zu
überzeugen, daß seine Post auch an diverse Autoren weitergeschickt wird.
Ich für meinen Teil hasse es, wenn Eltern plötzlich unangemeldet im
Türrahmen stehen und nach der Schule mit mir ausdiskutieren wollen,
warum ihr wunderbares Kind eine Strafarbeit machen soll.«
Ich mußte lachen. »Schon gut, schon gut. Trotzdem bin ich froh, daß ich
selbst mit diesem Lektor sprechen konnte.«
»Das kannst du auch. Immerhin hat Monsieur Zerberus sich am Ende
doch noch ganz nett mit dir unterhalten.«
»Nur um mir klarzumachen, daß der Autor sich sowieso nicht bei mir
melden wird, weil er menschenscheu und verbittert in seinem Cottage sitzt
und keine Zeit für solche Scherze hat«, warf ich ein.
»Und er will dir sogar Bescheid geben, wenn Robert Miller nach Paris
kommt«, fuhr Bernadette unbeeindruckt fort. »Was willst du eigentlich
mehr, Mademoiselle Ich-krieg-den-Hals-nicht-voll?«
Ja, was wollte ich mehr?
Ich wollte mehr über diesen Engländer herausfinden, der so sympathisch
aussah und so wunderbare Dinge schrieb, und das war der Grund, warum
ich an diesem Montagmorgen, eine Woche, nachdem alles angefangen hatte,
mit Bernadette vor der Suchmaschine saß.
»Ich bin so froh, daß du montags nicht zur Schule mußt und wir uns
treffen können«, sagte ich, und ein Gefühl der Dankbarkeit überkam mich,
als ich meine Freundin sah, wie sie mit konzentrierter Miene alle Millers
dieser Welt für mich heraussuchte.
»Hm ... hm«, machte Bernadette, strich sich eine blonde Strähne hinters
Ohr und sah gebannt auf den Bildschirm. »Mist, ich hab mich vertippt -
Nein, ich meine nicht Niller, sondern M-i-l-l-e-r!«
»Weißt du, ich könnte mich ja gar nicht abends verabreden wie die
meisten Leute, da muß ich ja ins Restaurant.« Ich beugte mich zu ihr, um
auch etwas zu erkennen. »Obwohl ... jetzt, wo Claude weg ist, ist es
natürlich nicht schlecht, abends etwas zu tun zu haben«, redete ich weiter.
»Diese Winterabende können sehr einsam sein.«


»Wenn du willst, können wir heute abend ins Kino gehen«, sagte
Bernadette. »Emile ist zu Hause, und da kann ich gut weg. Hast du
eigentlich noch was von Claude gehört?« fragte sie übergangslos.
Ich schüttelte den Kopf und war ihr dankbar, daß sie diesmal einfach nur
Claude sagte.
»Ich hab nichts anderes von dem Idioten erwartet«, knurrte sie und
runzelte die Stirn. »Unfaßbar, einfach so abzutauchen.« Dann wurde ihre
Stimme wieder freundlicher. »Vermißt du ihn?«
»Nun ja«, sagte ich und war selbst ein wenig erstaunt, wie sehr meine
Gefühlslage sich seit jenem unglücklichen Tag, als ich durch Paris geirrt
war, verbessert hatte. »Nachts ist es schon ein bißchen seltsam, so allein im
Bett zu liegen.« Ich überlegte einen Moment. »Es ist einfach komisch, wenn
plötzlich keiner mehr den Arm um dich legt.«
Bernadette hatte ihren großen empathischen Augenblick. »Ja. Das kann
ich mir gut vorstellen«, sagte sie, ohne gleich hinzuzufügen, daß es
natürlich nicht dasselbe war, ob ein netter Mann oder ein Idiot seinen Arm
um einen legte.
»Aber wer weiß, was noch kommt?« Sie sah mich an und zwinkerte mir
zu. »Du hast ja inzwischen eine wunderbare Ablenkung gefunden. Und hier
haben wir ihn schon: Robert Miller - zwölf Millionen zweihunderttausend
Einträge. Na, wer sagt's denn?«
»Oh, nein!« Ich blickte ungläubig auf den Bildschirm. »Das gibt's ja
nicht!«
Bernadette klickte wahllos ein paar Einträge auf. »Robert Miller-
zeitgenössische Kunst.« Ein quadratisches Bild öffnete sich, das aus
verschiedenenfarbigen 
Strichen 
bestand. 
»Oh, 
wirklich 
sehr
zeitgenössisch!« Sie machte die Seite wieder zu. »Und was haben wir hier?
Rob Miller, Rugby Union Player, hui - sportlich, sportlich.« Sie ließ den
Curser über die Seite gleiten. »Robert Talbot Miller, amerikanischer Agent,
spionierte für die Sowjetunion - na, der wird's nicht sein, der hat das
Zeitliche schon gesegnet.« Sie lachte, die Suchaktion begann ihr
offensichtlich Spaß zu machen. »Bee, rief sie jetzt aus. »Robert Miller,
Rang 224 unter den reichsten Leuten der Welt! Willst du es dir nicht noch
mal überlegen, Aurélie?«
»So kommen wir nicht weiter«, sagte ich. »Du mußt ›Robert Miller
Schriftsteller‹ eingeben.«


Unter »Robert Miller Schriftsteller« gab es immerhin nur noch
sechshundertfünfzigtausend Einträge, was aber immer noch eine echte
Herausforderung war.
»Konntest du dir nicht einen Autor mit einem etwas ausgefalleneren
Namen aussuchen?« sagte Bernadette und klickte die erste Seite durch, die
sich geöffnet hatte. Es war so ziemlich alles dabei - von einem Mann, der
Pferdetrainingsbücher veröffentlichte, über einen Dozenten, der bei der
Oxford University Press etwas über die englischen Kolonien geschrieben
hatte, bis zu einem wirklich wahnsinnig furchterregend aussehenden
englischen Autor, der ein Buch über die Burenkriege abgesondert hatte.
Bernadette deutete auf das Photo. »Der kann's ja wohl nicht sein, oder?«
Ich schüttelte heftig den Kopf. »Um Himmels willen, nein!« rief ich.
»So kommen wir jedenfalls nicht weiter«, sagte Bernadette. »Sag mir
noch mal den Titel des Romans.«

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