Das Lächeln der Frauen


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Das Lächeln der Frauen

 
16
Als es zaghaft an der Tür klopfte und Mademoiselle Mirabeau hereinkam,
saß ich wie fast immer in den letzten Tagen über meinen Schreibtisch
gebeugt und hatte meinen Kopf schwer in die Hände gestützt.
Seit meinem unrühmlichen Abgang bei Aurélie Bredin war ich wie vor
den Kopf geschlagen. Ich war nach Hause getaumelt, ich hatte mich vor den
Badezimmerspiegel gestellt und mich selbst beschimpft als riesengroßen
Idioten, der alles verdorben hatte. Ich hatte abends viel zu viel getrunken
und nachts kaum geschlafen. Ich hatte wiederholt versucht, bei Aurélie
anzurufen, aber bei ihr zu Hause lief permanent der Anrufbeantworter und
im Restaurant ging immer eine andere Dame ans Telefon, die mir stereotyp
mitteilte, Mademoiselle Bredin wünsche mich nicht zu sprechen.
Einmal nahm ein Mann ab (ich glaube, daß es dieser rüpelhafte Koch
war), und er brüllte in den Hörer, wenn ich nicht aufhören würde,
Mademoiselle Aurélie zu belästigen, würde er im Verlag vorbeikommen
und mir mit großem Vergnügen persönlich eins in die Fresse hauen.
Dreimal hatte ich Aurélie eine Mail geschickt, dann bekam ich eine
knappe Antwort, in der sie sagte, ich könne mir die Mühe sparen, weitere
Mails zu schreiben, da sie jede meiner Mails ungelesen löschen würde.
Ich war in diesen letzten Tagen vor Weihnachten so verzweifelt, wie ein
Mann es nur sein kann. Wie es aussah, hatte ich Aurélie unwideruflich
verloren, nicht einmal ihr Photo war mir geblieben, und der letzte Blick den
sie mir zugeworfen hatte, war so voller Verachtung gewesen, daß es mir kalt
über den Rücken lief, wenn ich nur daran dachte.
»Monsieur Chabanais?«
Ich hob müde den Kopf und schaute in Mademoiselle Mirabeaus
Richtung.
»Ich hole mir jetzt ein Sandwich - soll ich Ihnen etwas mitbringen?«
fragte sie.
»Nein, ich habe keinen Hunger«, sagte ich.
Florence Mirabeau trat vorsichtig näher. »Monsieur Chabanais?«


»Ja, was ist denn?«
Sie sah mich mit ihrem kleinen Mimosengesicht an.
»Sie sehen schrecklich aus, Monsieur Chabanais«, sagte sie und fügte
schnell hinzu: »Bitte verzeihen Sie, wenn ich das sage. Ach, essen Sie doch
ein Sandwich ... mir zuliebe.«
Ich seufzte schwer. »Schon gut, schon gut«, sagte ich.
»Hühnchen, Schinken oder Thunfisch?«
»Egal. Bringen Sie mir irgend etwas mit.«
Eine halbe Stunde später tauchte sie mit einem Thunfischbaguette und
einem frischgepreßten Jus d'orange auf und stellte beides stumm auf
meinen Schreibtisch.
»Kommen Sie heute abend denn zur Weihnachtsfeier?« fragte sie dann.
Es war Freitag, der Heiligabend fiel auf den nächsten Dienstag, und die
Editions Opale hatten bereits ab der nächsten Woche und dann bis Neujahr
geschlossen. In den letzten Jahren hatte es sich eingebürgert, daß der Verlag
am letzten Arbeitstag abends in die Brasserie Lipp ging, um das Jahr
gebührend ausklingen zu lassen. Das war stets eine sehr muntere
Veranstaltung, bei der viel gegessen, gelacht und geredet wurde. So viel
guter Laune sah ich mich nicht gewachsen.
Ich schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, ich komme nicht.«
»Oh«, sagte sie. »Ist es wegen Ihrer Mutter? Sie hat sich doch das Bein
gebrochen, nicht wahr?«
»Nein, nein«, antwortete ich. Warum sollte ich lügen? Ich hatte in den
letzten Wochen so viel gelogen, daß mir die Lust daran vergangen war.
Maman war schon seit fünf Tagen wieder zu Hause in Neuilly, humpelte
ganz behende auf ihren Krücken durchs Haus und plante le réveillon, den
Weihnachtsschmaus.
»Mit dem gebrochenen Bein, das geht schon wieder«, sagte ich.
»Aber ... was ist es dann?« wollte Mademoiselle Mirabeau wissen.
Ich sah sie an. »Ich habe einen riesengroßen Fehler gemacht«, sagte ich
und legte mir die Hand auf die Brust. »Und jetzt ... was soll ich sagen ... ich
glaube, mein Herz ist gebrochen.« Ich versuchte zu lächeln, aber es klang
wohl nicht gerade wie mein bester Witz.
»Oh«, sagte Mademoiselle Mirabeau. Ich spürte ihr Mitleid wie eine
warme Welle, die durch das Zimmer wogte. Und dann sagte sie etwas, das
mir im Kopf herumging, lange nachdem sie die Tür leise hinter sich
zugezogen hatte.


»Wenn man merkt, daß man einen Fehler gemacht hat, sollte man ihn so
rasch wie möglich korrigieren. «
Es kam nicht oft vor, daß der Verleger in den Büros seiner Mitarbeiter
auftauchte, aber wenn er es tat, konnte man sicher sein, daß es etwas
Wichtiges war. Eine Stunde nachdem Florence Mirabeau bei mir gewesen
war, riß Jean-Paul Monsignac die Tür zu meinem Zimmer auf und ließ sich
krachend in den Stuhl fallen, der vor meinem Schreibtisch stand.
Er sah mich mit seinen blauen Augen durchdringend an. Dann sagte er:
»Was soll das heißen, André ... ich höre gerade, Sie kommen heute abend
nicht zur Weihnachtsfeier?«
Ich rutschte unbehaglich in meinem Sessel herum. »Äh ... nein«, sagte
ich.
»Darf man wissen, warum?« Die Weihnachtsfeier im Lipp war für
Monsignac sakrosankt, und er erwartete, alle seine Schäfchen dort zu sehen.
»Nun, ich ... ich bin einfach nicht gut drauf, um ehrlich zu sein«, sagte
ich.
»Mein lieber André, ich bin ja nicht blöd. Ich meine, jeder, der Augen im
Kopf hat, sieht ja, daß es Ihnen nicht besonders gut gehen kann. Sie
kommen nicht zur Verlagskonferenz, sagen um elf Uhr, ohne einen Grund
zu nennen, ab, am nächsten Tag erscheinen Sie hier mit Leichenbittermiene
und kommen fast gar nicht mehr raus aus Ihrer Höhle. Was ist denn nur los?
So kenne ich Sie gar nicht.« Monsignac musterte mich nachdenklich.
Ich zuckte die Schultern und schwieg. Was hätte ich auch sagen sollen?
Wenn ich Monsignac reinen Wein einschenken würde, hätte ich das nächste
Problem.
»Sie können mit mir über alles reden, André, das wissen Sie hoffentlich.«
Ich lächelt verkrampft. »Das ist nett gemeint, Monsieur Monsignac, aber
ich fürchte, gerade mit Ihnen kann ich nicht darüber reden.«
Er lehnte sich erstaunt zurück, schlug ein Bein über das andere und hielt
mit beiden Händen seinen dunkelblau bestrumpften Fußknöchel fest.
»Jetzt haben Sie mich neugierig gemacht. Warum können Sie mit mir
nicht darüber reden? So ein Unsinn!«
Ich blickte zum Fenster hinaus, wo sich die Spitze des Kirchturms von
Saint-Germain in einen rosafarbenen Himmel bohrte.
»Weil ich dann wahrscheinlich meinen Job los bin«, sagte ich düster.


Monsignac lachte schallend. »Aber mein lieber André, was haben Sie
denn so Schlimmes gemacht? Haben Sie etwa Silberlöffel geklaut?
Irgendeiner Mitarbeiterin unter den Rock gefaßt? Geld unterschlagen?« Er
wippte auf seinem Stuhl vor und zurück.
Und dann dachte ich an Mademoiselle Mirabeaus Worte und beschloß,
reinen Tisch zu machen.
»Es geht um Robert Miller. Ich war in dieser Sache ... nun ich war nicht
ehrlich zu Ihnen, Monsieur Monsignac.«
Er beugte sich aufmerksam vor. »Ja?« fragte er. »Was ist mit diesem
Miller? Gibt's Probleme mit dem Engländer? Nur heraus mit der Sprache!«
Ich schluckte. Es war nicht einfach, die Wahrheit zu sagen.
»Die Lesung war doch grandios. Mon Dieu, ich habe Tränen gelacht«,
fuhr Monsignac fort. »Was ist los mit dem Kerl? Der wollte doch bald
schon seinen nächsten Roman liefern. «
Ich stöhnte leise auf und schlug die Hände vors Gesicht.
»Was ist los?« fragte Monsignac alarmiert. »André, jetzt werden Sie nicht
melodramatisch, sondern sagen Sie mir einfach, was passiert ist. Miller
schreibt doch weiter für uns - oder gab es Probleme zwischen Ihnen beiden?
Haben Sie sich etwa überworfen?«
Ich schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Ist er abgeworben worden?«
Ich holte tief Luft und sah Monsignac in die Augen.
»Versprechen Sie mir, daß Sie nicht ausrasten und nicht schreien?«
»Ja, ja ... jetzt reden Sie endlich!«
»Es wird keinen weiteren Roman von Robert Miller mehr geben«, sagte
ich und machte eine kleine Pause. »Aus dem einfachen Grund, weil es in
Wirklichkeit keinen Robert Miller gibt.«
Monsignac schaute mich verständnislos an. »Jetzt reden Sie aber wirklich
irre, André. Was ist los, haben Sie Fieber? Haben Sie Ihr Gedächtnis
verloren? Robert Miller war in Paris, erinnern Sie sich nicht mehr?«
Ich nickte. »Das ist es ja gerade. Dieser Mann auf der Lesung war nicht
Robert Miller. Das war ein Zahnarzt, der sich für Miller ausgegeben hat, um
uns einen Gefallen zu tun.«
» Uns?«
»Na ja, Adam Goldberg und mir. Der Zahnarzt ist sein Bruder. Er heißt
Sam Goldberg und er wohnt auch nicht allein im Cottage mit seinem Hund,
sondern mit Frau und Kindern in Devonshire. Er hat mit Büchern so wenig


zu tun wie ich mit Gold-Inlays. Es war alles inszeniert, verstehen Sie?
Damit die Sache nicht auffliegt.«
»Aber ...« Monsignacs blaue Augen flackerten beunruhigt. »Wer hat denn
dann eigentlich das Buch geschrieben?«
»Ich«, sagte ich.
Und dann schrie Jean-Paul Monsignac doch.
Das Schlimme an Monsieur Monsignac ist, daß er zur Naturgewalt wird,
wenn er sich aufregt. »Das ist ja ungeheuerlich! Sie haben mich betrogen,
André. Ich habe Ihnen vertraut und hätte meine Hand ins Feuer gelegt für
Ihre Ehrlichkeit. Sie haben mich hinters Licht geführt - das wird
Konsequenzen haben. Sie sind gefeuert!« schrie er und sprang erregt von
seinem Stuhl auf.
Das Gute an Monsieur Monsignac ist, daß er sich ebenso schnell
beruhigt, wie er sich aufregt, und daß er einen großartigen Humor hat.
»Unglaublich«, sagte er nach zehn Minuten, in denen ich mich schon als
arbeitsloser Lektor sah, auf den die Branche mit Fingern zeigte.
»Unglaublich, was ihr beide da für einen Coup gelandet habt. Die ganze
Presse an der Nase herumführen. Ein starkes Stück, das muß man erst mal
bringen.« Er schüttelte den Kopf und fing plötzlich an zu lachen. »Ich hatte
mich ehrlich gesagt schon etwas gewundert; als Miller auf der Lesung
davon sprach, daß der Held seines neuen Romans ein Zahnarzt sei. Warum
haben Sie mir nicht einfach von Anfang an gesagt, daß Sie dahinterstecken,
André? Meine Güte, ich wußte doch gar nicht, daß Sie so gut schreiben
können. Sie schreiben wirklich gut«, wiederholte er noch einmal und fuhr
sich über seine grauen Haare.
»Es war einfach so eine spontane Idee. Sie wollten einen Stephen Clarke,
erinnern Sie sich noch? Und es gab in diesem Moment keinen Engländer,
der lustig über Paris schrieb. Wir wollten Sie auch nicht über den Tisch
ziehen oder dem Verlag schaden. Sie wissen ja noch, daß die Garantie für
diesen Roman eine überaus bescheidene war. Die ist lange schon
eingespielt.«
Monsignac nickte.
»Keiner von uns konnte ahnen, daß sich das Buch so gut entwickeln
würde, daß irgend jemand an dem Autor Interesse haben würde«, fuhr ich
fort.


»Bon«, sagte Monsignac, der die ganze Zeit in meinem Büro auf- und
abgegangen war, und setzte sich wieder hin. »Das wäre also geklärt. Und
jetzt reden wir mal von Mann zu Mann.« Er verschränkte die Arme vor der
Brust und sah mich streng an. »Ich ziehe meine Kündigung zurück, André.
Zur Strafe kommen Sie heute abend mit in die Brasserie Lipp,
verstanden?!«
Ich nickte erleichtert.
»Und jetzt möchte ich, daß Sie mir erklären, was diese ganze Kabale mit
Ihrem gebrochenen Herzen zu tun hat. Mademoiselle Mirabeau macht sich
nämlich große Sorgen. Und ich für meinen Teil habe das Gefühl, daß wir
jetzt zu des Pudels Kern vorstoßen.«
Er lehnte sich behaglich in seinem Stuhl zurück, zündete sich einen
Zigarillo an und wartete.
Es wurde eine lange Geschichte. Draußen gingen die ersten Laternen an, als
ich endlich aufhörte, zu reden. »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll,
Monsieur Monsignac«, schloß ich unglücklich. »Endlich habe ich die Frau
gefunden, nach der ich immer gesucht habe, und jetzt haßt sie mich! Und
selbst, wenn ich ihr beweisen könnte, daß es wirklich keinen Autor namens
Miller gibt, ich glaube, es würde gar nichts nützen. Sie ist so unglaublich
wütend auf mich ... so verletzt in ihren Gefühlen ... sie wird mir das nicht
verzeihen ... niemals ...«
»Papapa!« unterbrach mich Monsieur Monsignac. »Was reden Sie da,
André? So, wie die Geschichte bisher gelaufen ist, ist noch nichts verloren.
Glauben Sie einem Mann, der ein bißchen mehr Lebenserfahrung hat als
Sie.« Er streifte die Asche ab und wippte mit seinem Fuß. »Wissen Sie,
André, ich bin mit drei Sätzen immer gut durch schwierige Zeiten
gekommen. Je ne vois pas la raison, Je ne regrette rien und nicht zuletzt: Je

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