Das Lächeln der Frauen


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Das Lächeln der Frauen

Cerises erklang und Robert Miller in unerreichbare Fernen katapultierte.
Irgendwann - wir saßen uns inzwischen gegenüber - sah sie mich an und
meinte: »Haben Sie eine Zigarette für mich? Ich glaube, ich könnte jetzt
eine gebrauchen.«
»Ja, natürlich.« Ich zog ein Päckchen Gauloises hervor, und sie nahm
sich eine Zigarette und sah sie nachdenklich an. »Die letzte Gauloise habe
ich zusammen mit Mrs. Dinsmore geraucht - auf dem Friedhof.« Sie
lächelte und sagte, mehr zu sich selbst: »Ob ich wohl noch jemals erfahren
werde, was es mit diesem Roman eigentlich auf sich hat?«


Ich hielt ihr ein brennendes Streichholz hin. »Schon möglich«,
entgegnete ich vage und sah auf ihren Mund, der für Sekunden ganz nah vor
meinem Gesicht auftauchte. »Aber nicht mehr heute abend.«
Sie lehnte sich zurück und blies den Rauch in die Luft. »Nein«, sagte sie.
»Und das Abendessen mit dem Autor kann ich wohl auch vergessen.«
Ich nickte mitfühlend und dachte, daß die Chancen recht gut standen für
ein Abendessen mit dem Autor - auch wenn er nicht Miller hieß. »Wissen
Sie was, Mademoiselle Bredin? Jetzt vergessen Sie einfach mal diesen
Miller, der offensichtlich nicht so recht weiß, was er will. Sehen Sie es mal
so: Das Buch ist doch das, was eigentlich wichtig ist. Dieser Roman hat
Ihnen geholfen, Ihren Kummer zu vergessen - er fiel sozusagen vom
Himmel, um Sie zu retten. Also, ich finde das großartig.«
Sie lächelte zaghaft. »Ja, vielleicht haben Sie recht.« Dann setzte sie sich
auf und sah mich lange schweigend an. »Irgendwie bin ich sehr froh, daß
Sie jetzt hier sind, Monsieur Chabanais«, sagte sie dann.
Ich nahm ihre Hand. »Meine liebe Aurélie, Sie können sich gar nicht
vorstellen, wie froh ich bin, daß ich jetzt hier bin«, erwiderte ich mit
belegter Stimme. Dann stand ich auf. »Und jetzt feiern wir Ihren
Geburtstag«, sagte ich. »Das kommt gar nicht in die Tüte, daß Sie hier
sitzen und Trübsal blasen. Nicht solange ich es verhindern kann.« Ich goß
uns noch den Rest von dem Crémant ein, und Aurélie trank ihr Glas in
einem Zug aus und stellte es entschlossen ab.
»So ist es recht«, sagte ich und zog sie vom Stuhl hoch. »Darf ich Sie an
unseren Tisch geleiten, Mademoiselle Bredin? Wenn Sie mir verraten, wo
Sie Ihre Köstlichkeiten aufbewahren, hole ich auch die Getränke und das
Essen.«
Natürlich ließ es sich Aurélie nicht nehmen, selbst letzte Hand an ihre
Speisen zu legen, immerhin durfte ich mit in die Küche kommen, und sie
wies mich an, den Rotwein zu öffnen und den Salat in eine große
Steingutschüssel zu tun, während sie die Schinkenwürfel in einer kleinen
Pfanne anbriet. Ich war noch nie in einer Restaurantküche gewesen und
bestaunte den achtflammigen Gasherd und die vielen Töpfe, Pfannen und
Kellen, die alle in greifbarer Nähe standen oder hingen.
Den ersten Rotwein tranken wir schon in der Küche, das zweite Glas am
Tisch.
»Es schmeckt köstlich!« rief ich immer wieder aus und tauchte meine
Gabel in die zarten Blätter, die unter den Schinkenwürfeln glänzten, und als


Aurélie dann gleich die ganze Casserolle mit dem duftenden Lammragout
aus der Küche holte, um sie auf unseren Tisch zu stellen, ging ich zu der
kleinen Anlage hinüber, die unter der Holztheke stand, und machte die
Musik an.
Georges Brassens sang mit einschmeichelnder Stimme Je m'suis fait tout
petit, und ich dachte, daß jeder Mann in seinem Leben einmal auf eine Frau
trifft, von der er sich gern zähmen läßt.
Das Lamm zerging auf der Zunge, und ich sagte »Pure Poesie!«, und
Aurélie erzählte mir, daß das Rezept und überhaupt das ganze Menu des
heutigen Abends von ihrem Vater sei, der im Oktober verstorben war, viel
zu früh.
»Er hat es zum erstenmal gekocht, als er meine ... als er ...«, sie
verhaspelte sich und errötete plötzlich, ich weiß nicht, warum, »na,
jedenfalls vor vielen, vielen Jahren«, beendete sie den Satz und griff nach
ihrem Rotweinglas.
Während wir das Lammragout aßen, erzählte sie mir von Claude, der sie
so unglaublich belogen hatte, und von der Geschichte des roten Mantels,
den sie zum Geburtstag von ihrer besten Freundin Bernadette bekommen
hatte, »die blonde Frau, die auch auf der Lesung dabei gewesen ist, erinnern
Sie sich, Monsieur Chabanais?«
Ich sah in ihre grünen Augen und erinnerte mich an gar nichts mehr, aber
ich nickte eifrig und sagte: »Es muß schön sein, so eine gute Freundin zu
haben. Trinken wir ein Glas auf Bernadette!«
Also tranken wir ein Glas auf Bernadette, und dann tranken wir auf
meinen Wunsch noch ein Glas auf Aurélies schöne Augen.
Sie kicherte und sagte: »Jetzt werden Sie albern, Monsieur Chabanais.«
»Nein, durchaus nicht«, entgegnete ich. »Ich habe noch nie solche Augen
gesehen, wissen Sie? Denn sie sind nicht einfach nur grün, sie sind wie ...
wie zwei kostbare Opale, und jetzt im Schein der Kerze kann ich in Ihren
Augen das sanfte Schimmern eines weiten Meeres sehen ...«
»Meine Güte«, sagte sie beeindruckt. »Das ist das Schönste, das ich
jemals über meine Augen gehört habe.« Und dann erzählte sie mir von
Jacquie, dem polternden Chefkoch mit dem goldenen Herzen, der das weite
Meer der Normandie vermißte.
»Ich habe auch ein goldenes Herz«, warf ich ein, nahm ihre Hand und
legte sie an meine Brust. »Spüren Sie es?«


Sie lächelte. »Ja, Monsieur Chabanais, ich glaube, das haben Sie
wirklich«, sagte sie ernsthaft und ließ ihre Hand für einen Moment an
meinem klopfenden Herzen. Dann sprang sie auf und schüttelte ihre Haare
zurück. »Und nun, mon cher ami, holen wir die Gâteaux au chocolat. Das
ist meine Spezialität. Und Jacquie sagt immer, ein Gateau au chocolat ist
süß wie die Liebe.« Sie lief lachend in die Küche.
»Das glaube ich ihm aufs Wort.« Ich nahm die schwere Casserolle und
trug sie hinter ihr her. Ich war berauscht vom Wein, von Aurélies
Gegenwart, von diesem ganzen wundervollen Abend, von dem ich mir
wünschte, er würde niemals enden.
Aurélie stellte die Teller auf der Anrichte ab und öffnete den riesigen
Edelstahlkühlschrank, um das Blutorangenparfait herauszuholen, von dem
sie mir versicherte, es sei einfach genial zu den kleinen warmen
Schokoladenkuchen (C'est tout à fait génial!, sagte sie) - diese
unwiderstehliche Mischung aus süßer Schokolade und dem zart bitteren
Geschmack der Blutorange. Ich lauschte andächtig ihren Ausführungen und
war verzückt vom Klang ihrer Stimme. Sie hatte sicherlich recht mit dem,
was sie sagte, aber ich glaube, ich fand einfach alles unwiderstehlich in
diesem Moment.
Aus dem Restaurant klang La fée clochette zu mir herüber, ein Lied, das
ich sehr mochte, und ich summte leise mit, als der Sänger sich jetzt darüber
ausließ, wieviele Whiskeys er trinken und wieviele Zigaretten er rauchen
würde, um dieses wunderbare Mädchen, nach dem er immer noch suchte, in
sein Bett zu bekommen.

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