Das Lächeln der Frauen


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Das Lächeln der Frauen

Cerises.
Meine Freundin bekam ihre glitzernde Halskette. Kurze Zeit später
verließ sie mich.
Doch was mir blieb, war das Lächeln einer Fremden, das mich inspirierte
und beflügelte. Ich taufte sie Sophie und füllte sie mit Leben. Ich schickte
sie durch eine abenteuerliche Geschichte, die ich mir ausgedacht hatte.
Und nun stand sie plötzlich vor mir, und ich fragte mich allen Ernstes, ob
es möglich war, daß eine Romanfigur ein Mensch aus Fleisch und Blut
werden konnte.
»Monsieur?« Die Stimme hatte einen besorgten Ton angenommen, und ich
kehrte in den Flur der Editions Opale zurück, wo ich immer noch vor
meiner zugezogenen Bürotür stand.
»Verzeihen Sie, Mademoiselle«, sagte ich und bemühte mich, meiner
Verwirrung Herr zu werden. »Ich war gerade in Gedanken. Was sagten
Sie?«


»Ich möchte mit Monsieur Chabanais sprechen, wenn das möglich ist«,
wiederholte sie noch einmal.
»Nun ... Sie sprechen mit ihm«, entgegnete ich, und ihre überraschte
Miene zeigte mir, daß sie sich den Mann, der sie wenige Stunden zuvor so
unfreundlich aus der Leitung geworfen hatte, auch anders vorgestellt hatte.
»Oh«, sagte sie, und ihre schmalen dunklen Augenbrauen gingen in die
Höhe. »Sie sind das!« Ihr Lächeln verschwand.
»Ja, das bin ich«, wiederholte ich etwas einfältig.
»Dann haben wir heute nachmittag schon miteinander telefoniert«, sagte
sie. »Ich bin Aurélie Bredin, erinnern Sie sich? Die mit dem Brief an Ihren
Autor ... Monsieur Miller.« Ihre dunkelgrünen Augen sahen mich
vorwurfsvoll an.
»Ja, in der Tat, ich erinnere mich.« Sie hatte verdammt schöne Augen.
»Sicher sind Sie verwundert, daß ich einfach hier so hereingeschneit
bin?« sagte sie.
Was sollte ich darauf erwidern? Der Grad meiner Verwunderung
überstieg wahrscheinlich ein Tausendfaches von dem, was sie sich
vorstellen konnte. Es grenzte wirklich an ein Wunder, daß Sophie, die
Heldin meines Romans, plötzlich hier hereinschneite und mir Fragen stellte.
Daß sie die Frau vom Nachmittag war, die von mir die Adresse eines
Autors haben wollte (den es gar nicht gab!), weil sein Buch (also mein
Buch!) ihr angeblich das Leben gerettet hatte. Doch wie hätte ich ihr das
erklären sollen? Ich verstand gerade selbst nichts mehr und hatte das
Gefühl, daß in der nächsten Minute jemand mit triumphierendem
Fernsehgelächter aus der Ecke springen würde, um mir übertrieben fröhlich
zuzurufen: »You are in Candid Camera, hahaha!«
Also starrte ich sie weiterhin an und wartete darauf, daß meine Gedanken
sich sortierten.
»Nun ...«, sie räusperte sich. »Nachdem Sie heute am Telefon so ...«, sie
machte eine kleine Kunstpause, »... so ungeduldig und hektisch waren, habe
ich gedacht, es ist vielleicht besser, wenn ich persönlich vorbeikomme, um
mich nach meinem Brief zu erkundigen.«
Das waren meine Stichworte. Großartig, sie war gerade mal fünf Minuten
hier und redete bereits wie Ma-man! Ich erwachte umgehend aus meiner
katatonischen Starre.
»Hören Sie, Mademoiselle, ich hatte heute eine Menge um die Ohren.
Aber ich war nicht hektisch oder ungeduldig!«


Sie sah mich nachdenklich an, dann nickte sie. »Stimmt«, sagte sie.
»Wenn ich ehrlich sein soll, waren Sie eher unfreundlich. Ich habe mich
schon gefragt, ob alle Lektoren so unfreundlich sind oder ob das Ihre
Spezialität ist, Monsieur Chabanais.«
Ich grinste. »Keineswegs, wir versuchen hier nur unseren Job zu machen
und werden leider manchmal dabei gestört, Mademoiselle ...« Ich hatte
ihren Namen schon wieder vergessen.
»Bredin. Aurélie Bredin.« Sie streckte mir die Hand entgegen und
lächelte wieder.
Ich ergriff sie und fragte mich bereits in diesem Augenblick, wie ich es
anstellen könnte, daß ich diese Hand (und wenn möglich nicht nur die
Hand) länger halten konnte als nötig. Dann ließ ich los.
»Nun, Mademoiselle Bredin, ich freue mich jedenfalls, jetzt auch
persönlich Ihre Bekanntschaft machen zu dürfen. Man begegnet ja nicht
jeden Tag solch engagierten Leserinnen.«
»Hat sich mein Brief denn nun inzwischen gefunden?«
»Oh, ja! Natürlich«, log ich und nickte. »Er lag ganz friedlich in meinem
Postkorb.«
Was konnte schon passieren? Entweder lag der Brief tatsächlich noch in
meinem Postkorb, oder er lag dort morgen oder übermorgen. Und selbst
wenn dieser Brief niemals auftauchte, wäre es vom Ergebnis dasselbe:
Dieser wunderbare Leserbrief würde seinen Adressaten niemals erreichen,
sondern bestenfalls ganz hinten in meinem Stahlschrank landen.
Ich lächelte zufrieden.
»Dann können Sie ihn ja an Robert Miller weiterleiten«, sagte sie.
»Aber selbstverständlich, Mademoiselle Bredin, seien Sie unbesorgt. Ihr
Brief ist schon so gut wie in den Händen des Autors. Allerdings ...«
»Allerdings?« wiederholte sie beunruhigt.
»Allerdings würde ich mir an Ihrer Stelle nicht zuviel erwarten. Robert
Miller ist ein äußerst zurückhaltender, um nicht zu sagen schwieriger
Mensch. Seit seine Frau ihn verlassen hat, lebt er ganz zurückgezogen in
seinem kleinen Cottage. Er hat sein ganzes Herz an seinen kleinen Hund
gehängt ... Rocky«, fabulierte ich.
»Oh«, sagte sie. »Wie traurig.«
Ich nickte bekümmert.
»Ja, wirklich sehr traurig. Robert war immer schon ein wenig speziell,
aber jetzt ...« Ich seufzte tief und überzeugend. »Wir versuchen gerade, ihn


für eine Geschichte mit dem Figaro nach Paris zu holen, aber ich habe
wenig Hoffnung.«
»Merkwürdig, das hätte ich nie gedacht. Sein Roman ist so ... so
lebensbejahend und humorvoll«, sagte sie nachdenklich. »Haben Sie
Monsieur Miller denn einmal persönlich kennengelernt?« Sie sah mich zum
erstenmal voller Interesse an.
»Nun ...« Ich räusperte mich bedeutungsvoll. »Ich glaube sagen zu
können, daß ich einer der wenigen bin, die Robert Miller wirklich kennen.
Immerhin habe ich viel mit ihm an seinem Buch gearbeitet, und er schätzt
mich sehr.«
Sie wirkte beeindruckt. »Es ist ein tolles Buch geworden.« Und dann
sagte sie: »Ach, ich würde diesen Miller wirklich zu gern kennenlernen.
Meinen Sie nicht, es besteht eine kleine Chance, daß er mir antwortet?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Was soll ich dazu sagen, Mademoiselle
Bredin? Ich glaube es eher nicht, aber ich bin ja nicht der liebe Gott.«
Sie spielte an den Fransen ihres Schals herum. »Wissen Sie ... es ist nicht
ein Leserbrief im eigentlichen Sinne. Es würde jetzt zu weit führen, Ihnen
alles zu erklären, Monsieur Chabanais, und eigentlich ist das ja auch gar
nicht Ihre Sache, aber Monsieur Miller hat mir in einer schwierigen
Situation sehr geholfen, und ich würde mich gern erkenntlich zeigen,
verstehen Sie?«
Ich nickte und konnte es kaum erwarten, an meinen Postkorb zu stürzen,
um zu lesen, was Mademoiselle Aurélie Bredin Monsieur Robert Miller zu
sagen hatte.
»Tja, warten wir es doch einfach ab«, meinte ich salomonisch. »Wie sagt
der Engländer so schön? Abwarten und Tee trinken.«
Mademoiselle Bredin verzog ihr Gesicht in komischer Verzweiflung.
»Ich warte aber so ungern«, erklärte sie.
»Wer wartet schon gern«, entgegnete ich großzügig und hatte das gute
Gefühl, alle Fäden in der Hand zu haben. Nicht im Traum wäre es mir
eingefallen, daß nur wenige Wochen später ich derjenige sein würde, der
unruhig und verzweifelt auf die alles entscheidende Antwort einer äußerst
verärgerten Frau mit dunkelgrünen Augen warten würde, die über den
letzten Satz eines Romans bestimmen sollte. Und damit über mein Leben!
»Darf ich Ihnen meine Karte dalassen?« sagte Mademoiselle Bredin und
zog eine kleine weiße Visitenkarte mit zwei roten Kirschen aus ihrem
Lederbeutel. »Nur für den Fall, daß Robert Miller doch noch nach Paris


kommt. Vielleicht könnten Sie mir dann netterweise Bescheid geben.« Sie
warf mir einen Blick zu, der wohl verschwörerisch sein sollte.
»Ja, lassen Sie uns in Kontakt bleiben.« Ich gebe zu, ich wollte in diesem
Moment nichts mehr als das. Auch wenn ich Robert Miller aus
verständlichen Gründen am liebsten außen vor gelassen hätte. Ehrlich, ich
fing jetzt schon an, diesen Kerl zu hassen. Ich nahm die Karte und konnte
meine Überraschung kaum verbergen. »Le Temps des Cerises«, las ich
halblaut. »Oh ... Sie arbeiten in diesem Restaurant?«
»Mir gehört dieses Restaurant«, entgegnete sie. »Kennen Sie es?«
»Äh ... nein ... ja ... nicht wirklich«, stammelte ich. Ich mußte aufpassen,
was ich sagte. »Ist das ... ist das nicht das Restaurant, das in Millers Roman
vorkommt? Na, haha, so ein Zufall!«
»Ist es ein Zufall?« Sie sah mich sinnend an, und ich fragte mich für
einen panischen Moment, ob sie irgend etwas wissen konnte. Nein, das war
unmöglich! Völlig unmöglich! Keiner außer Adam und mir wußte, daß
Robert Miller in Wirklichkeit André Chabanais hieß.

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