Das Lächeln der Frauen


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Bog'liq
Das Lächeln der Frauen

für ein Abendessen im »Temps des Cerises«.
 


Mit den allerherzlichsten Grüßen,
Ihre
Aurélie Bredin
 
PS: Es ist übrigens das erste Mal, daß ich einem Autor schreibe. Und es ist
normalerweise auch nicht meine Art, fremde Herren zum Essen einzuladen,
aber ich denke, in den Händen eines englischen Gentlemans, für den ich Sie
halte, ist mein Brief gut aufgehoben.
Nach der ersten Lektüre dieses Briefes hatte ich mich auf den Bürostuhl
von Madame Petit fallen lassen und eine weitere Zigarette geraucht.
Ich muß gestehen - wäre ich Robert Miller gewesen, hätte ich mich für
einen Glückspilz gehalten. Ich hätte nicht eine Sekunde gezögert und diesen
Brief beantwortet, der so viel mehr war als ein ganz normaler Leserbrief.
Ach, ich hätte mich liebend gerne von der schönen Köchin in ihr kleines
Restaurant einladen lassen zu einem ganz privaten diner d deux (die
Einladung klang verlockend) und vielleicht auch noch zu ganz anderen
Dingen (die ich mir noch verlockender vorstellte).
Doch dummerweise war ich nur André Chabanais, irgend so ein
hergelaufener Durchschnitts-Cheflektor, der so tat, als sei er Robert Miller.
Dieser großartige, witzige und doch tiefsinnige Schriftsteller, der sich in die
Herzen schöner unglücklicher Frauen schrieb.
Ich sog an der Zigarette und betrachtete eingehend das Photo, das Aurélie
Bredin ihrem Brief beigelegt hatte. Sie trug darauf dieses grüne Kleid
(offenbar war es eines ihrer Lieblingskleider), die Haare fielen ihr offen
über die Schultern und sie lächelte ganz verliebt in die Kamera.
Und wieder galt ihr Lächeln nicht mir. Als das Photo gemacht wurde,
hatte sie wen-auch-immer angelächelt, wahrscheinlich war es der Typ, der
ihr später das Herz gebrochen hatte (Liebeskummer, Weltschmerz). Und als
sie das Bild in den Umschlag steckte, hatte sie es getan, um auf diese Weise
Robert Miller anzulächeln. Hätte sie gewußt, daß ich es sein würde (und
nicht ihr englischer Gentleman), der ihr Photo später kurzerhand in seiner
Brieftasche verschwinden ließ, hätte sie nicht mehr so reizend gelächelt, da
war ich mir sicher.
Ich drückte die Zigarette aus, warf die Kippe in den Papierkorb und
steckte den Brief samt Briefumschlag in meine Aktentasche.


Als ich den Verlag nach diesem ereignisreichen Tag endlich verließ,
kamen mir bereits lachend und schnatternd die philippinischen
Reinigungskräfte entgegen, die abends die Büros putzten und den Müll
entsorgten.
»Oooh, Missju Zabanais, musse imme zoviel aabeite!« riefen sie fröhlich
und nickten bedauernd. Ich nickte auch, wenngleich eher geistesabwesend
als fröhlich. Zeit, endlich nach Hause zu kommen. Es war kalt, aber es
regnete nicht, als ich die Rue Bonaparte hinunterging und mich fragte,
warum Mademoiselle Bredin eigentlich auf der Flucht vor der Polizei
gewesen war. Sie sah nicht gerade aus wie jemand, der im Monoprix ein T-
Shirt klaute. Und was hieß in diesem Zusammenhang »sozusagen«? Hatte
die Besitzerin des Temps des Cerises Steuern hinterzogen? Oder war dieser
Polizist, vor dem sie in die Buchhandlung flüchtete, wo sie dann
dankenswerterweise mein Buch fand, vielleicht ihr Freund, so ein
gewalttätiger Bulle, mit dem sie sich fürchterlich zerstritten hatte und der
sie anschließend verfolgte?
Die wichtigste Frage jedoch stellte ich mir erst, als ich den Zahlencode
eingab, mit dem sich das Eingangstor in der Rue des Beaux-Arts öffnen
ließ, das zu meiner Wohnung führte.
Wie gewann man das Herz einer Frau, die sich in den Kopf gesetzt hatte,
einen Mann kennenzulernen, den sie bewunderte und dem sie sich
schicksalhaft verbunden glaubte? Einen Mann, den es - Ironie des
Schicksals - in Wirklichkeit gar nicht gab. Den Geist, den man nicht mehr
loswurde, herbeigerufen von zwei erfindungsreichen Zauberlehrlingen, die
sich für sehr schlau hielten und in einer Branche arbeiteten, die Träume
verkaufte.
Hätte ich diese Geschichte in einem Roman gelesen, ich hätte mich
köstlich amüsiert. Wenn man. selbst den komischen Helden in der
Geschichte spielen mußte, war sie nicht mehr ganz so lustig.
Ich stieß die Wohnungstür auf und machte das Licht an. Was ich
brauchte, war eine geniale Idee (die ich leider noch nicht hatte). Eines
jedoch wußte ich genau: Robert Miller, dieser perfekte englische Gentleman
mit seinem blöden Cottage, der so wahnsinnig geistreich und humorvoll
schrieb, würde niemals mit Aurélie Bredin zu Abend essen. Vielleicht aber,
und wenn ich es geschickt anstellte, der sehr viel nettere Franzose André
Chabanais mit seiner Mietwohnung in der Rue des Beaux-Arts.


Dieser nette Franzose hörte wenige Minuten später seinen
Anrufbeantworter ab, auf dem sich eine vorwurfsvolle Nachricht seiner
Mutter befand, die ihn aufforderte, doch endlich an den Apparat zu gehen.
»Andre? Ich weiß genau, daß du zu Hause bist, mon petit chou, warum
nimmst du nicht ab? Kommst du am Sonntag zum Essen? Du könntest dich
ab und zu auch mal ein bißchen um deine alte Mutter kümmern, ich
langweile mich, was soll ich den ganzen Tag machen, ich kann nicht immer
Bücher lesen«, quengelte sie, und ich tastete schon wieder nervös nach dem
Zigarettenpäckchen in meiner Jackentasche.
Dann war Adams Stimme zu hören.
»Hi, Andy, ich bin's! Na, alles roger? Du, mein Bruder ist gerade auf
einem Dentistenkongreß in Sant'Angelo und kommt erst am Sonntagabend
zurück. Ha ... ha ... ha, die haben ein Leben, diese Ärzte, was?«
Er lachte unbekümmert, und ich fragte mich, ob er kapiert hatte, daß die
Zeit lief. Hatte sein Bruder kein Handy? Gab es in diesem Sant'Angelo (wo
war das überhaupt) keine Telefone? Was war los?
»Ich dachte, ist vielleicht besser, ich ruf Sam an, wenn er wieder zu
Hause ist und den Kopf frei hat«, schob Adam die Erklärung gleich
hinterher. »Anyway, ich melde mich wieder, wenn ich mit Sam gesprochen
habe, übers Wochenende sind wir bei Freunden in Brighton, aber du kannst
mich wie immer auf dem Handy erreichen.«
Ich sagte: »Ja, ja, alles klar, wie immer auf dem Handy« und zündete mir
die nächste Zigarette an.
»Also, mach's gut - und André?«
Ich hob den Kopf.
»Mach dir nicht ins Hemd, mein Freund. Wir kriegen Sam schon nach
Paris.«
Ich nickte ergeben und ging in die Küche, um zu sehen, was der
Kühlschrank hergab. Die Ausbeute war gar nicht mal schlecht. Ich fand eine
Tüte mit frischen grünen Bohnen, die ich kurz in Salzwasser kochte, und
briet mir ein großes Steak dazu. Englisch, natürlich.
Als ich gegessen hatte, setzte ich mich mit einem Glas Côtes du Rhone
und einem Blatt Papier an den runden Wohnzimmertisch und widmete mich
meinen strategischen Überlegungen in Sachen Aurélie Bredin = A. B. Zwei
Stunden später hatte ich folgende Überlegungen zu Papier gebracht:


1. Robert Miller ignoriert den Brief und antwortet nicht. A. B. wird sich
zunächst wahrscheinlich an ihre Kontaktperson im Verlag wenden, um
nachzuhören, was mit dem Autor los ist. André Chabanais = A. C. sagt,
der Autor möchte keinen Kontakt. A. C. gibt keine weiteren
Informationen raus A. B: rennt vor die Wand und verliert irgendwann
das Interesse sie hat auch kein Interesse mehr an A. C. als möglichen
Mittelsmann.
2. Robert Miller beantwortet den Brief nicht, aber A.C. bietet seine Hilfe
an er macht sich damit bei A. B. beliebt. Allerdings werden Gedanken
von A. B. in die falsche Richtung gelenkt, nämlich auf den Autor, nicht
auf den Lektor. Kann er ihr am Ende wirklich helfen? Nein. Denn es gibt
ja keinen Robert Miller. A. C. muß Zeit gewinnen, um A. B. zu zeigen,
was für ein netter Kerl er ist. (Und was für ein Blödmann der Engländer
in Wirklichkeit ist, aber ganz beiläufig!)
3. Robert Miller schreibt nett, aber zunächst etwas vage zurück. Die
Flamme wird am Brennen gehalten. Der Autor verweist auf seinen
wunderbaren Lektor (A. C.) und macht Hoffnung, daß er in nächster Zeit
eventuell in Paris ist, aber nicht weiß, ob Treffen möglich, da zu viele
Termine.
4- A.C. arrangiert etwas. Fragt A. B., ob sie zu einem Termin, den er mit
Miller hat (ein Abendessen?), dazu-stoßen möchte Sie will und ist
dankbar. Natürlich kommt kein Autor, der angeblich im letzten Moment
absagt A. B. ist sauer auf den Autor. A. C. sagt, er sei leider immer so
unzuverlässig A. B. und A. C. verbringen einen wunderbaren Abend
und A. B. merkt, daß sie sympathischen Lektor eigentlich viel lieber mag
als komplizierten Autor.
Ich nickte zufrieden, als ich Punkt 4 jetzt noch einmal las. Das war für den
Anfang keine schlechte Idee. Ob sie wirklich genial war, würde sich zeigen.
Allerdings gab es noch ein paar offene Fragen:

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