Ernst Thälmann Reden und Aufsätze


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Kritik an literarischen Arbeiten 
 
Ich  nenne  zunächst  das  Buch  des  Genossen  Langner  über  den  „Politischen  Massenstreik“. 
Dieses  Buch  enthält  neben  vielem  wertvollem  Material  und  fleißiger  Arbeit  einige 
ideologische  Fehler.  Kleinere  „Schönheitsfehler“,  wie  das  Vergessen  des  englischen 
Generalstreiks  von  1926,  brauchen  wir  hier  nicht  zu  erwähnen.  Aber  zwei  sehr  ernste 
geschichtliche Fehler müssen festgenagelt werden. Der erste Fehler betrifft die Stellung Rosa 
Luxemburgs  zur  Frage  des  Massenstreiks.  Genosse  Langner  gibt  eine  völlig  ungenügende 
Kritik der Fehler des Luxemburgismus auf diesem Gebiet, auf der anderen Seite unterschiebt 
er  Rosa  Luxemburg  Auffassungen,  die  sie  nicht gehabt  hat.  Die  Behauptung  z.B.,  daß  nach 
der  Darstellung  Rosa  Luxemburgs  politische  Streiks  nur  aus  den  ökonomischen  Streiks  der 
Arbeiter  entstehen,  widerspricht  der  historischen  Wahrheit.  Gerade  in  dieser  Frage  der 
wechselseitigen  Beziehungen  der  ökonomischen  und  politischen  Streiks  erhob  sich  Rosa 
Luxemburg  während  der  bekannten  Massenstreikdebatte  in  der  deutschen  Sozialdemokratie 
vor  allem  bis  1910,  auf  eine  ziemlich  hohe  Stufe  revolutionärer  Klarheit  und  näherte  sich 
mehr als in vielen anderen Fragen den klaren Formulierungen Lenins und der Bolschewiki. 
Es  entspricht  nicht  unserer  Aufgabe,  die  revolutionäre  Bedeutung  Rosa  Luxemburgs  durch 
ungerechtfertigte Vorwürfe herabzumindern, während man auf der anderen Seite in der Kritik 
ihrer Fehler große Schwächen zeigt. Das trifft aber auch auf das Buch des Genossen Langner 
zu. 
Soweit  Langner  sich  z.B.  bezüglich  der  Rolle  des  Spartakusbundes  während  der  Kriegszeit 
begnügt, einfach Lenins Kritik an der Junius-Broschüre Rosa Luxemburgs zu zitieren, gibt er 
gutes  Material.  Sobald  er  zu  eigenen  Schlußfolgerungen  übergeht,  zeigt  er  eine  völlig 

ungenügende Kenntnis der tatsächlichen Vorgänge, eine abstrakte und leichtsinnige Stellung 
sowohl zu den Vorzügen wie den Schwächen der revolutionären Arbeit Liebknechts und Rosa 
Luxemburgs und ihrer Gruppe während des Krieges. So einfach darf man sich die Sache bei 
der  Behandlung  der  Geschichte  und  Vorgeschichte  unserer  Partei,  der  Vorzüge  und 
Schwächen  sowie  Fehler  des  Luxemburgismus  keinesfalls  machen.  Man  erschwert  dadurch 
das wirkliche Verständnis der Schwächen des Luxemburgismus, die unsere Partei im langen 
Ringen ihrer Bolschewisierung überwinden mußte und zum Teil noch heute überwinden muß. 
Weit  schlimmer  noch  als  diese  Schwächen  des  Langnerschen  Buches  ist  jedoch  die 
Unkenntnis  von  den  entscheidenden  Problemen  der  russischen  Revolution,  die  sich  in  der 
Schrift Langners ausdrückt. 
Die  gesamte  Diskussion  der  Bolschewistischen  Partei  mit  dem  Trotzkismus  scheint  hier 
vergessen. Ja, die Frage des Überganges von der bürgerlichdemokratischen zur proletarisch-
sozialistischen Revolution, das Umschlagen der bürgerlichen Revolution in die proletarische - 
darüber gibt der Genosse Langner kein richtiges Bild. Genosse Langner stellt als angebliche 
Auffassung Lenins für das Jahr 1915 in seinem Buch folgende Behauptung auf: 
 
„Das Ziel des  Kampfes in  Rußland  ist  die Revolution. Der Inhalt der Revolution ist  die revolutionäre 
demokratische Diktatur des Proletariats und des Bauerntums.“ 
 
Genosse Langner versucht, die Auffassung, wonach Lenin als Aufgabe der bolschewistischen 
Partei  lediglich  die  bürgerlich-demokratische  Revolution  in  Rußland  hingestellt  habe,  mit 
eigenen Worten Lenins zu begründen. Er bringt zum Beweis ein Zitat aus dem Aufsatz Lenins 
während des Krieges, der unter dem Titel „Einige Thesen“ am 13. Oktober 1915 im Genfer 
„Sozialdemokrat“  erschienen  ist.  Langner  zitiert  die  fünfte  These  dieses  Artikels,  die  als 
Inhalt  der  nächsten  Revolution  in  Rußland  die  revolutionäre  demokratische  Diktatur  des 
Proletariats  und  des  Bauerntums  bezeichnet.  Er  erweckt  hierdurch  die  Auffassung,  als  ob 
Lenin damit tatsächlich seine ganze Auffassung über die bevorstehende russische Revolution 
ausgedrückt habe. 
Trotzki hat im Vorwort zu seinem Buch „1905“ die verleumderische Behauptung aufgestellt, 
Lenin  habe  nach  der  Februarrevolution  1917  „umgerüstet“.  Was  ist  damit  gemeint?  Die 
Trotzkisten  behaupten,  die  Bolschewiki  hätten  nur  die  bürgerlich-demokratische  Revolution 
mit  dem  Ziel  der  revolutionären  demokratischen  Diktatur  der  Arbeiterklasse  und  des 
Bauerntums  ins  Auge  gefaßt  und  hätten  erst  nach  dem  Sturz  des  Zarismus,  nach  der 
Februarrevolution  von  1918  „umrüsten“  müssen,  mit  anderen  Worten:  Dann  Trotzkis 
Programm  der  proletarisch-sozialistischen  Revolution  übernommen.  Wenn  Langner  mit  der 
Art, wie er Lenins Standpunkt im Herbst 1915 darstellt, recht hätte, dann wäre Trotzki kein 
Verleumder Und Geschichtsfälscher. 
Genosse  Langner  scheint  nicht  zu  wissen,  daß  die  Losung  „revolutionäre  demokratische 
Diktatur des Proletariats und des Bauerntums“ die bolschewistische Losung in der bürgerlich-
demokratischen  Revolution  ist.  Er  scheint  nicht  zu  wissen,  daß  die  Bolschewiki  für  die 
proletarisch-sozialistische Revolution die Losung „Diktatur des Proletariats bei Sicherung der 
Unterstützung seitens der Dorfarmut“ aufgestellt hatten. 
Wie  kommt  es  nun,  daß  Langner  seinen  Standpunkt  scheinbar  mit  einem  Zitat  Lenins 
begründet? Die Erklärung hierfür ist sehr leicht. Hier sehen wir eine leichtfertige Art, in der 
Genosse  Langner  aus  jenem  Lenin-Artikel  eine  These  halb  aus  dem  Zusammenhang 
herausreißt,  nämlich  die  fünfte  These,  während  er  die  sechste  These,  die  erst  den 
Zusammenhang  und  damit  die  vollständige  Auffassung  Lenins  über  den  Charakter  der 
bevorstehenden  russischen  Revolution  gibt,  einfach  verschweigt.  Diese  Art  ermöglicht  es 
Langner, eine so irreführende Darstellung der Auffassungen Lenins zu geben. Denn wie lautet 
die sechste These? Sie heißt: 
 

„6. Es ist die Aufgabe des russischen Proletariats, die bürgerlichdemokratische Revolution in Rußland 
zu  Ende  zu  führen,  zu  dem  Zweck  (diese  Worte  hat  Lenin  selbst  gesperrt),  die  sozialistische 
Revolution in Europa zu entfachen.“ 
 
Niemand  kann  demnach  behaupten,  daß  Lenin  das  unausbleibliche  Umschlagen  der 
bürgerlich-demokratischen  in  die  proletärisch-sozialistische  Revolution  nicht  mit  voller 
Klarheit erkannt und auch für die Taktik der bolschewistischen Partei zugrunde gelegt hätte. 
In einem weiteren Artikel Lenins aus dem Genfer „Sozialdemokrat“ vom 20. November 1915, 
also vier Wochen später, der direkt gegen Trotzki polemisierte, heißt es gleichfalls mit völlig 
unzweideutiger Klarheit: 
 
„Und diese  Befreiung des bürgerlichen Rußland vom Zarismus, von der Herrschaft der Gutsbesitzer 
über den Boden, wird das Proletariat unverzüglich ausnützen, nicht um die wohlhabenden Bauern in 
ihrem  Kampf  gegen  die  Landarbeiter  zu  unterstützen,  sondern  um  die  sozialistische  Revolution  im 
Bunde mit den Proletariern Europas durchzuführen.“ 
 
Aber  Lenin  hat  diese  Auffassung  über  das  Umschlagen  der  bürgerlich-demokratischen 
Revolution in Rußland in die proletarisch-sozialistische nicht etwa erst 1915, sondern genau 
ebenso während der gesamten russischen Revolution von 1905 bis 1907 vertreten. Ja, er hat 
seinen Standpunkt in dieser Frage bereits mit aller Klarheit im Jahre 1894 in seiner damaligen 
Schrift  „Wer  sind  die  Freunde  des  Volkes?“  formuliert.  In  dieser  Schrift,  die  bisher  in  der 
deutschen Gesamtausgabe noch nicht veröffentlicht ist, heißt es: 
 
„Wenn  erst  ihre  (der  Arbeiterklasse)  vorgeschrittenen  Vertreter  sich  die  Gedanken  des 
wissenschaftlichen  Sozialismus  angeeignet  haben,  den  Gedanken  der  historischen  Rolle  des 
russischen  Arbeiters,  dann  wird  der  russische  Arbeiter,  nachdem  er  sich  an  die  Spitze  aller 
demokratischen Elemente gestellt hat, den Absolutismus stürzen und das russische Proletariat (neben 
dem  Proletariat  aller  Länder)  den  geraden  Weg  des  offenen  politischen  Kampfes  zur  siegreichen 
kommunistischen  Revolution  führen…  Der  Arbeiter  braucht  die  Verwirklichung  der  allgemeinen 
demokratischen Forderungen nur zur Freimachung des Weges, der zum Siege über den Hauptfeind 
der Werktätigen, die ihrer Natur nach rein demokratische Institution, das Kapital, führt… Die Arbeiter 
müssen  wissen,  daß  sie  ohne  den  Sturz  dieser  Stützen  der  Reaktion  keine  Möglichkeit  zum 
erfolgreichen Kampf gegen die Bourgeoisie haben werden…“ 
 
Selbstverständlich veränderte sich Lenins konkrete Einschätzung der Schwierigkeiten für das 
Umschlagen  der  bürgerlichen  in  die  proletarische  Revolution  entsprechend  der  Lage.  1905 
waren  diese  Schwierigkeiten  größer  als  z.B.  1917.  Aber  die  Grundlinie  waren  stets  die 
gleiche. Was bleibt also von den Darstellungen  Langners übrig? Nichts als die Feststellung, 
daß er Lenins Standpunkt unbewußt entstellt wiedergibt. 
Wir haben hier wieder einen Beweis großer Leichtfertigkeit auf dem Gebiet der theoretischen 
Arbeit  und  großer  Verworrenheit  in  entscheidenden  Fragen  der  Leninschen  Theorie  zu 
verzeichnen.  Der  Genosse  Langner  hat  bereits  in  einer  Erklärung  an  das  Sekretariat  seine 
Fehler anerkannt. Wir können diesen Schritt des Genossen Langner nur begrüßen. 
Ich komme zu einem anderen Buch, dem Buch des Genossen David über den „Bankrott des 
Reformismus“.  Ich  will  hier  nicht  über  die  positiven  Seiten  des  Buches  sprechen,  das 
zweifelsohne  eine  Fülle  von  schlagenden  Argumenten,  Tatsachen,  Ziffern  und  Zitaten  zur 
Widerlegung  der  Theorien  und  Argumente  der  Reformisten  bringt,  ferner  eine  brauchbare 
Auseinandersetzung  mit  vulgär-ökonomischen  Theorien  und  eine  ernsthafte  Darstellung  des 
Marx’schen  Verelendungsgesetzes  an  Hand  der  kapitalistischen  Entwicklung  Deutschlands. 
Daneben enthält das Buch von David jedoch eine Reihe von groben Fehlern, die zeigen, daß 
Genosse  David  die  luxemburgistischen  Eierschalen  keineswegs  abgestreift  hat.  Ich  will  hier 
nur  die  wesentlichen  Punkte  anführen.  Ein  großer  Mangel  des  Davidschen  Buches,  der 
keineswegs zufälligen Charakter hat, ist der völlige Verzicht auf jede Auseinandersetzung mit 
der Akkumulations- und Zusammenbruchstheorie Rosa Luxemburgs. 

Noch  gefährlicher  werden  die  Fehler  und  Abweichungen  im  zweiten  Teil  des  Davidschen 
Buches, der sich mit den Voraussetzungen der  Streiks in der Periode der allgemeinen Krise 
des Kapitalismus beschäftigt.  Im vierten  Kapitel  wird dort zum Teil die Theorie aufgestellt, 
daß  unter  den  Bedingungen  der  allgemeinen  Krise  des  Kapitalismus  jeder  Streikkampf  eine 
offensive Handlung gegen die Grundlage des kapitalistischen Systems ist. David geht, wenn 
auch  mit  gewissen  Einschränkungen,  wo  er  sich  selbst  gewissermaßen  korrigiert,  von  der 
Auffassung aus, daß alle Streiks der Vorkriegszeit Defensivkämpfe gewesen seien, während 
in  der  Nachkriegszeit  jeder  Streik  vom  Gesichtspunkt  der  Strategie  einen  Offensivkampf 
darstellt. 
Genossen, wie steht es mit dieser „Theorie“. Zunächst muß man feststellen, daß David eine 
falsche Einstellung zu den Streiks der Vorkriegszeit hat. 
Er  verzichtet  darauf,  die  Fehler  zu  kritisieren,  die  Rosa  Luxemburg  in  der 
Massenstreikdebatte  der  alten  Sozialdemokratie  in  der  Frage  des  politischen  Massenstreiks, 
vor allem vom Jahre 1910 ab, begangen hat. Bekanntlich näherte sich damals der Standpunkt 
Rosa Luxemburgs in der Frage des politischen Massenstreiks stellenweise der zentristischen 
Stellungnahme  Kautskys.  In  Wirklichkeit  gab  es  auch  vor  dem  Krieg  bereits  Streiks  von 
offensivem Charakter. Davids Fehler in dieser Frage rührt also von einer ungenügenden Kritik 
des  Luxemburgismus  und  der  zentristischen  Auffassungen  in  der  Massenstreikdebatte  her. 
Die letzteren werden z.B. in seinem Buch überhaupt nicht erwähnt. 
Wie  steht  es  aber  mit  Davids  Theorie  bezüglich  der  gegenwärtigen  Periode?  Statt  die 
„objektiv revolutionäre Rolle“ des Streiks entsprechend den Thesen des II. Weltkongresses zu 
konkretisieren, statt von den unzweifelhaft richtigen Beschlüssen des X. und XI. Plenums des 
EKKI,  die  alle  die  Notwendigkeit  der  Verbindung  des  wirtschaftlichen  und  politischen 
Kampfes betonen, und das „Ineinandergreifen“ des wirtschaftlichen und politischen Kampfes 
im  Leninschen  Sinne  klarzustellen,  erfindet  Genosse  David  seine  „Offensivtheorie“.  Jeder 
Streik  ist  bei  David  -  wenigstens  nach  einigen  Formulierungen  seines  Buches  -  von 
vornherein  ein  Offensivkampf.  Damit  wird  die  Aufgabe  der  Kommunisten  und  der  RGO, 
diese komplizierte und schwere Aufgabe der revolutionären Strategie und Taktik, mit einem 
Schlage aus der Welt geschafft. Wenn alle Streiks von vornherein Offensivkämpfe gegen den 
Bestand  des  kapitalistischen  Systems  sind,  dann  haben  wir  es  furchtbar  einfach,  Genossen. 
Was  brauchen  wir  uns  noch  den  Kopf  zu  zerbrechen  darüber,  von  der  Defensive  in  die 
Offensive  überzugehen.  Was  brauchen  wir  noch  nachzudenken  über  die  Politisierung  der 
Wirtschaftskämpfe?  Lenin,  die  Komintern,  die  RGI  und  wir  alle  haben  uns  ganz  unnötige 
Kopfschmerzen  gemacht.  Genosse  David  kommt  und  beweist  uns,  daß  ohnehin  jeder  Streik 
ein Offensivstreik ist. 
Genossen,  man  kann  fast  sagen,  das  ist  eine  Art  von  Erneuerung  der  Kautskyschen 
Ermattungsstrategie  aus  der  Vorkriegszeit.  Das  ist  in  der  Praxis  eine  vollständige 
Herabsetzung  und  Verkleinerung  der  gewaltigen  Aufgaben  und  Schwierigkeiten,  die  das 
revolutionäre  Proletariat  im  Klassenkampf  lösen  und  bewältigen  muß.  Mit  anderen  Worten: 
Die praktische Auswirkung einer solchen linksopportunistischen Theorie ist die Erziehung zur 
Passivität, versteckt durch einen scheinbar „linken“ und „radikalen“ Standpunkt. 
Genosse  David  will  sicherlich  diese  Wirkung  nicht  erzielen.  Aber  hier  steckt  eine 
Hauptschwäche  seines  Buches.  Es  ist  zum  Teil  ein  etwas  akademisches  Buch,  das  nicht 
immer  in  genügendem  Maße  von  den  Erfordernissen  der  Praxis  des  revolutionären 
Klassenkampfes ausgeht. Gerade deshalb kann David in seinen theoretischen Erörterungen zu 
so schwerwiegenden Fehlern gelangen und in die Plattheiten des Ökonomismus abgleiten, der 
von Lenin so scharf bekämpft wurde. 
 

Die wegweisende Bedeutung des Briefes des Genossen Stalin 
an die Zeitschrift „Proletarische Revolution“ 
 
Was  ergibt  sich  aus  dem  Vorkommen  so  schwerer  Fehler  und  Abweichungen  in  unserer 
theoretischen Literatur? Die unzweideutige Notwendigkeit, eine viel größere Wachsamkeit an 
der  theoretischen  Front  zu  entfalten.  Was  wir  brauchen,  ist  jene  bolschewistische 
Unversöhnlichkeit und Unduldsamkeit gegenüber allen Einflüssen der Sozialdemokratie und 
auch  die  Überwindung  aller  in  unseren  Reihen  noch  vorhandenen  Überreste  aus  der 
sozialdemokratischen oder luxemburgistischen Vergangenheit unserer Partei. 
Der Brief des Genossen Stalin an die Zeitschrift „Proletarische Revolution“ ist deshalb für die 
deutsche Partei eine außerordentlich entscheidende und wegweisende politische Direktive. Er 
ist  ein  Appell  für  uns,  den  schärfsten  Kampf  gegen  alle  fremden  Einflüsse,  gegen  alle 
antileninistischen  Strömungen  und  gegen  jedes  Versöhnlertum  ihnen  gegenüber  in  unserer 
gesamten theoretischen und praktischen Arbeit zu entfalten. 
 
Schärfster Kampf gegen die Überreste des Luxemburgismus 
 
Ich  will  nur  zwei  Fragen  in  diesem  Zusammenhang  kurz  behandeln:  Die  erste  Frage  ist  die 
des Luxemburgismus. Was ist dazu zu sagen? Wir denken nicht daran, die Bedeutung Rosa 
Luxemburgs,  Karl  Liebknechts,  Franz  Mehrings  und  der  übrigen  Genossen,  die  den 
linksradikalen Flügel in der Vorkriegssozialdemokratie bildeten, abzuschwächen. Wir denken 
nicht daran, diese wahrhaft revolutionären Kämpfer und Führer und ihre guten revolutionären 
Traditionen  zu  verleugnen,  oder  gar  den  sozialfaschistischen,  SAP-istischen  oder 
brandleristischen Leichenschändern zu überlassen. Rosa Luxemburg und die anderen gehören 
zu  uns,  gehören  der  Kommunistischen  Internationale  und  der  KPD,  an  deren  Gründung  sie 
mitgewirkt  haben.  Aber  bedeutet  dies  eine  Abschwächung  der  notwendigen  Aufklärung 
unserer Partei über die Fehler Rosa Luxemburgs und der übrigen Linksradikalen? Eine solche 
Kritik  an  den  Fehlern  des  Luxemburgismus  ist  unerläßlich  vom  Standpunkt  der 
Bolschewisierung der Partei. 
Der  Weg  der  Linksradikalen  aus  der  Vorkriegssozialdemokratie  führte  unter  den 
Bedingungen der Kriegszeit teilweise zum Kommunismus, aber nur insoweit, wie sich diese 
Gruppen  von  den  halbmenschewistischen  Fehlern  ihrer  Ideologie  zu  befreien  und  in  der 
Richtung  zum  Bolschewismus,  zur  Politik  Lenins  und  der  bolschewistischer  Partei 
entwickelten. 
Heute, wo die Komintern besteht, wo in der Sowjetunion unter der proletarischen Diktatur des 
Sozialismus  verwirklicht  wird,  würde  jeder  Versuch  zur  Erneuerung  des  Luxemburgismus 
und  jeder  Überrest  des  Luxemburgismus  niemals  eine  Brücke  zum  Marxismus-Leninismus 
bilden  können,  sondern  stets  einen  Übergang  zum  Sozialfaschismus,  zur  Ideologie  der 
Bourgeoisie, wie wir es am besten bei den Brandleristen sehen. 
Wir müssen also mit aller Klarheit aussprechen: in all den Fragen, in denen Rosa Luxemburg 
eine andere Auffassung als Lenin vertrat, war ihre Meinung irrig, so daß die ganze Gruppe der 
deutschen  Linksradikalen  in  der  Vorkriegs-  und  Kriegszeit  sehr  erheblich  an  Klarheit  und 
revolutionärer Festigkeit hinter den Bolschewiki zurückblieb. 
Diese Erkenntnis gibt uns erst das Verständnis dafür, warum es in Deutschland verspätet zur 
Spaltung zwischen dem Revolutionären Marxismus und den kleinbürgerlichen Opportunisten 
oder  ihren  zentristischen  Helfershelfern  innerhalb  der  Arbeiterbewegung  kam.  Rosa 
Luxemburgs Fehler in der Akkumulationstheorie, in der Bauernfrage, in der nationalen Frage, 
in  der  Frage  des  Problems  der  Revolution,  in  der  Frage  der  proletarischen  Diktatur,  in  der 
Organisationsfrage, in der Frage der Rolle der Partei bzw. der Spontaneität der Massen - das 
alles  ergibt  ein  System  von  Fehlern,  die  Rosa  Luxemburg  nicht  zur  vollen  Klarheit  eines 
Lenin aufsteigen ließen.  Wenn heute  ein Slutzki den Versuch machte,  Lenins Kampf  gegen 

den Zentrismus in der Vorkriegsperiode abzuleugnen, um damit die internationale Rolle des 
Bolschewismus  in  der  II.  Internationale  der  Vorkriegszeit  zu  vertuschen,  so  haben  wir 
deutschen Genossen besonders die Pflicht, einer derartigen Auffassung mit äußerster Schärfe 
entgegenzutreten.  Die  gesamte  Praxis  der  bolschewistischen  Partei  widerlegt  diesen 
konterrevolutionären  Anwurf.  An  und  für  sich  brauchen  wir  also  Lenin  wahrhaftig  nicht  zu 
verteidigen. 
 
Der Entwurf eines Briefes Lenins an August Bebel 
 
Ich  möchte  in  diesem  Zusammenhang  jedoch  noch  ein  für  uns  besonders  interessantes 
historisches  Dokument  erwähnen,  das  für  die  kritische  Stellung  Lenins  gegenüber  den 
deutschen  Linksradikalen  in  der  Vorkriegssozialdemokratie  und  damit  für  unsere 
Parteigeschichte  äußerst  bezeichnend  ist.  Im  Jahre  1905  hatte  sich  Bebel  angeboten,  als 
unparteiischer  Schiedsrichter  in  dem  Streit  zwischen  den  beiden  gespaltenen  Teilen  der 
russischen  Sozialdemokratie,  den  Bolschewiki  und  Menschewiki,  zu  fungieren.  Der 
menschewistische Parteirat hatte den Vorschlag Bebels akzeptiert und seinerseits Kautsky und 
Klara  Zetkin  als  Vertreter  für  das  Schiedsgericht  benannt.  Die  Bolschewiki  lehnten  den 
Vorschlag  ab.  Lenin  schrieb  einen  Brief  an  August  Bebel.  Ein  Teil  dieses  Briefes,  wie  ihn 
Lenin  entworfen  hatte,  wurde  von  ihm  selbst  durchgestrichen  und  gelangte  nicht  zur 
Absendung.  Da  das  Manuskript  aber  erhalten  blieb,  können  wir  aus  dem  durchgestrichenen 
Teil des Briefentwurfes interessante Details über die Stellung Lenins zu den deutschen Linken 
entnehmen. Ich will einige Sätze daraus vorlesen: 
 
„Vor  einigen  Monaten,  als  es  vielleicht  noch  nicht  zu  spät  war,  als  noch  eine  Spur  von  Hoffnung 
existierte, daß der III. Parteitag beide Fraktionen vereinigen und eine Partei wiederherstellen kann, - 
damals  tat  die  deutsche  Sozialdemokratie  ihr  möglichstes,  um  diesen  Weg  zu  versperren.  Kautsky 
suchte  in  der  „Iskra“  den  Wert  der  formellen  Organisation  zu  schwächen.  Die  Wochenschrift  der 
deutschen Sozialdemokratie verherrlichte die Desorganisation und die Treulosigkeit (Rosa Luxemburg 
in der „Neuen Zeit“) unter dem geistreichen und „dialektischen“ Vorwande, die Organisation sei nur ein 
Prozeß,  nur  eine  Tendenz.  Die  Erbitterung  darüber  war  in  unserer  Partei  sehr  groß.  Genosse 
Rjadowoi,  sehr  einflußreiches  Mitglied  der  Majorität,  bestand  darauf,  daß  Kautsky  meine  Antwort 
bringen  wird.  Ich  wettete  mit  ihm  um  das  Gegenteil  davon.  Meine  „Abwehr“  war  kurz  und  sachlich 
geschrieben  und  beschränkte  sich  darauf,  tatsächliche  Unwahrheiten  zu  berichtigen  und  faktische 
Erzählungen dem Spotte über unsere Partei gegenüberzustellen. Kautsky wies meinen Artikel zurück 
mit der famosen Motivierung, Angriffe auf uns habe die „Neue Zeit“ nicht, weil sie gegen uns gerichtet 
sind, sondern dessen ungeachtet  gedruckt! Es war einfach ein Hohn. Die „Neue Zeit“ (und  nicht sie 
allein)  wollte  also  den  deutschen  Sozialdemokraten  nur  die  Ansichten  der  Moritat  bekannt  machen. 
Die Erbitterung darüber war in unseren Reihen ungemein groß.“ 
 
Ich glaube, Genossen, dieses Dokument zeigt, wie lügnerisch die Behauptung der Slutzki und 
Konsorten  ist,  Lenin  habe  seinen  Kampf  gegen  den  Zentrismus  erst  während  des  Krieges 
begonnen. 
 
Was ist „Zentrismus“? 
 
Ich komme zu einer zweiten Frage, die mit dem Problem des Luxemburgismus in Verbindung 
steht: die Frage des Zentrismus. Es handelt sich in dieser Frage darum, ob der Zentrismus vor 
dem  Kriege,  während  des  Krieges  oder  in  der  ersten  Nachkriegszeit  eine  besondere 
selbständige  Richtung  zwischen  dem  rechten  und  linken  Flügel  der  internationalen 
Arbeiterbewegung dargestellt habe. Das ist falsch. 
Der  Zentrismus  war  nichts  als  eine  Spielart  des  Opportunismus,  des  Revisionismus  oder 
Reformismus.  Lenin  spricht  zum  Beispiel  über  die  Frage,  welche  Rolle  die  zentristischen 
Politiker in Deutschland und Frankreich spielen. Er sagt dabei: 
 

„...ein  solcher  Mensch  begeht  durch  seine  Charakterlosigkeit,  seine  Schwankungen  und  seine 
Unentschlossenheit  den  gleichen  Verrat,  wie  ein  direkter  Verräter.  In  persönlicher  Hinsicht  ist  der 
Unterschied zwischen einem Verräter aus Schwäche und einem Verräter aus Absicht und Berechnung 
sehr groß; in politischer Hinsicht besteht ein solcher Unterschied nicht, denn von der Politik hängt das 
tatsächliche  Geschick  von  Millionen  Menschen  ab.  Dieses  Geschick  aber  ändert  sich  nicht,  ob  nun 
Millionen  Arbeiter  und  armer  Bauern  von  Verrätern  aus  Schwäche  oder  Verrätern  aus  Eigennutz 
verraten werden.“ 
 
Lenin  zeigt  also  ganz  deutlich,  daß  in  politischer  Hinsicht  zwischen  dem  Reformismus  und 
dem Zentrismus ein Unterschied prinzipieller Art nicht gemacht werden kann. Genosse Stalin 
hat  am  19.  November  1928  auf  dem  Plenum  des  ZK  der  KPSU  in  seiner  Rede  ähnlich  den 
Charakter des Zentrismus aufgezeigt. Er führte aus: 
 
„Der Zentrismus ist eine der II. Internationale der Vorkriegszeit eigentümliche Erscheinung. Dort gab 
es Rechte (die Mehrheit), Linke (ohne Anführungszeichen) und Zentristen, deren ganze Politik darauf 
hinauslief, den Opportunismus der Rechten mit ihren linken Phrasen i schön zu färben, die Linken den 
Rechten zu unterwerfen.“ 
 

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