Das Lächeln der Frauen
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Das Lächeln der Frauen
Verzeihen Sie mir, meine Französisch ist ein wenig arm, leider! Aber ich
wunsche mir sehr, Sie waren trotzdem erfreut, daß ich Sie zurückgeschreibt habe. Ich kann nicht warten, in Ihre schone Restaurant zu sitzen und endlich mit Sie zu sprechen über ALLES. Freundlich Wünsche und à tout bientôt! Sehr ergeben, Ihr Robert Miller »Haben Sie eine Gießkanne, Mademoiselle?« krächzte es hinter mir. Ich fuhr zusammen und drehte mich um. Vor mir stand eine kleine alte Frau in einem schwarzen Persianermantel und mit dazu passender Kappe. Sie hatte rot geschminkte Lippen und musterte mich neugierig. »Eine Gießkanne!« wiederholte sie ungeduldig. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, tut mir leid, Madame.« »Das ist schlecht, ganz schlecht.« Sie wackelte mit dem Kopf und preßte ihre roten Lippen ärgerlich zusammen. Ich fragte mich, was die alte Dame mit einer Gießkanne wollte. Immerhin hatte es in den letzten Wochen so viel geregnet, daß die Erde sicherlich feucht genug war. »Man hat mir meine Gießkanne gestohlen«, klärte mich die Alte auf. »Ich weiß genau, daß ich sie hinter dem Grabstein versteckt hatte«, sie zeigte auf ein Grab in der Nähe, über dem ein alter Baum seine knorrigen Äste ausstreckte, »und nun ist sie verschwunden. Überall wird gestohlen heutzutage - selbst auf dem Friedhof, was sagt man dazu?« Sie kramte in ihrer großen schwarzen Handtasche und zog schließlich ein Päckchen Gauloises heraus. Ich staunte nicht schlecht. Sie zündete sich eine Zigarette an, inhalierte tief und blies den Rauch in den blauen Himmel. Dann hielt sie mir die Schachtel hin. »Hier, wollen Sie auch eine?« Ich schüttelte den Kopf. Ich rauchte manchmal in Cafés, aber nie auf Friedhöfen. »Nun nehmen Sie schon eine, Kindchen.« Sie wackelte mit der Schachtel vor meinem Gesicht herum. »So jung kommen wir nicht mehr zusammen.« Sie kicherte, und ich hielt mir eine Hand vor den Mund und lächelte verblüfft. »Also gut, danke«, sagte ich. Sie gab mir Feuer. »Na, bitte«, sagte sie. »Ach, vergessen wir die blöde Gießkanne. Die hatte eh einen Riß. Ist es nicht schön, daß die Sonne scheint - nach all dem Regen?« Ich nickte. Ja, es war schön. Die Sonne schien und das Leben steckte wieder voller Überraschungen. Und so kam es, daß ich am Donnerstagmittag mit einer skurrilen alten Dame, die geradewegs aus einem Fellini-Film entsprungen zu sein schien, auf dem Pere Lachaise in der Sonne stand und eine Zigarette paffte. Um uns herum herrschte heitere Stille, und ich hatte das Gefühl, daß wir die einzigen Menschen auf dem riesigen Friedhof waren. In der Ferne ragte die Muse Euterpe auf, Sinnbild des Frohsinns, die so lange schon über Frédéric Chopins Grab wacht. Am Fuße des steinernen Grabmals standen viele Töpfe mit Blumen, Rosensträuße waren in das Gitter gesteckt. Ich ließ den Blick schweifen. Einige Gräber waren noch von Allerheiligen geschmückt, über andere war die Zeit hinweggegangen, die Natur hatte sich ihr Terrain zurückerobert, und Unkraut und wilde Pflanzen überwucherten die steinernen Einfassungen. Hier waren die Toten vergessen. Es waren nicht wenige. »Ich habe Sie beobachtet«, sagte die alte Dame und blinzelte mich aus ihren wissenden braunen Augen an, die von hundert kleinen Fältchen umgeben waren. »Sie sahen aus, als hätten Sie eben an etwas sehr Schönes gedacht.« Ich nahm einen Zug aus der Zigarette. »Das habe ich auch«, entgegnete ich und lächelte. »Ich habe an morgen gedacht. Morgen abend gehe ich in die Coupole, wissen Sie?« »So ein Zufall«, sagte die alte Dame und wackelte erfreut mit dem Kopf. »In der Coupole bin ich morgen auch. Ich feiere meinen fünfundachtzigsten Geburtstag, Kindchen. Ich liebe die Coupole - ich bin jedes Jahr an meinem Geburtstag dort. Ich esse immer die Austern, die sind sehr gut.« Plötzlich sah ich die Fellini-Dame im Kreis ihrer Kinder und Enkelkinder, wie sie sich an einem langen Tisch in der Brasserie feiern ließ. »Na, dann wünsche ich Ihnen schon jetzt eine schöne Feier«, sagte ich. Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Nun, es wird eine kleine Feier diesmal«, sagte sie. »Sehr klein, um ehrlich zu sein. Nur ich und die Kellner, aber die sind immer ganz reizend.« Sie lächelte selig. »Meine Güte, was haben wir schon gefeiert in der Coupole. Rauschende Feste. Henry, mein Mann, dirigierte an der Oper, wissen Sie? Und nach den Premieren ist der Champagner nur so geflossen, am Ende waren wir alle so herrlich betrunken.« Sie kicherte. »Ja, das ist lange her ... Und George kommt immer erst an Weihnachten mit den Kindern nach Paris. Er lebt in Südamerika ...« - ich nahm an, daß George ihr Sohn war - »Eh bien, und seit mein alter Freund Auguste gegangen ist«, sie unterbrach sich und blickte bedauernd zu dem Grabstein hinüber, hinter dem die Gießkanne fehlte, »ist leider keiner mehr da, der mit mir feiert.« »Oh«, sagte ich. »Das tut mir leid.« »Aber das muß Ihnen doch nicht leid tun, Kindchen, so ist nun mal das Leben. Jeder hat seine Zeit. Manchmal liege ich abends im Bett und zähle alle meine Toten durch.« Sie sah mich verschwörerisch an und senkte ihre Stimme. »Es sind schon Download 1.37 Mb. Do'stlaringiz bilan baham: |
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