Das Lächeln der Frauen
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Das Lächeln der Frauen
Dear Miss Bredin schrieb ich in schwungvoller Schrift.
Und dann schrieb ich lange Zeit nichts. Ich saß vor dem weißen Blatt und wußte mit einemmal nicht, wie ich anfangen sollte. Meine Formulierungskünste waren wie abgerissen. Ich trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum und versuchte an England zu denken. Was schrieb so ein Miller, der allein und verlassen in seinem Cottage saß? Und wie sollte er auf die Fragen reagieren, die Mademoiselle Bredin ihm gestellt hatte? War es nun ein Zufall, daß die Heldin seines Romans so aussah wie die Verfasserin des Briefes? War es ein Geheimnis? Konnte er es sich selbst nicht erklären? War es eine lange Geschichte, die er ihr irgendwann einmal in Ruhe erzählen wollte? Ich holte Aurélie Bredins Photo aus meiner Brieftasche, ließ mich von ihr anlächeln und verlor mich in schönen Phantasien. Nach einer Viertelstunde stand ich auf. So hatte das keinen Zweck. »Mr. Miller, Sie sind nicht sehr diszipliniert«, schimpfte ich. Es war kurz nach zehn, die Zigarettenschachtel war leer und ich mußte dringend etwas essen. Ich zog meinen Mantel an und winkte zu dem Tisch hinüber. »Ich bin gleich wieder da, und Sie überlegen sich inzwischen was«, sagte ich. »Lassen Sie sich was einfallen, Sie Schriftsteller!« Es regnete immer noch, als ich die tropfnasse Glastür zum La Palette aufstieß, das um diese Uhrzeit ziemlich voll war. Ein animiertes Stimmengewirr umfing mich, und im hinteren Teil des Bistros, der im Halbdunkel lag, war jeder Tisch besetzt. Bei Künstlern, Galeristen, Studenten, aber auch Verlagsleuten war das La Palette mit seinen einfachen blank-gescheuerten Holztischen und den Gemälden an den Wänden sehr beliebt. Man kam zum Essen oder auch einfach nur auf einen Kaffee oder ein Glas Wein. Das alte Lokal lag nur einen Katzensprung von meiner Wohnung entfernt. Ich kam oft hierher und traf fast immer auf ein paar Bekannte. »Salut, Andre! Ça va?« Nicolas, einer der Kellner, winkte mir zu. »Sauwetter, was?« Ich schüttelte ein paar Regentropfen ab und nickte. »Kann man wohl sagen«, rief ich zurück. Ich schob mich durch die Menge, stellte mich an die Bar und orderte einen Croque-Monsieur und einen Rotwein. Das bunte Treiben um mich herum war auf seltsame Weise wohltuend. Ich trank meinen Wein, biß ein Stück von dem warmen Toast ab, bestellte noch mehr Wein und ließ meine Blicke schweifen. Ich spürte, wie die Hektik dieses aufregenden Tages allmählich von mir abfiel und ich mich entspannte. Manchmal mußte man sich einfach nur ein paar Schritte von seinem Problem entfernen, dann wurde alles ganz einfach. Den Robert- Miller-Brief zu schreiben war ein Kinderspiel. Letztendlich ging es ja nur darum, Aurélie Bredins fixe Idee zu befeuern, bis es mir gelungen war, mich überzeugend zwischen sie und den Autor zu drängen. Es mochte nicht immer von Vorteil sein, in einer Branche zu arbeiten, die ausschließlich von Worten, Geschichten und Ideen lebte, und es gab Momente in meinem Leben, da hätte ich gern etwas Greifbareres, Reelleres, Monumentaleres gehabt, etwas, das man mit den Händen machte - wie ein Holzregal bauen oder eine Brücke, einfach etwas, das mehr Materie war und weniger Geist. Immer wenn ich den Eiffelturm so kühn und unverwüstlich in den Pariser Himmel aufragen sah, dachte ich voller Stolz an meinen Urgroßvater, einen Ingenieur, der viele Erfindungen gemacht hatte und an der Konstruktion dieses beeindruckenden Monuments aus Eisen und Stahl beteiligt gewesen war. Was für ein großartiges Gefühl mußte es sein, wenn man so etwas erschaffen konnte, hatte ich mich oft gefragt. Doch in diesem Moment hätte ich nicht mit meinem Urgroßvater tauschen wollen. Ich konnte zwar keinen Eiffelturm bauen (und ehrlich gesagt nicht einmal ein Regal), doch ich konnte mit Worten umgehen. Ich konnte Briefe schreiben und mir die richtige Geschichte ausdenken. Etwas, das eine romantische Frau, die nicht an Zufälle glaubte, anlocken würde. Ich bestellte mir noch ein Glas Rotwein und malte mir das Abendessen mit Aurélie Bredin aus, dem bald schon, da war ich mir sicher, ein sehr viel intimeres Essen im Temps des Cerises folgen würde. Ich mußte es nur geschickt einfädeln. Und eines Tages, wenn Robert Miller lange vergessen war und schon viele wunderbare gemeinsame Jahre hinter uns lagen, würde ich ihr vielleicht sogar die ganze Wahrheit erzählen. Und wir würden gemeinsam darüber lachen. So war der Plan. Aber natürlich kam alles ganz anders. Ich weiß nicht, warum, aber irgendwie können die Menschen nicht anders. Sie machen Pläne und Pläne. Und dann sind sie ganz erstaunt, wenn diese Pläne nicht funktionieren. Und so saß ich an der Theke und schwelgte in meinen Zukunftsvisionen, als mir jemand auf die Schulter tippte. Ein lachendes Gesicht tauchte vor mir auf, und ich kehrte in die Gegenwart zurück. Vor mir stand Silvestro, mein alter Italienischlehrer, bei dem ich im letzten Jahr Stunden genommen hatte, um mein eingerostetes Italienisch aufzufrischen. »Ciao, André, schön dich zu sehen«, sagte er. »Willst du dich zu uns an den Tisch setzen?« Er wies auf einen Tisch hinter sich, an dem zwei Männer und drei Frauen saßen. Eine von ihnen, eine aparte Rothaarige mit Sommersprossen und einem großen weichen Mund, sah lachend zu uns herüber. Silvestro hatte immer ausnehmend hübsche Mädchen im Schlepptau. »Das ist Giulia«, sagte Silvestro und zwinkerte mir zu. »Ein neue Schülerin. Wunderschön und noch zu haben.« Er winkte der Rothaarigen zurück. »Was ist? Kommst du?« »Das ist sehr verlockend«, entgegnete ich lächelnd, »aber nein, danke. Ich hab noch was zu tun.« »Ach, jetzt vergiß mal die Arbeit. Du arbeitest eh immer viel zu viel.« Silvestro wischte mit der Hand nach unten. »Nein, nein. Diesmal ist es eher was Privates«, sagte ich versonnen. »Aaaah, du meinst - du hast noch was vor, eh?« Silvestro sah mich verschmitzt an und verzog den Mund zu einem breiten Grinsen. »Ja, so könnte man sagen.« Ich grinste zurück und dachte an das weiße Blatt Papier auf meinem Wohnzimmertisch, das sich plötzlich mit Worten und Sätzen zu füllen begann. Mit einemmal hatte ich es sehr eilig. Download 1.37 Mb. Do'stlaringiz bilan baham: |
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