Das Lächeln der Frauen


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Bog'liq
Das Lächeln der Frauen

 
»Un, deux, trois - ça c'est Paris!« Ein Dutzend gutgelaunter Kellner hatte
sich an einer Seite des Saals in einem Halbkreis versammelt. Aus vollem
Halse schmetterten sie diesen Satz, der wie ein Schlachtruf klang und den
man in der Coupole an jedem Abend (manchmal mehrere Male) hören kann.
Denn unter den zahlreichen Gästen ist immer einer, der Geburtstag hat.
Der halbe Saal schaute auf, als die Kellner jetzt im Gänsemarsch und mit
einer riesigen Torte, auf der zahlreiche Wunderkerzen ihr Licht versprühten
wie ein kleines Feuerwerk, zu dem Tisch gingen, an dem das
Geburtstagskind saß. Es war ein Tisch, der sich zwei Reihen hinter uns
befand, und Aurélie Bredin, die den Blick in diese Richtung hatte, reckte
den Hals, um besser sehen zu können.
Und dann stand sie plötzlich auf und winkte.
Ich drehte mich erstaunt um und sah eine vergnügte alte Dame in einem
schillernden lilafarbenen Kleid, die allein an einem der Tische saß - mit
einem riesigen Gestell Austern vor sich - und allen Kellnern die Hand
schüttelte. Dann blickte sie in unsere Richtung und winkte entzückt zurück.
»Kennen Sie diese Dame?« fragte ich Aurélie Bredin.
»Ja, natürlich!« rief sie begeistert und winkte wieder. »Das ist Mrs.
Dinsmore. Wir sind uns gestern auf dem Friedhof begegnet - ist das
nichtfurchtbar komisch?«
Ich nickte und lächelte. Ich fand es nicht so furchtbar komisch. Es war
halb elf, und ich hatte das ungute (aber richtige) Gefühl, daß es mit der
schönen Zweisamkeit an unserem Tisch nun vorbei war.
Wenige Minuten später machte ich die Bekanntschaft von Mrs.
Dinsmore, einer fünfundachtzigjährigen Amerikanerin, die in einer Wolke
von Opium zu uns herüber-schwebte. Sie war die Witwe eines Dirigenten,
die Mutter eines Brücken bauenden Sohnes in Südamerika, Großmutter von
drei blondgelockten Enkelkindern und Muse zahlreicher Künstler, die alle


eines gemeinsam hatten: Sie hatten alle mit Mrs. Dinsmore in der Coupole
rauschende Feste gefeiert. Und sie waren alle schon unter der Erde.
Es gibt Menschen, die setzen sich an einen Tisch und übernehmen sofort
das Gespräch. Nach und nach verstummt die Konversation, jedes andere
Thema verflackert wie ein zu kleines Feuer, und spätestens nach fünf
Minuten lauschen alle gebannt den Erzählungen und Anekdoten dieser
mitreißenden, mit großen Gesten operierenden Persönlichkeiten, die
unbestreitbar von großem Unterhaltungswert sind, aber kaum zu stoppen.
Ich fürchte, Mrs. Dinsmore war eine solche Person.
Seit die Fünfundachtzigjährige mit den silbergrauen Löckchen und dem
rot geschminkten Mund mit dem Ausruf »Was für eine herrliche
Überraschung, Kindchen - darauf trinken wir jetzt einen Bollinger!« in
unserer Mitte Platz genommen hatte, gab es für mich nicht die geringste
Möglichkeit mehr, Aurélie Bredins Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
Der Champagner wurde sogleich in einem silbernen Kübel, in dem die
Eisstückchen schwammen, an unseren Tisch gebracht, und es war kaum zu
übersehen, daß Mrs. Dinsmore der absolute Liebling von Alain, Pierre,
Michel, Igor und wie die Kellner sonst noch alle hießen war. Plötzlich war
unser Tisch der von den Angestellten des Coupole meistbeachtete. Und mit
der Ruhe war es vorbei.
Nach zwei Gläsern Champagner ergab ich mich dem Charisma der
unentwegt redenden alten Dame und betrachtete fasziniert die Feder auf
ihrer kleinen lilafarbenen Kappe, die bei jeder ihrer Bewegungen auf- und
abwippte. Aurélie Bredin, die an Mrs. Dinsmores Lippen hing und sich
außerordentlich zu amüsieren schien, warf mir immer dann einen Blick zu,
wenn wir gemeinsam über die komischen Erlebnisse der bemerkenswerten
Lady in Gelächter ausbrachen. Je mehr wir tranken, desto lustiger wurde es,
und nach einer Weile amüsierte ich mich genau so sehr wie alle anderen.
Bisweilen unterbrach Mrs. Dinsmore ihre kurzweiligen Monologe, um
uns auf andere Gäste im Saal aufmerksam zu machen (für eine alte Dame
sah sie erstaunlich gut) und uns zu fragen, ob wir unseren Geburtstag auch
schon einmal in der Coupole gefeiert hätten (»Das sollten Sie aber
unbedingt mal tun, es ist immer ein großer Spaß!«). Dann wollte sie unsere
Geburtstage wissen (auf diese Weise erfuhr ich immerhin, daß Aurélie
Bredin in ungefähr zwei Wochen Geburtstag hatte, nämlich am sechzehnten
Dezember) und klatschte entzückt in ihre kleinen Hände.


»Zweiter April und sechzehnter Dezember«, wiederholte sie. »Ein
Widder und ein Schütze. Zwei Feuerzeichen - das paßt hervorragend
zusammen!«
Ich kannte mich mit Astrologie nicht besonders aus, aber in diesem Punkt
gab ich ihr natürlich gerne recht. Mrs. Dinsmore selbst war am letzten Tag
des Sternzeichens Skorpion geboren, wie sie uns einen Augenblick später
wissen ließ. Und Skorpionfrauen waren gleichermaßen geistreich und
gefährlich.
Das Coupole leerte sich allmählich, nur an unserem kleinen Tisch wurde
immer noch gefeiert, getrunken und gelacht, und Mrs. Dinsmore hatte ganz
offensichtlich eine ihrer Sternstunden.
»Genau an diesem Tisch hier - oder war es der da drüben? - na, ist ja auch
egal, habe ich mit Eugène gesessen und meinen Geburtstag gefeiert«,
schwärmte Mrs. Dinsmore gerade, als einer der Kellner uns Champagner
nachschenkte.
»Eugène wer?« fragte ich nach.
»Ionesco natürlich, wer sonst«, erwiderte sie ungeduldig. »Ach, er war
wirklich unbeschreiblich komisch manchmal - nicht nur in seinen Stücken!
Und nun liegt er auf dem Montparnasse, der Ärmste! Aber ich besuche ihn
ab und zu.« Sie kicherte versonnen. »Ich erinnere mich noch genau - an
diesem Abend, leider habe ich vergessen, der wievielte Geburtstag es war,
passierte es zwei Mal - können Sie sich das vorstellen? Zwei Mal ... !« Sie
sah uns aus ihren kleinen dunklen Äuglein an, die wie zwei Knöpfe
glänzten, »... daß ein ungeschickter Kellner Rotwein über das hellgraue
Jackett von Eugène schüttete. Und wissen Sie, was er sagte? Er sagte: ›Das
macht gar nichts. Wenn ich es recht bedenke, hat mir die Farbe von diesem
Anzug noch nie so richtig gefallen!‹« Mrs. Dinsmore warf ihren Kopf
zurück und lachte in den höchsten Tönen, und die kleine Feder auf ihrem
Kopf wippte, als ob sie gleich davonfliegen würde.
Nach diesem kleinen Ausflug in das private Leben von Eugène Ionesco,
der so sicherlich in keiner Biographie zu finden war, wandte Mrs. Dinsmore
sich wieder mir zu.
»Und Sie, junger Mann? Was schreiben Sie? Aurélie sagte mir, Sie seien

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