Das Lächeln der Frauen
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Das Lächeln der Frauen
1.
War Aurélie Bredin das ganze Theater überhaupt wert? Ja, auf jeden Fall! 2. Durfte sie jemals die Wahrheit erfahren? Nein, auf keinen Fall! 3. Was war, wenn Sam Goldberg als Robert Miller wirklich nach Paris kam, um ein Interview zu geben oder eine Lesung abzuhalten, und A. B. davon erfuhr? Auf die letzte Frage fiel mir zu vorgerückter Stunde beim besten Willen keine Antwort mehr ein. Ich stand auf, leerte den Aschenbecher aus (fünf Zigaretten) und löschte das Licht. Ich war hundemüde, und für den Moment war die dringendere Frage wohl eher die, was passieren würde, wenn Robert Miller nicht nach Paris kam. Am Freitagmorgen erwartete mich Monsieur Monsignac schon in meinem Büro. »Ah, mein lieber André, da sind Sie ja endlich, bonjour, bonjour!« rief er mir entgegen und wippte auf seinen braunen Lederschuhen unternehmungslustig vor und zurück. »Ich habe Ihnen das Manuskript einer jungen und sehr hübschen Autorin auf den Schreibtisch gelegt - sie ist die Tochter des letzten Goncourt-Preisträgers, mit dem ich sehr befreundet bin - und ich würde Sie ausnahmsweise bitten, sich das rasch anzuschauen.« Ich zog mir den Schal vom Hals und nickte. In meiner ganzen Zeit bei den Editions Opale hatte ich es noch nie erlebt, daß Monsieur Monsignac etwas nicht rasch zurückhaben wollte. Ich warf einen Blick auf das Manuskript der Goncourt-Preisträger-Tochter, das in einer Klarsichtmappe steckte und den elegischen Titel Confessions d'une fille triste (Bekenntnisse eines traurigen Mädchens) hatte. Das waren höchstens hundertfünfzig Seiten, und wahrscheinlich mußte man nur fünf Seiten davon lesen, bis einem von der üblichen narzißtischen Selbstbespiegelung, die man heute so oft als bedeutungsvolle Literatur angeboten bekam, schlecht wurde. »Kein Problem, ich gebe Ihnen bis heute mittag Bescheid«, sagte ich und hängte meinen Mantel in den schmalen Schrank neben der Tür. Monsignac trommelte mit den Fingern auf seinem blau-weiß gestreiften Hemd herum. Er war eigentlich nicht klein, aber doch etwa zwei Köpfe kleiner als ich und erheblich umfangreicher. Trotz seiner Statur verstand er es, sich zu kleiden. Er haßte Krawatten, trug handgefertigte Schuhe und Paisleyschals und wirkte trotz seiner Körperfülle äußerst agil und beweglich. »Wunderbar, André«, sagte er. »Wissen Sie, das mag ich so an Ihnen. Sie sind so herrlich unprätentiös. Sie reden nicht groß rum, Sie stellen keine überflüssigen Fragen, Sie machen die Dinge einfach.« Er sah mich aus seinen strahlend blauen Augen an und klopfte mir auf die Schulter. »Sie werden es noch weit bringen.« Dann zwinkerte er mir zu. »Falls das Ding hier Schrott ist, schreiben Sie einfach ein paar aufbauende Sätze zum Inhalt, Sie wissen schon - es hat durchaus Potential und man ist gespannt, was die Autorin noch schreiben wird, und so weiter und so weiter -, und sagen es dann sanft ab.« Ich nickte und verkniff mir ein Grinsen. Und dann, schon zwischen Tür und Angel, drehte sich Monsignac noch einmal um und sagte den Satz, auf den ich schon die ganze Zeit gewartet hatte. »Und? Alles klar mit Robert Miller?« »Ich bin im Gespräch mit seinem Agenten Adam Goldberg, und der ist ganz zuversichtlich«, entgegnete ich. Der alte Monsieur Orban (der, der neulich beim Kirschenpflücken vom Baum gefallen war) hatte mir einmal einen Rat gegeben. »Wenn du lügst, bleib so nah an der Wahrheit, wie's geht, Junge«, hatte er gesagt, als ich an einem herrlichen Sommertag die Schule geschwänzt hatte und meiner Mutter eine haarsträubende Lügengeschichte auftischen wollte, »dann stehen die Chancen gut, daß man dir glaubt.« »Er sagt, wir kriegen Miller«, fuhr ich beherzt fort, und mein Puls beschleunigte sich. »Im Grunde geht es nur noch um die ... äh ... Feinabstimmung. Ich denke, am Montag weiß ich Genaueres.« »Schön ... schön ... schön.« Jean-Paul Monsignac schritt mit zufriedener Miene durch die Tür, und ich kramte in meiner Tasche. Und nachdem ich eine kleine Dosis Nikotin zu mir genommen hatte (drei Zigaretten), beruhigte ich mich allmählich. Ich riß mein Fenster auf und ließ die klare, kalte Luft herein. Das Manuskript war Françoise Sagan für ganz Arme. Abgesehen davon, daß eine junge Frau, die nicht so recht weiß, was sie eigentlich will (und deren Vater ein berühmter Schriftsteller ist), auf eine karibische Insel fährt und uns dort an ihren sexuellen Erlebnissen mit einem schwarzen Inselbewohner (der die ganze Zeit über bekifft ist) teilhaben läßt, gab es keine nennenswerte Handlung. Jeder zweite Abschnitt beschrieb die Befindlichkeiten der Heldin, die eigentlich keinen so recht interessierten, nicht einmal den karibischen Lover. Am Ende reist die junge Frau wieder ab, das Leben liegt immer noch vor ihr wie ein großes Fragezeichen, und sie weiß nicht, warum sie so traurig ist. Ich für meinen Teil wußte es auch nicht. Wenn ich als junger Mann die Möglichkeit gehabt hätte, unglaubliche acht Wochen auf einer Trauminsel zu weilen und es mir dort mit einer karibischen Schönheit in allen Stellungen und an weißen Stränden nett zu machen, wäre ich nicht schwermütig gewesen, sondern vor guter Laune wahrscheinlich übergeschnappt. Vielleicht fehlte mir der nötige Tiefgang. Ich formulierte eine behutsame Absage und machte eine Kopie für Monsieur Monsignac. Mittags brachte Madame Petit die Post und fragte mich mißtrauisch, ob ich geraucht hätte. Ich sah sie mit unschuldiger Miene an und hob die Hände. »Sie haben geraucht, Monsieur Chabanais«, sagte sie und erspähte den kleinen Aschenbecher, der hinter meinem Ablagekorb auf dem Schreibtisch stand. »Sie haben sogar in meinem Büro geraucht, ich habe es genau gerochen, als ich heute morgen hereingekommen bin.« Sie schüttelte mißbilligend den Kopf. »Fangen Sie nicht wieder damit an, Monsieur Chabanais, es ist so ungesund, das wissen Sie doch!« Ja, ja, ja, ich wußte alles. Rauchen war ungesund. Essen war ungesund. Trinken war ungesund. Alles, was Spaß machte, war irgendwann ungesund oder machte dick. Zuviel Aufregung war ungesund. Zuviel Arbeit war ungesund. Im Grunde war das ganze Leben eine einzige gefährliche Gratwanderung, und am Ende fiel man beim Kirschenpflücken von der Leiter oder wurde auf dem Weg zum Bäcker von einem Auto überfahren wie die Concierge in dem Roman Die Eleganz des Igels. Ich nickte stumm. Was sollte ich auch sagen? Sie hatte ja recht. Ich wartete, bis Madame Petit aus dem Zimmer gerauscht war, dann klopfte ich mir nachdenklich eine weitere Zigarette aus dem Päckchen, lehnte mich zurück und sah ein paar Sekunden später zu, wie sich die kleinen weißen Rauchkringel, die ich in die Luft pustete, langsam auflösten. Seitdem Madame Petit mich des Rauchens im Büro überführt hatte, waren weitere beunruhigende Dinge passiert, die meiner gesunden Lebensweise bedauernswerterweise im Wege standen. Der gesündeste und am wenigsten aufregende Moment war dabei wahrscheinlich noch das sonntägliche Mittagessen bei Maman in Neuilly, wobei ich nicht behaupten möchte, daß vollgefüllte Teller mit Choucroute und fettem Schweinefleisch und Würsten (die Mutter meiner Mutter kam aus dem Elsaß, deswegen ist Choucroute für sie ein Muß) das Beste ist, was man seinem Körper zuführen kann. Auch die Tatsache, daß die »Überraschung«, die Maman am Telefon angekündigt hatte, sich als ihre stets leidende Schwester und eine redselige, aber schwerhörige und aus diesem Grunde sehr laut sprechende Lieblingscousine (nicht meine Lieblingscousine) entpuppte, die sie dazugeladen hatte, machte das Mittagessen auf Elsässer Keramik nicht gerade zu einem wahren Vergnügen für mich. Das Choucroute lag mir wie ein Stein im Magen, und drei alte Damen, die einen gestandenen Mann von immerhin achtunddreißig Jahren und einem Meter fünfundachtzig im Wechsel mit mon petit boubou oder mon petit chou (mein kleiner Kohlkopf) anredeten, machten mich wahnsinnig. Ansonsten lief alles wie immer, nur dreifach verstärkt. Ich wurde gefragt, ob ich dünner geworden wäre (Nein!), ob ich nicht bald mal heiraten wollte (Sobald die Richtige auftauchte), ob Maman noch auf ein Enkelchen hoffen durfte, das sie dann mit Choucroute vollstopfen durfte (Aber sicher, ich freute mich schon jetzt darauf), ob im Job alles gut liefe (Klar, alles lief bestens). Dazwischen wurde ich wiederholt aufgefordert, »doch noch ein bißchen nachzunehmen« oder zu erzählen »was es Neues gibt«. »Was gibt's Neues, André, erzähl mal!« Drei Augenpaare sahen mich erwartungsvoll an, und ich war so etwas wie das Sonntagsradio. Diese Frage war immer sehr ermüdend. Die wirklichen Neuigkeiten aus meinem Leben konnte ich nicht erzählen (oder hätte an diesem Tisch irgend jemand begriffen, daß ich hochgradig nervös war, weil ich eine zweite Identität als englischer Autor angenommen hatte und die Sache auffliegen konnte?), also faselte ich etwas vom letzten Wasserrohrbruch in meiner Altbauwohnung, und das war auch gut so, denn die Konzentrationsfähigkeit des Damentrios hielt nicht lange vor (vielleicht war das, was ich von mir gab, auch nicht spannend genug). Jedenfalls wurde ich schon bald von der schwerhörigen Cousine mit einem lauten » Wer ist gestorben?« unterbrochen (diesen Satz sagte sie im Verlauf des Mittags allerdings noch weitere fünf Mal, ich schätze, immer dann, wenn sie dem Verlauf des Gesprächs nicht mehr folgen konnte), und man wandte sich interessanteren Dingen (Venenentzündungen, Arztbesuchen, Hausrenovierungen, schlecht arbeitenden Gärtnern oder schlampigen Putzfrauen, Weihnachtskonzerten, Beerdigungen, Quizsendungen und den Schicksalen mir unbekannter Nachbarn und Gestalten aus der tiefsten Vergangenheit) zu, bevor endlich der Käse und die Früchte gereicht wurden. Zu diesem Zeitpunkt waren ich und die Kapazität meines Magens bereits so erschöpft, daß ich mich für einen Moment entschuldigte und in den Garten ging, um zu rauchen (drei Zigaretten). In der Nacht von Sonntag auf Montag wälzte ich mich im Bett, obwohl ich drei Kautabletten gegen Sodbrennen genommen hatte (Ziegenkäse und Camembert hatten mir den Rest gegeben), und hatte schreckliche Alpträume von Adams Bruder, dem gutaussehenden Bestsellerautor, der in seiner High-Tech-Zahnarztpraxis mit einer halbentkleideten Mademoiselle Bredin auf einer Arztliege lag und sie vor Leidenschaft stöhnend umfing, während ich bewegungsunfähig (und auch stöhnend) auf einem Zahnarztstuhl saß und von einer Helferin die Zähne gezogen bekam. Als ich in Schweiß gebadet aufwachte, war ich so fertig, daß ich am liebsten gleich weitergeraucht hätte. Doch dies alles war ein harmloses Vergnügen im Vergleich zu dem, was der Montag an Aufregungen bereithielt. Früh am Morgen hatte Adam im Verlag angerufen, mit der Nachricht, daß sein Bruder zunächst zwar etwas unwillig gewesen sei, nun aber doch die Brisanz der ganzen Affäre Miller begriffen habe und bereit sei, für dieses eine Mal mitzuspielen. (»He took it like a man«, war Adams gut gelaunter Kommentar.) Allerdings hätten Sams Französischkenntnisse ihre natürliche Grenze, er sei alles andere als ein Büchermensch und sein Wissen über Oldtimer hielte sich auch in Grenzen. »Tja, ich fürchte, wir müssen ihn vorher noch gut instruieren«, sagte Adam. »Für die Lesung kannst du ihm ja dann die entsprechenden Passagen vorbereiten, das muß er dann halt üben.« Was das Abnehmen des Bartes anginge, nun ja, da müsse er, Adam, noch ein bißchen Überzeugungsarbeit leisten. Nervös zog ich an meinem Rollkragenpulli, der mir plötzlich den Hals abschnürte. Natürlich wäre es von Vorteil, wenn Robert Miller aussehen würde wie Robert Miller (auf dem Photo) und der Zahnarzt aussehen würde wie der Zahnarzt, gab ich zu bedenken. Die ganze Sache sei ja auch so schon kompliziert genug. »Ja, schon klar«, sagte Adam, »ich tue, was ich kann.« Und dann sagte er etwas, das mich sofort zu meinen Zigaretten greifen ließ. »Übrigens würde Sam gerne schon übernächsten Montag kommen, das heißt, er kann nur dann kommen.« Ich rauchte so schnell ich konnte. »Bist du verrückt?« schrie ich. »Wie soll das bitte schön gehen?« Die Bürotür öffnete sich leise, und Mademoiselle Mirabeau stand mit fragendem Blick und einer Klarsichtmappe auf der Schwelle und wartete. Download 1.37 Mb. Do'stlaringiz bilan baham: |
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