Das Lächeln der Frauen


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Das Lächeln der Frauen

 
Für Aurélie Bredin mit sehr herzlichen Grüßen von Robert Miller


Ich strich über die Signatur und starrte lange auf die großzügigen runden
Buchstaben, als seien sie der Schlüssel zu Millers Geheimnis.
Und das waren sie auch. Nur daß ich in diesem Moment nicht erkannte,
wieso.


 
12
Schon immer hat mich eine Szene aus dem alten Schwarzweiß-Film Kinder
des Olymp besonders beeindruckt: Es ist die letzte Einstellung, in welcher
der verzweifelte Baptiste seiner großen Liebe Garance nachläuft und sie im
Gewühl des Straßenkarnevals schließlich verliert. Er geht unter, kommt
nicht durch, er wird umringt und geschubst von der lachenden, tanzenden
Menge, durch die er sich taumelnd bewegt. Ein unglücklicher, verwirrter
Mann inmitten fröhlicher Menschen, die ausgelassen feiern - das ist ein
Bild, das man nicht so leicht vergißt und das mir wieder in den Sinn kam,
als ich nach der Lesung mit Sam Goldberg und den anderen in einem
elsässischen Restaurant saß, das sich in der Nähe der Buchhandlung befand.
Der dicke Wirt plazierte uns an einen großen Tisch an der Rückwand des
Lokals und knallte vergnügt Besteck und Gläser vor uns hin. Alle schienen
guter Dinge und bestens gelaunt, es wurde getrunken, gescherzt und
gefeiert, der Zahnarzt gerierte sich als Everybody's Darling, und am Ende
waren dann alle glücklich im Wein vereint - nur ich war der unglückselige
Baptiste, der wie ein Außerirdischer dazwischensaß, weil für ihn die Dinge
nicht ganz so wunderbar gelaufen waren.
»Mann, war die sauer«, hatte Adam mir zugeraunt, als wir die Librairie
Capricorne verließen und sein Bruder uns immer wieder fragte, wer die
schöne Frau im roten Kleid gewesen war.
Adam hatte ihm erklärt, daß es bei Lesungen durchaus vorkommen
konnte, daß begeisterte Fans einem Autor schöne Augen machten.
»Wow!« hatte der Zahnarzt ausgerufen und dann hinzugefügt, daß es ihm
immer besser gefalle, ein Autor zu sein. »Vielleicht sollte ich wirklich eine
Büch schreiben, was meint ihr?«
»Um Gottes willen, untersteh dich!« hatte Adam gesagt.
Ich blieb stumm und wurde im Laufe des Abends immer stummer.
Mit Aurélie Bredin hatte ich es mir jedenfalls verscherzt - als der nette
Cheflektor André Chabanais, der immer hilfreich zur Stelle war. Und nun
hatte sich auch noch der fabelhafte Robert Miller gründlich blamiert.


Nach dem peinlichen Auftritt, den unser Eigentlich-Nicht-Autor an den
Tag gelegt hatte, war ich mir nicht mehr sicher, ob die Attraktivität des
Engländers nicht doch erheblich gelitten hatte. »Oh ja, die Coupole. Lovely
place, very lovely!« Sie mußte ihn ja für schwachsinnig halten. Und dann
die Sache mit den Zähnen! Man konnte nur hoffen, daß Aurélie nicht davon
Abstand nahm, Robert Miller in ihr Restaurant einzuladen. Dann hatte ich
nämlich gar keine Chance mehr.
Ich starrte auf meinen Teller und hörte die anderen wie aus weiter Ferne.
Irgendwann fiel es sogar Jean-Paul Monsignac auf, der sich mit unserem
Autor prächtig amüsierte. Er prostete mir zu und fragte: »Was ist los,
André? Sie sagen ja gar nichts!«
Ich entschuldigte mich mit Kopfschmerzen.
Am liebsten wäre ich sofort nach Hause gegangen, aber ich hatte das
Gefühl, Robert Miller im Auge behalten zu müssen.
Adam, der einzige, mit dem ich hätte reden wollen, saß am anderen Ende
des Tisches. Ab und zu warf er mir einen aufmunternden Blick zu, und als
wir Stunden später endlich aufbrachen, versprach er, am nächsten Morgen,
vor seiner Abreise nach London, noch kurz bei mir vorbeizukommen.
»Aber allein«, sagte ich. »Wir müssen reden.«
Ich war gerade dabei, meinen neuen Brief von Robert Miller an Aurélie
Bredin zu zerreißen, als es schellte. Ich warf den Umschlag in den
Papierkorb und drückte auf den Türöffner. Eigentlich hatte ich diesen Brief,
der eine konkrete Zusage für das Essen im Temps des Cerises enthielt,
Adam mitgeben wollen, doch nach den gestrigen Ereignissen hatte sich der
Inhalt überholt. Ich hatte die halbe Nacht wachgelegen und darüber
nachgedacht, was nun zu tun war. Und ich hatte eine Idee.
Als Adam hereinkam, warf er einen Blick auf das Chaos im Flur, wo
immer noch der zerbrochene Spiegel lag und der Scherbenhaufen, den ich
am Vortag eilig zusammengekehrt hatte.
»Oh, was ist denn hier passiert?« sagte er. »Hattest du einen Wutanfall?«
»Nein. Der Spiegel ist gestern morgen runtergekommen - auch noch!«
erklärte ich.
»Sieben Jahre Unglück«, meinte Adam und grinste.
Ich nahm meinen Wintermantel vom Haken und machte die Tür auf.
»Das will ich nicht hoffen«, sagte ich. »Komm, laß uns irgendwo
frühstücken gehen, ich hab nichts im Haus.«


Wir gingen die paar Schritte bis ins Vieux Colombier und gingen an der
Theke vorbei ganz nach hinten durch, wo die Holzbänke und die großen
Tische stehen. Wie oft hatte ich hier schon mit Adam gesessen, und wir
hatten über Buchprojekte gesprochen und über die Veränderungen in
unserem Leben.
»Adam, du bist mein Freund«, sagte ich, als der Kellner unser Frühstück
brachte.
»Okay«, sagte Adam. »Sag schon, was du willst. Geht es um den Brief an
Mademoiselle Bredin, den ich einwerfen soll? Das ist kein Problem.
Nachdem ich die Kleine jetzt gesehen habe, kann ich zumindest verstehen,
warum du so auf sie abfährst.«
»Nein«, sagte ich. »Das mit dem Brief ist keine gute Idee, nicht nach
gestern abend. Außerdem dauert mir das alles viel zu lange. Ich will jetzt
Nägel mit Köpfen machen.«
»Aha«, sagte Adam und biß in sein Schinkenbaguette. »Und was kann
ich dazu beitragen?« fragte er kauend.
»Du mußt bei ihr anrufen«, sagte ich. »Als Robert Miller.«
Adam verschluckte sich fast. »You are crazy, man«, sagte er dann.
»Nein, ich bin nicht verrückt.« Ich schüttelte den Kopf. »Du und Sam, ihr
habt doch fast die gleiche Stimme, und du kannst einfach ein bißchen
radebrechen, das ist doch nun wirklich nicht schwer. Bitte, Adam, du mußt
mir diesen Gefallen tun.«
Und dann erklärte ich ihm meinen neuen Plan. Adam sollte abends von
England aus im Temps des Cerises anrufen. Er sollte sich bei Aurélie Bredin
entschuldigen und sagen, er wäre einfach völlig überwältigt gewesen, als er
sie gesehen hätte, und dann hätten so viele Leute um ihn herumgestanden,
und er habe nichts Falsches sagen wollen.
»Erzähl ihr irgend so einen Schmu, umgarne sie mit deinem Gentleman-
Charme und sorge einfach dafür, daß Robert Miller wieder rehabilitiert ist.
Du machst das schon.« Ich trank meinen Espresso. »Wichtig ist, daß du den
Termin festklopfst. Sag ihr, daß du dich auf ein Essen zu zweit freust.
Schlag ihr den sechzehnten Dezember vor, weil du da in Paris zu tun hast
und den ganzen Abend Zeit für sie hast.«
Der sechzehnte Dezember war in zweierlei Hinsicht perfekt. Zum einen
hatte Aurélie Bredin an diesem Tag Geburtstag, zum anderen hatte ich
herausgefunden, daß das Restaurant wie an jedem Montag auch an diesem
Tag geschlossen hatte. Normalerweise geschlossen hatte.


Das vergrößerte die Wahrscheinlichkeit, daß ich mich mit Aurélie Bredin
allein im Temps des Cerises wieder-finden würde.
»Ach, und noch etwas, Adam. Laß durchblicken, daß sie den Termin für
sich behalten soll. Sag, daß dieser Lektor sich sonst möglicherweise auch
noch dranhängt, wenn er erfährt, daß sein Autor in der Stadt ist. Das macht
die ganze Sache am Ende noch glaubwürdiger.«
Falls es nämlich zu einem Treffen am sechzehnten Dezember kam
(wovon ich optimistischerweise einfach mal ausging), würde Adam abends
noch einmal anrufen.
Dieses Mal allerdings als Adam Goldberg, der im Auftrag von Miller
absagte.
Der Grund für diese Absage war genial - ich beglückwünschte mich
selbst zu meinem Einfall, den ich nachts um halb drei gehabt hatte -, denn
er würde Aurélie Bredins Stolz treffen und ihr die Möglichkeit nehmen,
noch einmal mit Robert Miller in Kontakt zu treten. Was aber nicht weiter
schlimm war, denn der Retter, der sie trösten würde in Einsamkeit und
Schmerz, stand ja schon in den Startlöchern, beziehungsweise vor dem
Restaurant.

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