Das Lächeln der Frauen
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Das Lächeln der Frauen
»D'accord! So machen wir es«, sagte ich und suchte nach meinem
Portemonnaie. »Du bist eingeladen.« Ich merkte in meinem Rücken einen leichten Windzug und zog fröstelnd die Schultern hoch. »Müssen die Leute immer so lange die Tür offenstehen lassen?« sagte ich und zog das Tellerchen mit der Rechnung zu mir herüber. Bernadette starrte mich entgeistert an, dann verengten sich ihre Augen. »Was ist? Hab ich jetzt schon wieder was Falsches gesagt?« fragte ich. »Nein, nein.« Sie senkte rasch den Blick, und in diesem Augenblick wurde mir klar, daß sie nicht mich angestarrt hatte. »Laß uns noch einen Espresso nehmen«, sagte sie, und ich zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Seit wann trinkst du so spät noch Kaffee? Du sagst doch immer, du kannst dann nicht schlafen.« »Jetzt hab ich aber Lust drauf.« Sie sah mich an, als wollte sie mich hypnotisieren, und lächelte. »Hier, schau mal«, sagte sie und zog ein Ledermäppchen aus ihrer Handtasche. »Kennst du schon diese Bilder von Marie? Das ist zu Hause, bei meinen Eltern in Orange im Garten.« »Nein ... Bernadette ... was ... was soll das?« Ich bemerkte, wie ihre Augen unruhig an mir vorbeischauten. »Was guckst du denn da immer?« Bernadette hatte den Blick ins Bistro, während ich auf ein Ölbild schaute, das an der holzgetäfelten Wand hing. »Nichts. Ich halte Ausschau nach dem Kellner.« Sie wirkte angespannt, und ich machte Anstalten, mich auch umzudrehen. »Nicht umdrehen!« zischte Bernadette und faßte mich am Arm, aber da war es schon zu spät. In der Mitte des La Palette, dort, wo der Durchgang zum hinteren Teil des Bistros war, in dem wir saßen, stand Claude und wartete auf einen Tisch am Fenster, an dem der Kellner gerade kassierte. Er hatte den Arm zärtlich um eine junge Frau gelegt, die mit ihren kinnlangen schwarzen Haaren und den rosigen Wangen aussah wie eine mongolische Prinzessin. Sie trug einen taillierten Mantel aus rotem Filz, der an den Ärmeln und am Saum in winzigen Fransen endete. Und sie war unübersehbar schwanger. Ich heulte auf dem ganzen Weg nach Hause. Bernadette saß neben mir im Taxi, hielt mich fest im Arm und reichte mir stumm ein Taschentuch nach dem anderen. »Und weißt du, was das Schlimmste ist?« schluchzte ich, als Bernadette sich später neben mich auf das Bett setzte und mir eine heiße Milch mit Honig hinhielt. »Diesen roten Mantel ... den hatten wir neulich zusammen noch in einem Schaufenster gesehen, in der Rue du Bac, und ich hab gesagt, den wünsche ich mir zum Geburtstag.« Der Verrat schmerzte am meisten. Die Lügen. Ich zählte die Monate an den Fingern ab und kam zu dem Schluß, daß Claude mich schon seit einem halben Jahr betrogen hatte. Verdammt, er hatte so glücklich ausgesehen, wie er da stand mit seiner Mongolenprinzessin, die die Hand auf ihren kleinen Bauch legte. Wir hatten gewartet, bis die beiden am Fenster Platz genommen hatten. Dann waren wir rasch hinausgegangen. Aber Claude hätte mich auch so nicht gesehen. Er hatte nur Augen für sein Schneewittchen. »Ach, Aurélie, es tut mir so leid. Du warst doch eigentlich schon drüber weg. Und nun das! Das ist wie in einem schlechten Roman.« »Er hätte ihr nicht diesen Mantel schenken dürfen. Es ist ... es ist so herzlos.« Ich sah Bernadette verwundet an. »Diese Frau steht da, in meinem Mantel, und ist so ... so glücklich! Und ich habe bald Geburtstag, und ich bin ganz allein und der Mantel ist auch weg. Das ist doch total ungerecht.« Bernadette strich mir sanft übers Haar. »Nun trink mal einen Schluck Milch«, sagte sie. »Natürlich ist das ungerecht. Und schlimm. So etwas darf eigentlich nicht passieren, aber die Dinge laufen nun mal nicht immer nach Plan. Und eigentlich geht es doch gar nicht um Claude, oder?« Ich schüttelte den Kopf und trank einen Schluck Milch. Bernadette hatte recht, es ging gar nicht um Claude, sondern um etwas, das am Ende immer unsere Seelen berührt, die Liebe zu einem Menschen, nach der wir uns alle sehnen, nach der wir unser Leben lang die Hände ausstrecken, um sie zu berühren und zu halten. Bernadette sah nachdenklich aus. »Du weißt, daß ich nie sehr viel von Claude gehalten habe«, sagte sie. »Aber vielleicht hat er ja wirklich die Frau seines Lebens gefunden. Vielleicht wollte er es dir schon länger sagen und hat auf einen geeigneten Moment gewartet. Der natürlich niemals kommt. Und dann starb dein Vater. Und da war es noch schwerer, und er wollte dich nicht gerade in dieser Situation verlassen.« Sie verzog den Mund, wie sie es immer tat, wenn sie überlegte. »Könnte doch sein.« »Aber der Mantel«, beharrte ich. »Der Mantel, das ist unverzeihlich«, sagte sie. »Da müssen wir uns etwas überlegen.« Sie beugte sich über mich und gab mir einen Kuß. »Jetzt versuch zu schlafen, es ist schon spät.« Sie stieß ihren Zeigefinger in meine Bettdecke. »Und du bist nicht allein, hörst du? Irgendwer wacht immer über dich - und wenn es deine alte Freundin Bernadette ist.« Ich lauschte auf ihre Schritte, die sich langsam entfernten. Sie hatte so einen festen und zuverlässigen Tritt. »Gute Nacht, Aurélie!« rief sie noch einmal, und die Holzbohlen im Flur knarrten. Dann löschte sie das Licht, und ich hörte, wie die Tür leise hinter ihr ins Schloß fiel. »Gute Nacht, Bernadette«, flüsterte ich. »Ich bin froh, daß es dich gibt.« Ich weiß nicht, ob es an der heißen Milch mit Honig lag, aber ich schlief erstaunlich gut in dieser Nacht. Als ich aufwachte, schien zum erstenmal seit Tagen die Sonne in mein Schlafzimmer. Ich stand auf und zog die Vorhänge zurück. Ein klarer blauer Himmel überspannte Paris oder zumindest den kleinen rechteckigen Ausschnitt, den die Hofmauern freigaben und den ich von meinem Balkonfenster aus sehen konnte. Man sieht immer nur einen kleinen Ausschnitt, dachte ich, als ich mir das Frühstück zubereitete. Ich hätte mir gewünscht, einmal das Ganze zu sehen. Gestern abend, als ich Claude mit seiner schwangeren Freundin sah und das Bild wie ein Stich durch mein Herz ging, hatte ich gemeint, die ganze Wahrheit zu sehen. Und doch war es nur meine Wahrheit, meine Sicht auf die Dinge. Claudes Wahrheit war eine andere. Und die Wahrheit von der Frau im roten Mantel war wieder eine andere. Konnte man irgendeinen Menschen in seinem tiefsten Inneren verstehen? Was ihn bewegte, was ihn antrieb, wovon er wirklich träumte? Ich räumte das Geschirr in die Spüle und ließ Wasser darüberlaufen. Claude hatte mich belogen, aber vielleicht hatte ich mich auch belügen lassen. Ich hatte nie gefragt. Manchmal lebt man besser mit der Lüge als mit der Wahrheit. Claude und ich hatten nie wirklich über die Zukunft gesprochen. Er hatte nie zu mir gesagt: »Ich will ein Kind von dir.« Und ich hatte es auch nicht gesagt. Wir waren eine kurze Strecke des Weges zusammen gegangen. Es hatte schöne Momente gegeben und weniger schöne. Und es war unsinnig, in Herzensangelegenheiten Gerechtigkeit einzufordern. Die Liebe war, was sie war. Nicht mehr und nicht weniger. Ich trocknete mir die Hände ab. Dann ging ich zur Kommode im Flur und öffnete die Schublade. Ich zog das Photo von Claude und mir heraus und sah es noch einmal an. »Ich wünsch dir Glück«, sagte ich, und dann nahm ich das Bild und legte es in die alte Zigarrenkiste, in der ich meine Erinnerungen aufbewahre. Bevor ich das Haus verließ, um auf dem Markt und beim Metzger meine Einkäufe zu machen, ging ich hin- über ins Schlafzimmer und heftete einen neuen Zettel an meine Gedankenwand. Download 1.37 Mb. Do'stlaringiz bilan baham: |
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