Ernst Thälmann Reden und Aufsätze
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der Umstand, daß sie vor den Gefahren zurückschrecken,
die die Inflation durch weitere Zuspitzung der Klassengegensätze und Revolutionierung der Massen für die kapitalistische Klassenherrschaft bringt. Indem das Zentrum die Politik dieser Schichten betreibt, wird es zum Hauptträger jener Außenpolitik der deutschen Bourgeoisie, die auf Vereinbarungen mit dem ausländischen Finanzkapital hinausläuft und entsprechende Zugeständnisse an den französischen und amerikanischen Imperialismus zu machen bereit ist. Es ist klar, daß das Zentrum diese Außenpolitik, die Erfüllungspolitik, reibungsloser durchzuführen vermag, als z. B. Deutsch- nationale und Nationalsozialisten. Viertens: Das Zentrum ist durch seine starken Positionen in Süddeutschland und durch seine Verbindung mit der Bayerischen Volkspartei, die am stärksten die partikularistischen Tendenzen repräsentiert, diejenige Partei der deutschen Bourgeoisie, die einen Ausgleich zwischen den partikularistischen Ländertendenzen und den Interessen der Reichsgewalt verkörpert. Diese Position des Zentrums unterscheidet sich z. B. deutlich von der gegenwärtigen Rolle der Sozialdemokratie und ihrer Politik. Im Mittelpunkt der gesamten sozialdemokratischen Politik, auch in den Ländern und im Reichsmaßstabe, steht heute die Erhaltung ihrer Positionen in der Preußenregierung. Ihre Reichspolitik stellt - nicht in ihrer Gesamtlinie, die ja durch das Interesse der Bourgeoisie bestimmt ist - wohl aber in ihren einzelnen Maßnahmen und taktischen Schritten teilweise nur Anhängsel ihrer Preußenpolitik dar. Fünftens: Auch in Preußen verfügt das Zentrum über die entscheidende Schlüsselstellung und ist dadurch diejenige Partei, die vom Standpunkt der Gesamtbourgeoisie am besten die Ausnutzung der Sozialdemokratie als der sozialen Hauptstütze der Bourgeoisie für die Diktatur der Bourgeoisie sichert und ermöglicht. Sechstens: Umgekehrt befindet sich das Zentrum durch seine engen Verbindungen zu den rechtsradikalen Wehrorganisationen und durch seine ideologische Verwandtschaft mit der faschistischen Ideologie, auf die wir noch ausführlicher eingehen werden, auch gegenüber den übrigen bürgerlichen Parteien, vor allen den Hitler-Hugenberg-Gruppen, in einer gewissen Schlüsselstellung. Das Zentrum verschafft sich somit in immer stärkerem Maße die Funktion, die Hugenberg sich, bzw. den Deutschnationalen zugedacht hatte: nämlich die Funktion, die Hitler-Partei als die neue faschistische Massenpartei im Sinne der Diktatur der Bourgeoisie zu „kanalisieren“, d. h. zu erziehen und in die richtige Bahn zu lenken. Siebentens: Das Zentrum verfügt über die stärksten organisatorischen Fundamente innerhalb der Jugend. Während die SAJ nach offiziellen Angaben über 54000 Mitglieder verfügt, was zweifelsohne erheblich zu hoch angegeben ist, während die Hitlerjugend ihre Stärke offiziell mit etwa 20000 beziffert - auf einer Groß-Berliner Funktionärkonferenz wurde jedoch nur eine Zahl von 6000 im Reichsmaßstabe genannt -, verfügt das Zentrum über Jugendorganisationen für männliche und weibliche Jugend mit etwa 1¼ Millionen Mitgliedern. Diese Millionenorganisation der Zentrumsjugend ist nun keine direkte Kampforganisation, wie die vorgenannten anderen faschistischen oder sozialfaschistischen Jugendorganisationen, aber sie hat sich nichtsdestoweniger als eine besonders feste Stütze des Brüningsystems erwiesen. Ihre große, von unserem Standpunkt außerordentlich schwerwiegende Bedeutung liegt vor allem darin, daß sie eine führende Rolle bei der faschistischen Erziehung der Jugend spielt. Im Vordergrund ihrer Arbeit stehen weltanschauliche, kirchliche Fragen. Der größte Wert wird auf die Aktivierung gegen die revolutionäre Arbeiterschaft, gegen den Bolschewismus gelegt. Ihrer sozialen Zusammensetzung nach umfaßt die katholische Jugendbewegung Arbeiterjugend, Bauernjugend, städtischen Mittelstand, Studenten und Teile der Jugend der Bourgeoisie. Eine besondere Führerorganisation, die sich vorwiegend aus Priestern zusammensetzt, leitet diese Jugendbewegung. Es ist klar, daß dieser feste Einfluß auf breiteste Schichten der Jugend die Rolle des Zentrums bei der Durchführung der Diktatur der Bourgeoisie und bei der Faschisierung in den Formen dieser Diktatur außerordentlich verstärkt. Achtens: Die konterrevolutionäre Holle des Zentrums in Deutschland, wie der katholischen Kirche und des Vatikans im internationalen Maßstabe, wirkt sich gleichfalls in der Richtung aus, daß die Bedeutung des Zentrums als führender Partei der deutschen Bourgeoisie gesteigert wird. Die Tatsache, daß das Zentrum in besonderem Maße für den „Kampf gegen den Bolschewismus“ befähigt ist, das heißt für die faschistische Unterdrückung der revolutionären Arbeiterschaft im Innern und für das Vorgehen gegen die Sowjetunion in der Außenpolitik, diese Tatsache zählt unzweifelhaft zu den wichtigsten Faktoren, aus denen sich die beherrschende Stellung des Zentrums und die Rolle der Brüningregierung ergibt. Die vorstehenden Faktoren bilden die Hauptgrundlage für die heutige Rolle des Zentrums, die in der Brüningdiktatur ihren Ausdruck findet. Aus dieser Rolle ergibt sich der Charakter der Brüningpolitik, wie er sich sowohl auf der letzten Zentrumstagung, wie auch besonders in der neuen Notverordnung, dem faktischen Belagerungszustand und der Brüningrede aus Anlaß der Notverordnung offenbarte. * Die zweite Aufgabe, die wir uns in unserer Untersuchung stellen müssen, ist die Beantwortung der Frage, inwiefern das Zentrum zu den aufgezeigten Funktionen in der gegenwärtigen Politik der deutschen Bourgeoisie und damit seiner heutigen Rolle als führende Partei der deutschen Bourgeoisie gekommen ist. Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir uns in die Vorgeschichte, in die geschichtliche Entwicklung dieser Partei vertiefen. Wie und wann ist das Zentrum entstanden? Die eigentliche Zentrumspartei wurde 1870 gegründet. Sie war ursprünglich eine preußische Schöpfung und stellte eine Abwehr der katholischen Kreise gegen den in Preußen vorherrschenden Protestantismus und gegen den Liberalismus dar. Durch die Reichsgründung im Jahre 1871 im Anschluß an den deutsch- französischen Krieg entwickelte sich das Zentrum zu einer Reichspartei, die sowohl klassenmäßig, wie ihren politischen Tendenzen nach, zunächst bunt zusammengewürfelt war. Ihre führenden Elemente waren konservativ und zu einem erheblichen Teil antipreußisch, antibismärckisch eingestellt. Insbesondere von Süddeutschland her kamen in der Zentrumspartei sehr starke Tendenzen zum Partikularismus, d. h. zur Unabhängigkeit von der zentralen Reichsgewalt zum Durchbruch. Andererseits ergaben sich gerade hier auch unter den katholischen Elementen Süddeutschlands und der Kleinstaaten bestimmte Gruppierungen, getragen von Handwerkern, Kleingewerbetreibenden, Bauern und Arbeitern, die gegen das Junker-Preußen als Hort der Reaktion eingestellt waren. Die Führung und Finanzierung der Partei lag schon zu jener Zeit ausschließlich in den Händen des schlesischen und westfälischen Feudaladels, der neben seinen riesigen Gütern starke schwerindustrielle Interessen (Kohle, Eisen, Hütten) hatte. Von diesen Kreisen wurde auch die „Germania“ im Jahre 1871 gegründet, die heute noch das Zentralorgan der Zentrumspartei ist. In der Zeit nach 1871, bis etwa zum Jahre 1878, kam es zum „Kulturkampf“ Bismarcks gegen das Zentrum. In diesem Kulturkampf wurde die bis dahin uneinheitliche Zentrumspartei infolge ihrer Bedrückung und Verfolgung verhältnismäßig stark zusammengeschweißt. Bismarck stützte sich beim Kulturkampf vornehmlich auf den Liberalismus, d. h. auf die junge kapitalistische Bourgeoisie Deutschlands. Infolgedessen arbeitete das Zentrum bei seiner Abwehr mit einer gewissen antikapitalistischen und Sozialen Demagogie. Gerade dadurch vermochten sich der katholische Klerus und die Zentrumspartei feste Positionen unter der katholischen Arbeiterschaft, vor allem im Westdeutschland, zu sichern. Lenin schreibt über den „Kulturkampf“ Bismarcks gegen das Zentrum: „Durch diesen Kampf festigte Bismarck nur den streitbaren Klerikalismus der Katholiken, schädigte er nur die Sache der wirklichen Kultur, denn er rückte statt der politischen Trennungen die religiösen in den Vordergrund und lenkte so die Aufmerksamkeit gewisser Schichten der Arbeiterklasse von den dringenden Aufgaben des Klassen- und Revolutionskampfes in der Richtung eines ganz oberflächlichen und bürgerlich verlogenen Antiklerikalismus ab.“ Die weitere Entwicklung der Zentrumspartei, die sie aus einer Oppositionspartei gegen das Bismarcksche Preußen-Deutschland zu einer festen Stütze des sich entfaltenden deutschen Imperialismus machte, hatte verschiedene Wurzeln. Bismarcks Kulturkampf endete mit einer Schlappe. Nachdem er ungefähr 1875 seinen Höhepunkt erreicht hatte, wurde der Kulturkampf im Rahmen der Bismarckschen Politik 1878 mit dem Erlaß des Sozialistengesetzes durch den Kampf gegen die Sozialdemokratie abgelöst. Der erstarkenden kapitalistischen Bourgeoisie trat eine erstarkende Arbeiterbewegung, vor allem auf Grund der Vereinigung der beiden Richtungen der Lassalleaner und Eisenacher auf dem Gothaer Vereinigungsparteitag, entgegen. Diese Entwicklung trieb die liberale Bourgeoisie, wie sich das im Rahmen der 48er Revolution schon einmal, wenn auch in anderen Formen, abgespielt hatte, immer stärker in die Arme des feudalen und konservativen Adels. Im Kampf gegen das Proletariat mußten sich die verschiedenen inneren Reibungsflächen zwischen den Teilen der Bourgeoisie abschleifen. Wie für die Kapitalistenklassen und den Feudaladel, so traf das auch auf die Differenzen konfessioneller Natur zu und bewirkte eine Annäherung der katholischen kapitalistischen Partei an die übrige Bourgeoisie und an den absolutistischen Machtapparat. Andererseits fand sich das Zentrum auf Grund der Interessen des katholischen Feudaladels mit den Konservativen in der gemeinsamen Front des Kampfes um die Hochschutzzölle. Während noch der Kulturkampf am heftigsten tobte, näherte sich das Zentrum in der Frage der Zollpolitik bereits den Konservativen und Nationalliberalen. So entstanden die ersten Ansätze für den späteren Zollblock der drei kapitalistischen Parteien. In der weiteren Entwicklung wurden die Nationalliberalen durch die Abspaltung ihres liberal- kleinbürgerlichen Flügels endgültig zur großkapitalistischen Partei. Sodann beherrschte dieses Dreigespann der Konservativen, Nationalliberalen und des Zentrums bis zum Weltkrieg die Politik des kaiserlichen Deutschlands in dessen ganzer Entwicklung zum Imperialismus. Von 1893 an deckte das Zentrum endgültig und auf der ganzen Linie die Wehr- und Rüstungspolitik des wilhelminischen Deutschlands. Das gleiche galt von der Kolonialpolitik und, wie bereits ausgeführt, von der Zollpolitik. In dieser Entwicklung des Zentrums sind die Voraussetzungen für eine jetzige Rolle als führender Partei bei der Ausübung der Diktatur der Bourgeoisie in Deutschland erwachsen. * Die dritte Frage, der wir unsere Aufmerksamkeit zuwenden wollen, ist das Problem des Massenanhangs der Zentrumspartei. Die Führung des Zentrums und der von ihm abhängigen Massenorganisationen liegt völlig in den Händen der Großbourgeoisie. Bezeichnend ist, daß noch immer ein ausschlaggebender Einfluß des rheinisch-westfälischen und schlesischen Feudaladels mit seinen sowohl großagrarischen wie schwerindustriellen Interessen in der Zentrumspartei besteht. Dieser Einfluß drückt sich besonders drastisch in den Besitzverhältnissen der Aktien der „Germania“ aus, die sich seit der Gründung dieser Zeitung - also seit mehr als 60 Jahren - nur wenig verändert haben. Die Mehrheit dieser Aktien wird bekanntlich von jenem Herrn v. Papen vertreten, der seit Jahren am aktivsten für den Rechtskurs des Zentrums tätig ist. Nach dem Aktionärverzeichnis von 1927 gehörten noch folgende Vertreter des Feudaladels unter Führung v. Papens zu den Aktionären der „Germania“: Graf Ballestrem, Fürsten Löwenstein, von Savigny, Freiherr von Frankenstein, Graf Henckel-Donnersmarck, Graf Praschma, Graf Rechberg, Frhr. v. Haxthausen, Frhr. v. Ketteier, Frhr. v. Twickel, Graf Gahlen, Frhr. v. Heeremann, Fürst Waldburg-Wolfegg, Frhr. v. Wendt. Als entscheidende Vertreter der Schwerindustrie selbst in der Leitung des Zentrums sind zu nennen: Klöckner, Generaldirektor ten Hompel, Rechtsanwalt Lammers, als Vertreter der Großbanken Louis Hagen aus Köln (früher Levy). Wie ist es zu erklären, daß eine so ausgesprochen großbürgerliche Partei wie das Zentrum unter einer solchen Führung trotzdem - im Gegensatz zur Volkspartei, teilweise auch zu den Deutschnationalen - doch über eine verhältnismäßig stabile Massenbasis verfügt? Eine entscheidende Rolle dabei spielt zweifelsohne die religiöse und kirchliche Bindung der katholischen Massen an den katholischen Klerus und damit zugleich an das Zentrum. Darüber hinaus stützt sich das Zentrum jedoch auf eine Reihe von Massenorganisationen, die der Partei und dem mit ihr verbundenen katholischen Klerus ihre Massenbasis verschaffen. Hierbei handelt es sich sowohl um kirchliche, wie um berufsständische Organisationen. Diese besonderen Transmissionsriemen bewirken das eigenartige Verhältnis zwischen dem Zentrum und den Massen. Es ist klar, daß gerade für die Kommunistische Partei und ihren Kampf gegen das Zentrum diese Fragen von besonderer Bedeutung sind. Entsprechend der sozialen Struktur des Zentrums, das als großbürgerliche Partei seine Anhängermassen aus dem Proletariat und allen werktätigen Schichten rekrutiert und sie mit Hilfe des Katholizismus an die großbürgerliche Politik bindet, ist sowohl die Ideologie wie die Organisation der Zentrumspartei darauf eingestellt, den Klassencharakter der kapitalistischen Gesellschaft zu vertuschen. Diesem Ziel dient in ideologischer Hinsicht unter heißt die konfessionelle Bindung. Aus demselben Grunde ist anderem ihr Charakter als sogenannte „weltanschauliche“ Partei, das es für das Zentrum notwendig, im Aufbau seiner Organisationen zusammengehörige Klassen zu zerreißen und mit ihnen klassenmäßig feindlichen Schichten zusammenzukoppeln. Diesem Prinzip dient der Aufbau der Zentrumsorganisationen nach berufsständischen Grundsätzen. Hierin drückt sich bereits die Annäherung an die faschistischen Phrasen vom Ständestaat aus. Welches sind die wichtigsten Massenorganisationen des Zentrums, die wichtigsten Transmissionsriemen der Zentrumspartei zu den verschiedenen Schichten der Arbeiterklasse und der Werktätigen? 1. Die Arbeiter-, Angestellten- und Beamtengewerkschaften. 2. Der Volksverein für das katholische Deutschland. 3. Die katholischen Arbeiter- und Gesellenvereine. 4. Die Frauen-, Jungfrauen-, Jungmännervereine, Jugend- und Kinderorganisationen. 5. Die Schulorganisationen (Lehrer-, Eltern-, Schüler- und Studenten-Organisationen). 6. Die berufsständischen Interessenvereinigungen, wie Katholische kaufmännische Vereinigung, Beamtenvereine (die nichts mit christlichen Gewerkschaften zu tun haben), Forschungs- und Vereinigungen zur Erfassung der Intellektuellen, Wissenschaftler und Künstler, Handwerker- und Gewerbetreibendenvereine, Bauern- und Winzervereinigungen. 7. Die katholischen Wohlfahrts- und Fürsorgevereinigungen und Organisationen. 8. Die vielen Sport-, Wehrsport-, Wander-, Kultur-, Geselligkeits-, Buch-, Lichtspiel- und Theatervereinigungen, -organisationen und -verbände. 9. Die religiösen Orden, Klöster, Missionsgesellschaften, Erziehungsanstalten, riesigen Verlagsorganisationen für Zeitungen, Bücher, Broschüren, Traktate usw. - die eine großzügige kapitalistische Massenausbeutung betreiben. 10. Die Kirche selber mit 70000 bis 80000 staatlich und aus Massensteuern besoldeten Priestern, die mit riesigen religiösen und gesetzlichen Machtvollkommenheiten gegenüber den Gläubigen ausgestattet sind. Das berufsständische Prinzip in den Zentrumsorganisationen ist lediglich in den christlichen Gewerkschaften durchbrochen, weil gegenüber dem Proletariat auf Grund der kapitalistischen Entwicklung andere Methoden der Massenerfassung als die durch eine christliche Klassenorganisation versagen müssen. Der Verzicht auf das berufsständische Prinzip und die Anwendung des klassenmäßigen Prinzips bei den christlichem Gewerkschaften war jedoch selbstverständlich nur eine erzwungene Konzession an die gegebenen Tatsachen. Die Entstehung der christlichen Gewerkschaften in Deutschland fällt etwa ein Vierteljahrhundert später als die Gründung der Zentrumspartei. Sie erfolgte um die Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Sowohl in ihrem Aufbau wie in ihrer Propaganda stellten die christlichen Organisationen eine ausgesprochene Konkurrenzerfindung gegen die Freien Gewerkschaften der Sozialdemokratie dar, die damals noch in stärkerem Maße als nach der Jahrhundertwende Klassenkampforganisationen waren. Aus diesen Gründen des Wettbewerbes mit den sozialdemokratischem Gewerkschaften ergab sich die Notwendigkeit sowohl des klassenmäßigen Prinzips im Aufbau, wie der formellen Bejahung des „Kampfprinzips“ und des „Streiks“. Naturgemäß erfolgte diese nur in Phrasen und bedeutete in den Taten keinerlei Hemmung für die übelste Liebedienerei vor dem Unternehmertum und den schrankenlosen Verrat der christlichen Arbeiterinteressen an die Kapitalisten. In welchem Ausmaß die Preisgabe des berufsständischen Prinzips im Fall der christlichen Gewerkschaften nur eine, durch die Tatsachen erzwungene, demagogische Konzession des Zentrums darstellte, durch die man proletarische Massen um so stärker an die großbürgerliche Politik fesseln wollte - das ergibt sich aus der gesamten Behandlung der Organisationsfrage im Lager des Katholizismus. In einem Sammelbuch über „Die soziale Frage und der Katholizismus“ schreibt der christliche Gewerkschafter Rudolf Greß unter anderem in einer Untersuchung der Geschichte der christlichen Gewerkschaften: „Aus dieser Tatsache (Greß meint die Gefahr, daß schon die bloße klassenmäßige Organisation das Klassenbewußtsein oder doch den Klasseninstinkt der organisierten Arbeiter zu erwecken droht. E. Th.) erklärt sich die dauernde tiefe Abneigung des christlichen Ethos gegen jegliche auf dem Klassengedanken aufbauende Organisation und die enge innere Berührung dieses Ethos mit dem berufsständischen Organisationsprinzip.“ Wie weit diese „Abneigung“ geht, das zeigt die Tatsache, daß als Konkurrenz zu den christlichen Gewerkschaften von den führenden katholischen Schichten selbst der „Verband katholischer Arbeitervereine“ aufgezogen wurde, der auch formell jedes „Kampfprinzip“ gegenüber dem Unternehmertum ablehnte und offen gegen jede Verteidigung auch nur der geringsten ökonomischen Interessen und statt dessen für den „inneren Ausgleich“ eintrat. Alle übrigen Massenorganisationen des Zentrums, wenn man von den christlichen Gewerkschaften absieht, sind deshalb auch völlig auf dem berufsständischen Prinzip aufgebaut. Die christlichen Gewerkschaften, deren offizieller Name bekanntlich Christlich-nationale Gewerkschaften ist, sind im DGB (Deutschen Gewerkschafts-Bund) zusammengeschlossen. Die Mitgliederzahl der christlichem Organisationen Ende 1930 betrug 1370793; das sind 6,4 Prozent der Gesamtzahl der Arbeiter und Angestellten. Diese 1,37 Millionen Mitglieder verteilen sich auf die im DGB vereinigten Arbeiter-, Angestellten- und Beamtengewerkschaften in der Weise, daß zu den Arbeitergewerkschaften 778863 Mitglieder gehören. Hier ist jedoch der christliche Gesamtverband der Verkehrs- und Staatsbediensteten eingerechnet, dem auch Zehntausende von Beamten angehören. Der christlich-nationale „Gesamtverband Deutscher Angestellten-Gewerkschaften“ (Gedag) umfaßt 13 Berufsverbände, zu denen der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband mit 380000 Mitgliedern und der Verband der weiblichen Handels- und Büroangestellten mit etwa 90000 Mitgliedern gehört. Wir werden später noch auf die Bedeutung zurückkommen, die der Zugehörigkeit solcher, unter deutschnationaler, teilweise nationalsozialistischer Führung stehender Verbände, wie z. B. des Deutschnationalen Handlungsgehilfenverbandes, zu den christlichen Organisationen für die allgemeine ideologische Entwicklung des Zentrums und seiner Massenorganisationen zukommt. In diesem Zusammenhang wollen wir nur auf die auch zahlenmäßig große Bedeutung der christlichen Gewerkschaften hinweisen. Unter den Angestellten, den Landarbeitern usw. spielen die christlichen Organisationen zum Teil eine gleichwertige und größere Rolle als die freien Gewerkschaften der Reformisten. Aber auch unter anderen Schichten des Proletariats, unter der Industriearbeiterschaft der katholischen Gebiete haben sie bedeutende, in einzelnen Betrieben den reformistischen Organisationen zahlenmäßig nahekommende oder sogar stellenweise überlegene Positionen. Wenn auch nicht im Reichsmaßstabe, so doch gerade in wichtigen Zentren der Schwerindustrie ergeben sich aus dieser Tatsache besonders für die Arbeit der RGO außerordentlich wichtige Konsequenzen. Zusammenfassend können wir feststellen, daß die dargestellten verschiedenartigen Transmissionsriemen zwischen dem Zentrum und Massen der Arbeiterklasse und der Werktätigen in Stadt und Land ohne jeden Zweifel eine der entscheidenden Ursachen sowohl für die heutige Rolle dieser Partei, als auch für ihre verhältnismäßige Stabilität trotz Krise des Kapitalismus und trotz revolutionären Aufschwungs bilden. Aus dieser Feststellung ergibt sich naturgemäß auch, daß unser Kampf gegen das Zentrum diesem komplizierten Verhältnissen und dieser besonderen organisatorischen Struktur des sogenannten Zentrums„turmes“ Rechnung tragen muß. * Die vierte Frage, die wir in unserer Untersuchung beantworten wollen, ist die nach der besonderen Rolle des Zentrums für die Entwicklung des Faschismus in Deutschland. Es ist dabei klar, daß das Zentrum als führende Partei bei der Ausübung der Diktatur der Bourgeoisie zwangsläufig auch eine entscheidende Rolle beim Übergang zu faschistischen Formen dieser Diktatur spielen muß. Im Nachfolgenden wollen wir jedoch die besonderen Ursachen etwas ausführlicher beleuchten, auf Grund deren das Zentrum gerade auch für diesen Wechsel in den Herrschaftsformen, den Herrschaftsmethoden, hervorragend geeignet ist. Wir haben bereits das berufsständische Prinzip in der organisatorischen Struktur des Zentrums betrachtet, das eine enge Verwandtschaft mit der faschistischen Phraseologie vom Ständestaat aufweist. Diese faschistische Note findet sich überhaupt in der gesamten Ideologie des Zentrums als einer sogenannten weltanschaulichen Partei, die die Klassengegensätze der kapitalistischen Gesellschaft vertuschen und feindliche Klassen miteinander versöhnen, zu einer „Harmonie“ vereinigen will. Wir brauchen nicht erst darauf hinzuweisen, daß es sich hier um die betrügerische Demagogie handelt, mit der die Massen an den Kapitalismus und die bourgeoise Klassenherrschaft gefesselt werden sollen, indem man ihnen das Wesen des Kapitalismus und der bürgerlichen Klassenherrschaft zu verheimlichen sucht. Auch die Tatsache, daß in der Politik der Brüningregierung der äußerste Kurs der Sozialreaktion und der politischen Knechtung der Massen immer wieder mit den Phrasen von „Volksgemeinschaft“ und dergleichen mehr verschleiert wird, entspricht durchaus der faschistischen Ideologie. Das alles sind bekannte Tatsachen. Das Problem jedoch, dem wir in diesem Zusammenhang unsere Aufmerksamkeit etwas stärker zuwenden wollen, sind die besonderen Verbindungen des Zentrums zu den verschiedenen anderen Parteien und Organisationen der Bourgeoisie aus dem extremen Lager des Faschismus. Durch den Feudaladel und die großagrarischen Interessen ist die enge Verbindung zwischen dem Zentrum und dem Landbund - und damit zwischen dem Zentrum und den Deutschnationalen - gegeben. Durch die Abspaltung des gemäßigten Flügels der Deutschnationalen (Lambach, Westarp, Treviranus), der dem Zentrum besonders nahe stand, von der Hugenbergpartei, ist hierin keine Abschwächung eingetreten. Im Gegenteil: diese abgespaltene Gruppe mit ihrer engen Verbindung zur Zentrumspartei diente gewissermaßen als Brücke für die weitere Faschisierung des Zentrums. Ähnlich steht es mit den christlichen Gewerkschaften. Diese Verbände, die wir als die wichtigsten Transmissionsriemen des Zentrumspartei zu den Massen gekennzeichnet haben, wirken sich zugleich als ein Hebel für die Faschisierung des Zentrums aus. Wir sahen, daß in der Frage der Zentrumsgewerkschaften unter dem Druck der Verhältnisse das berufsständische Prinzip zugunsten des Prinzips der Klassenorganisation verlassen wurde. Was aber in der organisatorischen Struktur gewissermaßen „gesündigt“ worden war, wurde in der Ideologie dieser Organisationen um so stärker wieder wettgemacht. Auch in den christlichen Gewerkschaften ist die enge Verbindung zu den Deutschnationalen und neuerdings auch teilweise zu den Nationalsozialisten gegeben. Wir sahen bereits, daß unter den Angestelltenverbänden, die dem christlich-nationalen Deutschen Gewerkschaftsbund angehören, die führende Organisation der Deutsch-nationale Handlungsgehilfenverband darstellt. Ebenso ist beim Gesamtverband der Deutschen Beamtengewerkschaften die deutschnationale Einstellung vorhanden. Auch unter den christlich-nationalen Arbeitergewerkschaften findet sich der Zentralverband der christlichen Landarbeiter, der eine ausgesprochen Landbundorganisation ist. Die sämtlichen, in der christlich-nationalen Spitzenorganisation zusammengefaßten Gewerkschaften sind also durchaus nicht nur reine Zentrumsverbände, zu ihnen gehören vielmehr teilweise direkte deutschnationale (oder auch stellenweise nationalsozialistische), teilweise gemischte und interkonfessionelle Organisationen. Diese Verbindungen mit den Deutschnationalen und zum Teil mit den Nationalsozialisten sind jedoch nur einer der Faktoren, auf Grund deren die christliche Gewerkschaftsbewegung zu einem Hebel und einer Stütze für die faschistische Politik des Brüning-Zentrums wird. Ein weiterer entscheidender Faktor ist die enge Verbindung der christlichen Gewerkschaften mit den Wehrverbänden, wie sie insbesondere durch Stegerwald seit langem betrieben wird. Hier bestehen Beziehungen zum Jungdo, zum Werwolf, zum Bund Oberland und teilweise auch zum Stahlhelm. Gegenüber dem Stahlhelm sind diese Beziehungen naturgemäß weniger entwickelt, weil auf Seiten des Stahlhelms selbst wegen seiner Verbundenheit mit den gelben Verbänden Hemmungen bestehen. Wie weitgehend die Bindungen Stegerwalds an diese faschistischen Wehrorganisationen sind, das ergibt sich z. B. aus der seinerzeit vom „Vorwärts“ festgestellten Tatsache, daß bei dem berüchtigten Fememörder Schulz, dem heutigen Naziführer, eine Photographie Stegerwalds mit sehr freundlicher Widmung gefunden wurde. Stegerwald, der heutige Reichsarbeitsminister und langjährige Führer der christlich-nationalen Gewerkschaften, hat seine faschistische Einstellung bei verschiedenen ideologischen Auseinandersetzungen im Zentrum und in christlichen Gewerkschaften wiederholt bekundet. Bekanntlich fand im Jahre 1928 eine Auseinandersetzung zwischen Wirth und Stegerwald statt. Stegerwald hielt auf einer Bezirkstagung der christlichen Gewerkschaften in Duisburg am Download 5.01 Kb. Do'stlaringiz bilan baham: |
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