Das Lächeln der Frauen


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Das Lächeln der Frauen

Sexy waren die Kellnerinnen im Les Éditeurs, die Bücherregale an der
Wand, Adams Vorschlag, ihm abends das Moulin Rouge zu zeigen, das alte
schwarze Telefon aus Bakelit, das an der Rezeption seines Hotels stand, und
erstaunlicherweise auch meine uralte Rolex-Uhr (sie stammte von meinem
Vater und aus einer Zeit, als Rolex-Uhren noch Lederarmbänder hatten und
im Design deutlich zurückhaltender waren als heute).
Erleichtert nahm ich zur Kenntnis, daß Sams Französisch besser war, als
ich es erwartet hatte. In der Regel spricht ein Engländer nämlich Englisch
und sonst nichts, aber da die beiden Goldberg-Brüder als Kinder ihre
Sommerferien oft bei einem Onkel in Kanada verbracht hatten, war ihnen
diese Sprache vertraut. Adam sprach von Berufs wegen fließend
Französisch, während sein Bruder eher etwas radebrechte, aber sein
Wortschatz war doch beachtlich, und es machte ihm offenbar nichts aus, vor
Publikum zu sprechen. Immerhin hatte er ja auch schon auf
Zahnarztkongressen Vorträge zur Prophylaxe und Behandlung von
Parodontose gehalten.
Wir sprachen das Interview mit dem Figaro durch, das am nächsten
Morgen stattfinden sollte, dann die wenigen Passagen, die am Abend in der
Buchhandlung zu lesen waren. Ich erklärte ihm den Ablauf der Lesung und
riet ihm dringend, seine neue Unterschrift als »Robert Miller« noch ein
paarmal zu üben, damit er sich beim Signieren der Bücher nicht verschrieb.
»Ich müß das gleich proubieren!« rief er, nahm einen Stift und ein Blatt
Papier zur Hand und malte in schwungvoller runder Schrift seinen neuen
Namen.


»Robert Miller«, sagte er und blickte zufrieden auf die Signatur. »Das
sieht wirklich sexy aus, findet ihr nicht?«
Nach der Lesung, die um acht Uhr beginnen sollte und maximal
eineinhalb Stunden dauern würde, war noch ein Abendessen im kleinen
Kreis vorgesehen (»Ganz gemütlich!« hatte Monsieur Monsignac betont),
an dem natürlich der Autor, der Buchhändler (der das Buch mit Sicherheit
gelesen hatte), Jean-Paul Monsigniac (der von dem Buch nur Anfang, Mitte
und Schluß kannte), Michelle Auteuil (die das Buch überflogen hatte, als es
noch im Fahnenstadium war), Adam Goldberg (der das ganze Buch kannte)
und meine Wenigkeit teilnehmen sollten. Ich muß sagen, daß mir vor
diesem kleinen gemütlichen Abendessen ein wenig graute.
Die Lesung in einer Buchhandlung läuft doch immer irgendwie gleich ab:
Begrüßung durch den Buchhändler, Begrüßung durch den Verlag (in diesem
Fall sollte ich diesen Job übernehmen, da ich die ganze Sache moderieren
würde), der Autor spricht ein paar Worte, daß er sich freut, hier zu sein und
so weiter und so fort, und liest ein paar Abschnitte. Dann Applaus, hat noch
jemand eine Frage an den Autor? Immer dieselben Fragen: Wie sind Sie
dazu gekommen, dieses Buch zu schreiben? In Ihrem Buch gibt es einen
kleinen Jungen, der ohne Vater aufwächst - sind Sie dieser Junge? Wollten
Sie immer schon Schriftsteller werden? Schreiben Sie an einem neuen
Buch? Wovon handelt es? Spielt es wieder in Paris? Und manchmal, eher
selten, kommen Fragen wie: Wann schreiben Sie (morgens, mittags, abends,
nachts), Wo schreiben Sie (mit Blick ins Grüne, nur vor einer weißen Wand,
im Café, im Kloster), und natürlich auch gerne: Woher nehmen Sie
eigentlich Ihre Ideen?
Aber oft sind die Menschen auch gar nicht mal so wißbegierig oder
vielleicht auch zu schüchtern, um etwas zu fragen, und in diesem Fall sagt
der Buchhändler, Lektor, Moderator dann so etwas wie: Dann hätte ich noch
eine Frage, um die ganze Sache ein wenig abzurunden. Oder aber er sagt:
Wenn keiner mehr eine Frage hat, dann danke ich Ihnen, daß Sie gekommen
sind, und einen großen Dank natürlich an unseren Autor, der jetzt gerne Ihre
Bücher signieren wird. Neuerlicher Applaus. Und dann kommen die Leute,
um das Buch zu kaufen und es sich signieren zu lassen. Und am Ende
werden ein paar Photos gemacht.
Eine Autorenlesung ist eine schöne übersichtliche Angelegenheit, wenn
Sie mich fragen.


Bei einem Abendessen im kleinen Kreis gab es größere Unwägbarkeiten,
vor allem, wenn man etwas zu verbergen hatte. So groß war mein
Antizipationsvermögen nicht, daß ich alle möglichen und unmöglichen
Themen, die bei einem solchen Essen zur Sprache kommen konnten,
vorwegnehmen konnte. Ich sah Monsieur Monsignac schon vor mir, wie er
den angeblich so frankophilen Engländer plötzlich fragte: »Essen Sie gerne
Schnecken?« und dieser angewidert das Gesicht verzog. Ich hoffte, daß man
nicht zuviel über Bücher sprechen würde, denn Sam Goldberg war nicht
firm in der Bestsellerliste und es war nicht auszuschließen, daß er Marc
Levy für einen Schauspieler oder Anna Gavalda für eine Opernsängerin
hielt.
Andererseits würde Sam Goldberg von Adam und mir flankiert werden
wie von zwei Bodyguards. Und mit ein bißchen Geistesgegenwart seitens
des Zahnarztes würde der Abend schon ganz passabel verlaufen.
Ich riet Sam, sich bei heiklen Fragen aus dem Publikum oder beim Essen
auf seine nicht ausreichenden Sprachkenntnisse zurückzuziehen. »Oh,
sorry, das habe ich nikt ganz verstanden, wie meinen Sie das?«, sollte er
treuherzig fragen, und dann würde schon einer von uns einspringen.
Wichtig war, daß er die folgenden Punkte beherzigte, die wir immer
wieder durchkauten: Er lebte allein in seinem Cottage. Als Ort hatten wir
uns auf das malerische Tunbridge Wells verständigt. (»Lovely place«, sagte
Sam und: »Wie traurig, daß ich keine family haben darf.«)
Sein Hund Rocky war ein Yorkshire-Terrier und kein Golden Retriever,
wie Sam zunächst fälschlicherweise sagte, und Rocky war jetzt in der
Obhut eines netten Nachbarn.
Auf die Frage, ob sein Buch autobiographische Bezüge hätte, sollte er
antworten: »Ach, wissen Sie, jedes Buch ist irgendwo autobiographisch.
Natürlich gibt es Dinge darin, die ich selbst erlebt habe, andere habe ich
auch nur gehört oder sie sind frei erfunden.«
Nach Paris war er früher sehr oft gekommen, als er noch für die
Autofirma gearbeitet hatte, aber im Moment brauchte er viel Ruhe und
Natur, und er schätzte sein abgelegenes Cottage.
Eine Journalistenreise zu seinem Domizil war für ihn der größte Horror.
(Dies zur Vorsicht, falls er in die Hände von Michelle Auteuil fiel.)
Er war kein Partylöwe.
Er liebte die französische Küche.


Ein zweiter Paris-Roman sei angedacht, aber das würde noch eine ganze
Weile dauern (keine (!) konkreten Angaben zum Inhalt).
Sein Hobby waren alte Autos.
Die Gefahr, daß ein Schriftsteller in Frankreich in ein Gespräch über
Autos verwickelt würde, hielt ich für relativ gering, dennoch drückte ich
Sam einen Bildband über Oldtimer in die Hand, als wir uns voneinander
verabschiedeten.
»Wir sehen uns dann morgen abend«, sagte ich, als wir alle drei draußen
vor dem Café standen und Sam Goldberg unternehmungslustig seine Tüten
schwenkte.
Die beiden Brüder wollten in ihr Hotel, bevor sie am Abend Paris
unsicher machen würden, und ich wollte einfach nur nach Hause. »Es wäre
gut, wenn ihr eine halbe Stunde vorher da sein könntet.« Ich holte tief Luft.
»Wird schon schiefgehen, was?«
»Alles wird gut«, sagte Adam. »Wir werden ganz pünktlich sein.«
»Yes, wir werden der Baby schon schütteln«, sagte Sam.
Und dann trennten sich unsere Wege.
Größere Katastrophen haben immer ihre Vorboten. Doch oft genug
übersieht man sie. Als ich am nächsten Morgen im Bad stand und mich
rasierte, hörte ich plötzlich ein lautes Krachen. Ich lief auf nackten Füßen in
den dunklen Flur und trat in eine Scherbe, noch bevor ich sah, was passiert
war.
Der schwere alte Spiegel, der neben dem Garderobenständer hing, war
heruntergefallen, der dunkle Wurzelholzrahmen war gebrochen, und überall
lagen Glasscherben und Splitter. Fluchend zog ich die Scherbe aus meinem
blutenden Fuß und humpelte in die Küche, um ein Pflaster zu holen.
»Hält bombenfest«, hatte mein Freund Michel gesagt, als er mir den
Spiegel anbrachte, den ich vor ein paar Wochen erst mit der Metro vom
Marché aux Puces, dem Flohmarkt an der Porte de Clignancourt, in die
Stadt transportiert und dann in meine Wohnung geschleppt hatte.
Abergläubische Menschen sagen, daß ein Spiegel, der von der Wand fällt,
Unglück bringt. Aber ich bin Gott sei Dank nicht abergläubisch, und so
begnügte ich mich damit, unter allerlei Verwünschungen die Scherben
zusammenzufegen, und machte mich dann auf den Weg in den Verlag.
Mittags traf ich mich mit Helene Bonvin, der Autorin mit der
Schreibblockade. Wir saßen im ersten Stock des Café Flore, aßen das



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